Unter dem Deckmantel der Deregulierung greift Brüssel mehr und mehr in die Sozialpolitik der EU-Staaten ein. Welche Konsequenzen dies für die medizinische Versorgung hat, war Thema des diesjährigen Sommerempfangs der hessischen Heilberufe, der gestern zum fünften Mal in Folge in Wiesbaden stattfand. Weit über 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien waren der Einladung des Bündnisses heilen & helfen gefolgt.

Stefan Grüttner (CDU), hessischer Minister für Soziales und Integration, würdigte bei diesem Anlass die Einigkeit der Heilberufekörperschaften und stellte den Wert ihres Bündnisses heraus. Nur gemeinsam, nicht konfrontativ seien die großen Herausforderungen zu meistern, vor denen die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Psychotherapeuten und Tierärzte derzeit stehen. Konkret nannte Grüttner die allgegenwärtige Digitalisierung, die in ihren Dimensionen durchaus mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts zu vergleichen sei, und den Mangel an Fachkräften in der Pflege und in den Assistenzberufen, auf die besonders die gastgebenden Heilberufe angewiesen seien. Aber auch dem Einfluss Europas auf die Gesundheitsberufe müsse man gemeinsam begegnen. Das Europäische Komitee für Normung widme sich, im Zusammenhang mit der Dienstleistungsrichtlinie, verstärkt der Frage, wie Dienstleistungen zu normieren seien. Was für Reiseveranstalter und Fitnessstudios gelte, dürfe aber nicht eins zu eins auf die Medizin übertragen werden. Hier sei Vorsicht geboten. Das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sei eine wesentliche Bedingung für unser nationales Gesundheitssystem, das zu den besten der Welt zähle. Dieses individuelle Moment lasse sich nicht einfach vereinheitlichen und doch gebe es bereits jetzt Normen für Chiropraktiker oder die chirurgische Korrektur von Gaumenspalten. Diese Normierungen würden aber gerade nicht zu mehr Qualität, sondern zu einer Verschlechterung der Versorgung führen.

Dr. Michael Frank, Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen knüpfte in seiner Begrüßung an diesen Punkt an. "Die Normierung von Gesundheitsleistungen ist ein absolutes Unding, denn ein Mensch ist keine Maschine", stellte Frank fest. Europa greife tief in das tägliche Leben der Menschen ein und viele Aspekte dieser Einflussnahme seien sinnvoll und positiv; bezogen auf die Gesundheit werde die EU aber ihren eigenen Prinzipien zusehends untreu. Die römischen Verträge, auf denen die heutige EU basiert, hatten die Zuständigkeit für Sozialpolitik bei den Mitgliedsstaaten belassen, doch über den Umweg Binnenmarkt und Wettbewerb und die damit verbundenen Richtlinien erfolge immer stärker der Zugriff auf den nationalen Gesundheitssektor durch Brüssel. Hier werde auf nationaler Ebene dereguliert, um im Gegenzug stärker zentral regulieren zu können. "Die Frage, was hessische Heilberufe mit Europa zu tun haben, erscheint vor dem Hintergrund dieser Einflussnahme geradezu absurd. Europa greift in unser Handeln und Behandeln ein und das betrifft unsere Berufsausübung ebenso, wie die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten", betonte Frank. Der Präsident der Landesärztekammer Hessen, Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, erklärte, dass der Versuch einer Vereinheitlichung der unterschiedlichen Gesundheitssysteme in Europa einen massiven Eingriff in die länderspezifisch gewachsene Gesundheitsversorgung darstellen würde.

Um die geschilderten Eingriffe Brüssels besser zu verstehen, hatten die gastgebenden Organisationen mit Prof. Dr. Anne Schäfer M.A., Professorin für Sozial- und Gesundheitsrecht, Verfassungsrecht und Europäisches Berufsrecht an der Hochschule Fulda, eine ausgewiesene Expertin geladen. Schäfer zufolge habe die Europäisierung des nationalen Gesundheitsrechts – so der Titel ihres Vortrages – längst begonnen. Dies zeige sich etwa bei der Preisbindung verschreibungspflichtiger Arzneimittel und bei den Rechtsformen von Tierarztpraxen. Wenn der Gesetzgeber sein Vorhaben, die Gesundheitsberufe und die Aufgaben von Heil- und Heilhilfsberufen neu zu ordnen, in die Tat umsetze, würden dabei die Vorgaben der europäischen Verhältnismäßigkeitsrichtlinie zu bedenken sein und damit würden, denn dies sei Ziel der im Juni verabschiedeten Richtlinie, Tätigkeitsvorbehalte wegfallen. Die Berufszugangs- und Berufsausübungsvorschriften der Heilberufe werden sich, spätestens ab 2020, in dem neuen europäischen Rechtsrahmen bewegen müssen. Hier könnten und sollten auch die hessischen Heilberufe, die schon geografisch im Zentrum Deutschlands und Europas verortet seien, gemeinsam Akzente setzen und Gestaltungoptionen entwickeln.

Seit rund zehn Jahren eint das Bündnis heilen & helfen Repräsentanten unterschiedlicher Organisationen des Gesundheitswesens, um mit vereinter Stimme die Anliegen der Heilberufe und ihrer Patienten an die Politik und in die Öffentlichkeit zu tragen. Durch Veranstaltungen wie den jährlichen Sommerempfang soll der direkte Austausch der Heilberufler mit den Politikern gefördert werden.

Informationen zum Bündnis und seiner Geschichte auf www.heilberufehessen.de 

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