Die Ballettausbildung an der John Cranko Schule in Stuttgart genießt weltweit einen erstklassigen Ruf. Der steigende Zulauf an Balletteleven erfordert jetzt eine räumliche Vergrößerung: Mitten im Stuttgarter Talkessel entsteht in Hanglage ein Neubau, der Unterrichtssäle für 150 Schüler, eine große Probebühne und ein Internat mit 70 Plätzen bietet. Der terrassierte Baukörper mit dreidimensional anmutender Kubatur besteht fast ausschließlich aus Sichtbeton – ein besonderer Auftrag für das Bauunternehmen LEONHARD WEISS.

Als Ballettdirektor der international sehr erfolgreichen Stuttgarter Ballettcompagnie baute der Gründer John Cranko in den 1970er Jahren eine Talentschmiede auf. Sie sollte dem Nachwuchs einen engen Kontakt zu den Profi-Tänzern ermöglichen und war die erste deutsche staatliche Ballettakademie mit vollständiger Ausbildung. Heute angeschlossen an das Württembergische Staatstheater und das Stuttgarter Ballett, ist die John Cranko Schule eine der renommiertesten Ballettschulen der Welt.

Neubau mit internationaler Bedeutung
Der mit ca. 50 Mio. Euro veranschlagte Bau entsteht in unmittelbarer Nähe zum jetzigen Schulgebäude. Für den Entwurf zeichnen Burger Rudacs Architekten, München, verantwortlich. Das außerordentliche Erscheinungsbild des neuen Gebäudes spiegelt die internationale kulturelle Bedeutung der Einrichtung wider: Die prominente Lage am östlichen Talkesselrand direkt oberhalb von Staatsgalerie, Haus der Geschichte und historischen Stuttgarter Wohnhäusern macht den Neubau weithin sichtbar. Durch den Höhenversatz wirkt der parallel zum Hang gestaffelte Baukörper besonders plastisch. Aufbauend auf Probebühne und Eingang folgen auf vier Ebenen sich wiederholende Gebäudesegmente, die jeweils einen kleinen und einen großen Ballettsaal beherbergen. Das viergeschossige Internat mit Schlaf- und Gemeinschaftsräumen, Mensa und Patio schließt den Komplex nach Osten ab. Ein bestimmendes gestalterisches Element des Neubaus ist die Fassade aus reinem Sichtbeton.

Komplexe Gebäudekubatur
Innerhalb von zwei Jahren hat das Bauunternehmen LEONHARD WEISS den kompletten Rohbau inklusive fast aller in den Betonteilen liegenden Haustechnikanlagen fertiggestellt. Das Gebäude umfasst eine Fläche von 6.000 qm über einen Geländeanstieg von rund 25 m. Die Höhendifferenz des Baus beträgt 40 m, wovon 35 m über und 5 m unter der Erde liegen. Der gesamte Gebäudekomplex wird ohne Bauwerksfugen und in den Untergeschossen als Weiße Wanne hergestellt. Die Gründung erfolgt mittels Großbohrpfählen auf insgesamt vier verschiedenen Ebenen.
Der Aufbau besteht aus innenliegender Tragkonstruktion, Kerndämmung und Vorsatzschale. Die Tragkonstruktion, welche vom Büro Mayr | Ludescher | Partner stammt, ist eine Stahlbetonkonstruktion, die sich aus Flachdecken, Kernen und sich kreuzenden Wandscheiben bildet. Die Probebühne mit einer lichten Raumhöhe von über 10 m weist mit 30 m die größte Spannweite auf. Ihre Decke ist schallentkoppelt, um Geräusche aus den darüber liegenden Ballettsälen zu unterbinden. Ausgelegt ist der große Saal für bis zu 400 Zuschauer. Im Gebäude liegen außerdem sieben Treppenhäuser. Sie steuern die Zugänge in verschiedene öffentliche und private Bereiche des Gebäudes. Das Haupttreppenhaus verläuft als durchgehende Magistrale an der südlichen Seite über vier Ebenen.
Die komplexe Gebäudekubatur erfordert viele wandartige Träger mit Unterrüstungen. Um Schub-und Tragkräfte abzufangen, sind diese Träger hochbewehrt. Die an den Kreuzungspunkten der Wandscheiben auftretenden, konzentrierten Lasten werden durch spezielle Einbauteile übertragen. Sie bestehen nicht aus normalem Baustahl, sondern aus Feinkornstahl, der üblicherweise im Maschinenbau eingesetzt wird. Mit Maßen von 2,80 m Breite und 2,70 m Höhe weisen sie ein Gewicht bis zu 4,7 t auf.

Sichtbeton außen und innen

Außergewöhnlich sind die architektonischen Ansprüche an die Betonoberflächen: Im Inneren des Gebäudes sind 70% der Flächen in Sichtbeton der höchstmöglichen Klasse 4 (SB4) ausgeführt. Dazu gehören beispielsweise Wände und Decken der Säle, Flure, Treppenhäuser und Aufzüge. Die Fassade besteht aus 100% Sichtbeton, ebenfalls in SB4. Weitere Vorgaben für den Sichtbeton waren Fugenbild und Raster, Maße wie zum Beispiel höchstens 2 mm Stoßversatz, scharfkantige Ecken und natürlich der Farbton. Um den zu finden, wurden vor dem Betonieren mehrere Tests durchgeführt. Der verwendete Beton wurde durchgängig mit Titandioxid aufgehellt.
Außer den Treppen wurden sämtliche Gebäudeteile in Ortbeton gefertigt. Eine Besonderheit ist die Schalung: „Das Architekturbüro hat die Schaltafeln extra ausgeschrieben", erzählt Joachim Riegert, Oberbauleiter Ingenieurbau bei LEONHARD WEISS. „Bevor wir auf der Baustelle betoniert haben, haben wir mit Musterplatten getestet, ob das Ergebnis den Qualitätsansprüchen genügt." Die hier verwendeten Schaltafeln besitzen eine rauere Oberfläche als üblich. So saugt das Holz mehr Feuchtigkeit auf und lässt Unregelmäßigkeiten in der Struktur verschwinden, die bei glatter Schalung sofort sichtbar wären. Um zudem im Beton keine Abdrücke durch Befestigungen zu bekommen, wurden alle Schalplatten auf der Rückseite verschraubt und die Deckenplatten mit kopflosen Tackernadeln befestigt.
„Für eine absolut gleichmäßige Oberfläche sind mehrfach genutzte Schaltafeln besser. Daher haben wir bei jeder Tafel den Ersteinsatz simuliert", berichtet der Oberbauleiter. Die Schaltafeln wurden flach auf den Boden gelegt und mit einer 5 cm dicken Frischbetonschicht bedeckt. Die Spezialisten von LEONHARD WEISS wissen, wie wichtig der sorgsame Umgang mit der Schalung für eine perfekte Sichtbetonoberfläche ist. Daher haben sie die präparierten Schaltafeln im Einsatz sorgsam gepflegt. „Jede einzelne wurde geputzt, trocken und schattig gelagert und kaum eingeölt", sagt Riegert. Das Ergebnis rechtfertigt den Aufwand: „Wir mussten keinerlei Kosmetik an fertigen Oberflächen machen, nur das Aufsprühen der Hydrophobierung drei Tage nach dem Ausschalen als Schutzschicht gegen Nässe und Schmutz." Die fertiggestellten Oberflächen sind großenteils mit Holz oder Planen verkleidet, um den weiteren Bau unbeschadet zu überstehen.

Integrierte Haustechnik
Sämtliche haustechnischen Installationen liegen in Wänden, Decken und Böden und mussten vor der Betonierung in die Bewehrungslagen eingebracht werden. Dazu gehören eine Betonkernaktivierung mit schlangenförmig verlegten Heizleitungen, außerdem Elektroleerrohre, eine Druckentwässerung und Sprinklerleitungen. Durch die zahlreichen Rohre mussten die betroffenen Gebäudeteile mit 90.000 Schubbügeln zusätzlich bewehrt werden, so dass in den Betondecken und -böden die jeweilige Bewehrungslage sicher verbunden ist.
Nach der Fertigstellung der Tragkonstruktion folgte die vorgehängte Sichtbetonfassade. Sie ist mit Edelstahlverankerungen an der Tragschale befestigt und verschiebbar gelagert, um Windkräfte und thermische Verformungen aufzunehmen. Die Betonierabschnitte für die Fassade waren jeweils 18 m lang und 1,75 m hoch. Betoniert wurde einhäuptig. Bis ins Kleinste gestaltete Details geben der Fassade ein rundum einheitliches Erscheinungsbild. So wurden die benötigten Faserzementstopfen in den Ankerstellen farblich abgestimmt und sind teilweise schraubbar. Dadurch lassen sich beispielsweise Gerüstelemente später ohne sichtbare Spuren an der Fassade verankern. Eine weitere Besonderheit sind die in die Fassade integrierten Betontüren. „Die Türen haben wir direkt auf der Baustelle mit einer Betonverkleidung versehen, die sogar das Fugenbild der Wand übernimmt“, erzählt der Oberbauleiter. Insgesamt benötigte das Bauunternehmen für den Rohbau rund 1.500 t Stahl und 16.000 cbm Beton.

Rohbau als BIM-Projekt
Die Planer von LEONHARD WEISS funktionierten ihren Teil der Baustelle zum BIM-Projekt (Building Information Modeling) um, indem das vorhandene 3D-Modell des Tragwerksplaners genutzt werden konnte. Die Daten dienten zur Arbeitsvorbereitung sowie zur besseren Planung und Abwicklung auf der Baustelle. „Wir kommen beim Bauen um BIM nicht mehr herum, weil die Anforderungen immer komplexer und die Abläufe immer schneller werden. In Zukunft sollte das Leistungsverzeichnis vollständig aus dem BIM-Modell entstehen. Nur dann lassen sich Pläne einfach und schnell abgleichen und ändern. Kollisionsprobleme wie zum Beispiel oft bei Haustechnik würden gar nicht erst entstehen“, betont Joachim Riegert und erklärt die zukünftige Richtung des Bauunternehmens: „Unser Ziel sind Projekte, die zu 100% in BIM geplant werden.“

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