„Eulenspiegel-Autor Robert Niemann präsentiert eine Sammlung von bisher noch nicht in Buchform erschienenen Texten – launig, ironisch, überraschend.“

Zu allen Büchern gibt es einen lustigen Schreibblock und die exklusive Briefmarke zum Buch!

Leseprobe:

Mitten im Leben

Die nachfolgenden Texte sind nicht biographisch, jedenfalls nicht in dem strengen Sinne, dass sie Eins zu Eins selbst Erlebtes abbildeten. Das wäre möglicherweise kaum interessanter als die sich eher durch Liebe zum Detail als zur Pointe auszeichnenden Berichte begeisterter Eltern über ihr ent-zückendes Kind. Aber die Geschichten sind natürlich auch nicht völlig frei erfunden, sondern sie beruhen auf wahren Begebenheiten, auf Gehörtem, Aufgeschnapptem und Weitergesponnenem. Der fachkundige Leser weiß es ohnehin: Es sind Geschichten, keine Protokolle.

Elf Minuten

Alle elf Minuten verliebt sich ein Single über Parship. Auch wenn ich mir elfminütige Liebesbeziehungen auf Dauer ziemlich anstrengend vorstelle, freue ich mich für diesen Single. Warum nicht von Zeit zu Zeit mal was Neues ausprobieren? Er wird seine Gründe haben. Man kann sich zweifellos binnen elf Minuten auseinanderleben! Weil zum Beispiel die Lebensentwürfe, anders als am Anfang der Beziehung, nicht mehr im Einklang stehen. Wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, können sich elf Minuten ganz schön ziehen.
Allerdings wüsste ich gern, wer dieser Single ist, der sich da alle elf Minuten verliebt. Und wie sie das mit den elf Minuten überhaupt herausgefunden haben. Sitzt da jemand mit der Stoppuhr neben ihm? Ist er wirklich Single, oder gibt er sich nur als solcher aus? Damit die Frauen leichter auf ihn hereinfallen? Hat er eventuell beim Gewicht geschummelt? Ist mit der Angabe „79 kg“ gemeint: pro 50 Zentimeter Körperhöhe? Ist sein ganzes Profil ein Fake, und er ist gar nicht Geschäftsführer, wie die häufigste Berufsangabe auf Online-Portalen mit Niveau lautet, sondern räuchert in der Fußgängerzone von Güstrow an einem Imbissstand Biowürste und Makrelen?
Das Buhlen des Mannes um die Aufmerksamkeit und die Gunst der Frau dürfte zu den ältesten Unfallschwerpunkten menschlicher Interaktion zählen. Am Anfang waren es die Jagd oder der Raubzug, bei dem geschlechtsreife Weibchen der benachbarten Sippe quasi als Beifang ins eigene Lager mitgeführt wurden. Ohne dass man sich jetzt groß vorstellte, Blumen dabeihatte oder probeweise wenigstens erst mal zusammen ins Kino ging. Auf den ersten Blick nicht so schön für die Frauen und kein Buhlen im engeren Sinne, aber so kamen sie wenigstens mal raus.
Die erste gedruckte Kontaktanzeige erschien im Jahre 1695 in einer englischen Zeitung, ganz ohne haltlose Versprechungen von Kerzenschein, gemütlichem Heim und nicht ausgeschlossener Heirat: Ein Herr mit Einkommen suchte eine Dame mit Vermögen. Immerhin hatte er nicht: „Vermögen mit Dame“ geschrieben, obwohl es genauso gemeint gewesen sein dürfte. Jahrzehntelang galt die Partnersuche mittels Kontaktanzeige als ein wenig anrüchig. So etwas machten nur jene, die beim Dorftanz trotz allgemeinen Vollrausches und fortgeschrittener Zeit immer noch jedes Mal übrigblieben. Das änderte sich erst im späten 20. Jahrhundert. Die Kontaktanzeige wurde gesellschaftsfähig. Immer werden darin spezielle Codierungen verwendet. In der DDR stand „m.-l. WA“ nicht etwa für oppositionelle Sexualpraktiken, sondern für „marxistisch-leninistische Weltanschauung“. Der „attr. jg. Mann mit HSA und PKW (Lada)“ verfügte neben einem guten Aussehen über einen Hochschulabschluss und einen der begehrten sowjetischen Personenkraftwagen der Marke Lada. Dass die „Witwe (4fach), kath., ohne Führerschein, sucht zwecks gem. Haushaltführung Eisenbahner mittl. Alters“ die Richtige gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Man hätte das Scheitern der Beziehung möglicherweise aus einer Anzeige ein, zwei Jahre später herauslesen können: „Witwe (5fach), kath., ohne Führerschein aber mit PKW (Lada)…“

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