Wie ist das Investitionsklima für ausländische Firmen in Indien?
Thamburaj: Die innenpolitische Lage in Indien ist recht stabil, und wir gehen davon aus, dass dies in den kommenden Jahren so bleiben wird. Premier Narendra Modi, der eine zweite Amtszeit anstrebt, versucht die Wirtschaft anzukurbeln und Umweltprobleme anzupacken. Insofern passt das Gandhigram-Projekt zur Agenda Indiens. Das Investitionsklima ist gut. Aufgrund des vergleichsweise hohen Zinsniveaus in Indien strömt aktuell viel ausländisches Geld ins Land. Allerdings muss man das Währungsrisiko im Auge behalten.
Blaschke: Indien erlebt aktuell einen enormen Solarboom. Auch in Themen wie E-Mobilität, Smart-City usw. will das Land investieren. Deshalb gibt es auch ein starkes Interesse an internationaler Zusammenarbeit.
Frage: Auf welche Besonderheiten müssen sich Investoren in Indien einstellen?
Thamburaj: In Indien erlebt man eine große Begeisterungsfähigkeit der Menschen, bisweilen mit einem Hang zum Überschwang. Das ist positive Energie, die man richtig einschätzen muss. Auf dem Land ist die Sprache eine Barriere. Mit Indisch kommt man aber überall durch. Die Inder lieben deutsche Autos und deutsches Bier. Das überwiegend positive Image der Deutschen resultiert auch vom Fußball. Die Spiele der Bundesliga werden regelmäßig im indischen Fernsehen übertragen. Mit diesen drei Themen sammeln die Deutschen bei den Indern die meisten Pluspunkte.
Blaschke: Es ist in Indien wichtig, dass man eng mit lokalen Partnern zusammenarbeitet. Es fällt leichter, mit den regulatorischen Bedingungen klarzukommen und Kontakt mit den regional zuständigen Energieversorgern, Behörden und Ministerien aufzunehmen, wenn man vor Ort Partner hat, die sich auskennen.
Was wird in Gandhigram dringender benötigt? Moderne Technik oder organisatorisches Know-how?
Breuning: Aus meiner Sicht sind es in erster Linie Technik und Infrastrukturen, die fehlen. Wir haben die Situation vor Ort eingehend untersucht und sowohl beim Strom als auch bei der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung massive Probleme angetroffen. Selbstverständlich muss beim Aufbau eines neuen Querverbundunternehmens auch die Organisationsform passen. Das haben wir in unserer Studie ebenfalls untersucht und die Bedarfe formuliert.
Blaschke: Die vielfältigen wechselseitigen Abhängigkeiten bedingen meines Erachtens, dass man beides parallel aufbauen muss. Digitalisierung, Automatisierung, Internet-of-Things (IoT)-Technologien usw. verändern Organisationsstrukturen und bieten selbst kleinen Teams ganz neue Möglichkeiten, ein Projekt wie das in Gandhigram zu realisieren. Man hat die Möglichkeit, sehr effizient neue Versorgungssysteme aufzubauen. Sogar über große Entfernungen hinweg. Die Stadtwerke Schwäbisch Hall können beispielsweise unterstützend und koordinierend eingreifen, indem sie Anlagen in Gandhigram in ihrer Leitwarte überwachen und Betriebsdaten erheben. So lassen sich ganz neue Wertschöpfungsketten implementieren.
Warum ist das Stadtwerke-Modell für Gandhigram und für Indien geeignet? Eine Tradition für diese Organisationsform gibt es in Indien nicht.
Thamburaj: Das Stadtwerke-Prinzip ist ein sehr guter Grundgedanke. Die Menschen lokal mit Strom und Wasser zu versorgen, das Abwasser zu entsorgen, Mobilitäts- und Kommunikationslösungen zur Verfügung zu stellen, das ist auch unser Ziel. Man könnte allenfalls darüber streiten, ob ein solches Projekt besser kommunal oder privatwirtschaftlich organisiert wird. In Gandhigram ist man von der Stadtwerke-Idee überzeugt. Einen so großen Staat wie Indien zentral mit Strom zu versorgen, kann nicht zuverlässig funktionieren. Die Trinkwasserversorgung ist zwar dezentral organisiert, läuft aber weitgehend unkoordiniert ab.
Blaschke: Stadtwerke verfolgen einen Portfolio-Ansatz, der erprobt und in Deutschland sehr erfolgreich ist. Man hat eine integrierte, synergetisch funktionierende und deshalb sehr effektive Netzwerkstruktur. Das kommt auch beim Neuaufbau der Stadtwerke Gandhigram zum Tragen. Dort braucht man ohnehin eine neue Wasserversorgung und eine neue Abwasserentsorgung. Und wenn man dafür Gräben für die Rohre ausheben, kann man Strom- und Glasfaserleitungen auch gleich mit verlegen. Die dezentrale Strategie ist grundsätzlich sinnvoll. Energieversorgung mit Photovoltaikanlagen und Stromspeichern, intelligente Verteilnetze, Internetversorgung – all das lässt sich am besten lokal organisieren. Man braucht Koordination und Steuerung, um die Gewerke miteinander zu verbinden, wenn sie sowieso neu gebaut werden müssen. In Indien sind 70 % der zukünftigen Versorgungs-Infrastruktur noch gar nicht gebaut. Das Stadtwerke-Konzept bietet eine sehr interessante organisatorische Basis, um auf diesem Gebiet Fortschritte erzielen zu können.
Ist es hilfreich, einen großen indischen Versorger an den Stadtwerken Gandhigram zu beteiligen?
Thamburaj: Das würde gegebenenfalls sicherlich Hürden abbauen. Man sollte nicht auf Konfrontationskurs gehen, sondern lokale Partner auf jeden Fall ins Boot holen – wie immer das dann organisatorisch aussieht.
Wie können sich interessierte Unternehmen um eine Beteiligung beim Gandhigram-Projekt bewerben?
Breuning: Indem sie sie uns zunächst einmal ganz einfach ansprechen. Es existieren keinerlei Vorgaben oder Ausschlusskriterien. Auch für uns ist das Projekt Neuland und wir sind sehr gespannt auf das Feedback. Wir müssen abwarten, wie die Resonanz bei potentiellen Partnern ist, sei es bei Infrastrukturlieferanten oder Finanzinvestoren. Bei großem Interesse werden wir eine Ausschreibung durchführen. In der Machbarkeitsstudie haben wir zwölf Hauptbereiche definiert und im Detail beschrieben, welche Technologien in welchem Umfang benötigt werden. Auf Basis dieser Bedarfsmatrix lässt sich die Partnerauswahl gezielt steuern. Grundsätzlich werden sich interessierte Unternehmen entweder monetär oder durch das Einbringen von Infrastruktur beteiligen und darüber einen Anteil an den Stadtwerken Gandhigram erwerben können.
Wie ist der Business-Case Stadtwerke Gandhigram kalkuliert? Wann dürfen Investoren mit einem Geldrückfluss rechnen?
Blaschke: Wir gehen aktuell davon aus, dass es eine Art Konzessionsvertrag über 25 Jahre geben wird. Geplant ist dabei zunächst ein First-Stage-Investment von knapp 5 Mio. Euro. Damit soll der Nukleus der Gesellschaft geschaffen werden, die Assets managt, Know-how aufbaut und den Aufbau der Infrastruktur in den Bereichen Energie, Wasser, Abwasser, Internet und E-Mobilität sukzessive vorantreibt. Unser Vorbild ist Deutschland: Bei uns sind die Stadtwerke auch meist klein und mit nur wenigen Sparten gestartet und haben dann sukzessive weitere Bereiche der Daseinsvorsorge mit übernommen. Diese Idee wollen wir auf Gandhigram übertragen. Unsere Berechnungen sehen von Beginn an einen kostendeckenden Betrieb vor. An potentiellen Überschüssen werden die Gesellschafter natürlich beteiligt. Bei enorm hohen Verlusten hätte das Projekt sicherlich ein grundlegendes Akzeptanzproblem.
Wie viele Anteile streben die Stadtwerke Schwäbisch Hall in Gandhigram an?
Breuning: Das wird sicherlich nur eine Minderheitsbeteiligung sein können. Wir bringen in erster Linie Know-how mit und unterstützen das Projekt auf der Engineering-Seite.
Blaschke: Ich denke, es wird sinnvoll sein, ein Joint Venture zu gründen, das zur Hälfte aus öffentlichen örtlichen Partnern besteht, und zur anderen Hälfte aus privaten Investoren, die eine Art Konsortium bilden könnten. Im Public-Bereich könnte das der Gandhigram Campus als juristische Einheit und/oder der Stromversorger vor Ort sein. Auf jeden Fall sollten Infrastrukturen, die in der Erde vergraben werden, also beispielsweise die Netze, von dieser öffentlichen bzw. staatlichen Organisation mitgetragen werden.
Kann man ein solches Projekt aus der Ferne organisieren?
Breuning: Man kann einiges von hier aus steuern. Große Teile der Planungsarbeit beispielsweise wurden in Deutschland geleistet. Man braucht selbstverständlich Personal vor Ort, das mit der Umsetzung und dem Betrieb der Infrastruktur betraut ist. Das werden in jedem Fall indische Kollegen sein. Ein Büro der Stadtwerke Gandhigram existiert schon auf dem Campus. Moderne Kommunikationstechnik macht den Austausch zwischen den Standorten einfach. Vieles lässt sich durch virtuelle Projekt-Meetings organisieren. Eine ständige Präsenz unsererseits wäre auch gar nicht darstellbar. Zumal Reisen teuer und durchaus anstrengend ist. Zwölf Stunden dauert der Flug von Frankfurt nach Chennai. Für die etwa 400 km nach Gandhigram braucht man im Auto dann weitere zehn Stunden.
Energie- und Wasserverbrauch sowie die Nutzung von IT-Infrastruktur und Elektromobilität wird es für die Nutzer nicht umsonst geben. Werden die Studenten und Mitarbeiter auf dem Campus sich das finanziell leisten können?
Blaschke: Es wird nutzerbasierte Tarife geben, die sich an den jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse der Menschen auf dem Campus orientieren. Wir haben das durchgerechnet und sind auf Entgelte gekommen, die durchweg leistbar sein werden. Die Energieversorgung wird zu 100 % auf erneuerbaren Energien beruhen. Wenn man die Gestehungs- und Betriebskosten mal über eine Strecke von 25 und mehr Jahren betrachtet, wird es sogar eine extrem günstige Möglichkeit der Versorgung sein. Andererseits: Was wäre die Alternative? Die Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung müssen in jedem Fall saniert werden. Man kann nicht warten, bis die Menschen krank werden. Durch die Multifunktionalität des Projektes schafft man es, die verschiedenen Services so effizient zu realisieren, dass es für alle einen Vorteil bietet.
Das Gandhigram-Modell sei auf andere Standorte übertragbar, heißt es. Welche Potentiale sehen Sie?
Thamburaj: Sobald der Pilot steht und man sichtbar etwas vorzeigen kann, ist es sicherlich eine leicht adaptierbare Blaupause für weitere Projekte. Das Business-Modell steht, und es handelt sich nicht um ein theoretisches Konstrukt, sondern um einen detaillierten Plan, der sich an den Anforderungen der Praxis orientiert. Zu den Dimensionen: Wenn man die Fläche Deutschlands mit rund 1000 Stadtwerken auf Indien projiziert und dort eine ähnliche Stadtwerkedichte unterstellt, wären in Indien rund 9.000 Stadtwerke möglich. Das ist natürlich ein realitätsfernes Zahlenspiel, zeigt aber das immense Potential und macht den gewaltigen Bedarf an zeitgemäßen Versorgungsstrukturen in Indien deutlich.
Ihre Schlussworte?
Thamburaj: Menschen mit grundlegenden Dingen zu versorgen, die sie zum Leben benötigen, kann nicht falsch sein. Es ist sogar unsere Pflicht, dies zu tun, in Deutschland genauso wie in Indien oder sonst wo auf der Welt.
Blaschke: Indien ist der Kontinent, wo sich das Schicksal der Menschheit beim Klimaschutz mit entscheiden wird. Würden die 1,3 Milliarden Inder ähnlich intensiv wie wir auf fossile Energien setzen, wären die Klimaschutzziele unerreichbar. Deshalb halte ich es für überlebenswichtig, dass wir zusammen den Übergang zu einer möglichst CO2-armen Energieversorgung schaffen.
Breuning: Wir sind entschlossen, das Gandhigram-Projekt auf den Weg zu bringen und zum Erfolg zu führen. Es spiegelt die DNA der Stadtwerke Schwäbisch Hall. Wir setzen auf eine dezentrale, regenerative, moderne und hocheffiziente Energieversorgung. Genau das soll in Gandhigram entstehen.
Weitere Information und das Konferenzprogramm finden Sie unter: https://www.stadtwerke-hall.de/gandhigram/
Stadtwerke Schwäbisch Hall GmbH
An der Limpurgbrücke 1
74523 Schwäbisch Hall
Telefon: +49 (791) 401-0
Telefax: +49 (791) 401-142
http://www.stadtwerke-hall.de
Marketing & Kommunikation
Telefon: +49 (791) 401-160
E-Mail: frauke.windsheimer@stadtwerke-hall.de
Leiter TP6 SINTEG Programm C/sells
Telefon: +49 (791) 401-300
E-Mail: peter.breuning@stadtwerke-hall.de
EtaMEDIA Energie- und IT-Kommunikation
Telefon: +49 (5204) 8872-01
E-Mail: grossjohann@etamedia.de