Treff ist 16 Uhr vor dem Eingang der Stadthalle. Robert Niemann ist eine halbe Stunde zu früh da, hat er doch direkt aus Falkensee die kürzeste Anreise. Er ist sichtlich nervös und blickt immer wieder fragend um sich. Vielleicht spinnt er sich neue Ideen für ein Satirebuch zusammen?
Als zweites trifft Sebastian Cohen ein. Wenn er in Deutschland weilt, wohnt er ebenfalls in Falkensee. Robert erkennt ihn schon von weitem, ist allerdings über die Bekleidung etwas erstaunt. Es ist mitten im Winter und er kommt in kurzen Hosen? Was soll das? Sebastian klärt Robert auf, dass er in Belize bei 35 Grad losgeflogen ist. Eigentlich wollte er sich dann hier am Flughafen umziehen, aber die Koffer sind unauffindbar. Blöderweise hat man ihm noch sein Portemonnaie geklaut. So steht er nun mit Sandalen und kurzer Hose vor der Stadthalle und friert sich einen ab. Robert blickt entsetzt auf seine blanken Füße, die sichtlich frösteln. Das einzige, was ihn jetzt noch retten könnte, wäre ein heißer Kaffee. Oder wie Duke sagen würde, ein „Level 10“.
So nach und nach kommen die anderen Chormitglieder an. Robert ist entzückt. Andrea Schädel hat ihr Messe-Maskottchen, ihren kleinen Plüschhund Tinka, und einen Messeaufsteller – man weiß ja nie – unterm Arm. Aus Ekieh Eberg sprudelt es nur so heraus. Sie liegt in den letzten Zügen mit ihrem neuen Roman „Gestorben wird nur zweimal“. Peter Wanzel sieht gewohnt geknickt aus. Robert umarmt ihn. Sofort fängt er an, seine traurige Geschichte zu erzählen. Tränen stehen ihm in den Augen – natürlich dem Robert. Peter steckt in einer tiefen Depression, aber zum Glück hat er den Weihnachtsmann getroffen und nun wird alles anders. Alles besser.
Endlich treffen die restlichen Männer allmählich ein, nur die restlichen Damen lassen auf sich warten. Robert freut sich sehr, Ino Weber zu sehen. Der ist ja bekanntlich „Fachmann für die Schorfheide“. Sofort fangen die beiden ein Gespräch über die märkische Natur an. Michael Frank Kromarek hört interessiert zu, kann aber an der Haltung der beiden nichts Gutes abgewinnen. Schließlich mischt er sich energisch ein. Er bezieht klar seine Stellung: „Tegel muss bleiben“. Immerhin hat er dafür viel Verantwortung, ist er doch der Vorsitzende des Vereins „Tegel bleibt offen e.V.“. Und so erzählt er in aller Ausführlichkeit, wie sich die Mitglieder das mit dem zweiten Flughafen neben dem BER vorstellen.
Noch während des Gespräches trifft Guido Pauly direkt aus Duisburg ein. Er schimpft wie ein Rohrspatz. Die Zustände am Flughafen Schönefeld findet er furchtbar, da muss man über die Rollbahn zum Terminal laufen und dann geht es ewig in Schlangenlinien durchs Gebäude, da hätte er ja gleich aus dem Ruhrpott herlaufen können!
Kromarek fühlt sich sofort bestätigt. Mit stolz geschwellter Brust begibt er sich in Richtung Eingang der Stadthalle. Beim Betreten des großen Saales stellt er sofort fest, dass Kurt noch fehlt. Dabei fällt ihm das Lied „Hier kommt Kurt“ von Frank Zander ein. Er summt es leise vor sich hin, sein Gang passt sich dem Rhythmus der Melodie an. Kromarek betritt die nüchterne Stadthalle. „Sehr imposant.“ Schließlich soll er hier und jetzt für das Bühnenbild sorgen. Er hat noch zwei Stunden Zeit und wird in aller Eile an eine Leinwand ein paar Tannenbäume zeichnen. In der ersten Reihe sitzt eine Person, die bedächtig die Lichter an der Saaldecke beobachtet. Beim näheren hinsehen erkennt er seinen Kurt, Kurt F. Neubert aus Zeuthen. Sie fallen sich in die Arme und fangen sofort ein Gespräch an.
Nach kurzer Zeit bricht es Kromarek wieder ab. Die Arbeit ruft! Aus seinem Koffer holt er einen dicken Pinsel und zwei Dosen Farbe. Er fängt fast wie in Trance an, Bäume an eine vorbereitete Leinwand zu zeichnen. Irgendwie sehen sie aus, als hätte sie ein wüster Sturm in der Bretagne gebeugt.
Plötzlich, ein ohrenzermürbendes Rollenquietschen. Das kann nur Cornelia Rückriegel sein! Sie kommt abgehetzt vor der Bühne an, baut ihre mobile Kofferbar auf und bittet alle zu einem Begrüßungstrunk. „Das ist eine gute Idee“, strahlt Kurt F. Neubert und gesellt sich sofort dazu, mag er doch Frauen mit viel Feuer.
Jungautor Hanno Lammert hätte gern einen Schluck davon und schleicht sich leise wie das Mäuschen aus seinem Buch an den glitzernden Koffer ran. Aber Cornelia wäre nicht Cornelia wenn sie es nicht sofort bemerkt hätte. „Nix da, du bist doch noch grün hinter den Ohren“, ermahnt sie den erst 14-jährigen Hanno. Aufgeweckt wie die Jugend ist, meint Hanno, dass hier sicher alle bald blau sind.
Mittlerweile ist Gudrun Kottinger eingetroffen. Sie war beim letzten Chorsingen noch nicht dabei und beobachtet alles ganz genau. Als geübte Naturfotografin hat sie doch den gewissen Blick für den richtigen Moment. Gudrun blickt immer wieder zu Ben Vart. Irgendetwas fasziniert sie an ihm. Vielleicht, dass er eine große Verbundenheit zur Natur hat? Sein Roman „Korsisches Erbe“ dreht sich zwar eher um einen Schatz, aber Korsika ist nun mal für eine außerwöhnliche Natur bekannt.
Der ungarische Palinka fließt, die Zungen lockern sich. Da dringen in das Stimmengewirr eine andere Art von Zungen ein, die nichts mit einem menschlichen Wesen zu tun haben. Jemand bellt laut und winselt aufgeregt. Alle Köpfe drehen sich um und erblicken Ute Rietschel mit ihren imposanten Settern. Sie entschuldigt sich, dass bei ihr zu Hause das Chaos herrscht und somit niemand Zeit hat, um auf die Tiere aufzupassen. So blieb ihr nichts anders übrig, als die beiden mitzubringen. Da es sehr kalt ist, kann sie ihre vierbeinigen Lieblinge nicht im Auto lassen. Und so bindet sie Luna und Eddy an der dritten Stuhlreihe an. Die kleine Luna ist brav, nur der sture Eddy muss wieder zeigen, was er für ein toller Rudelführer ist.
Andrea Schädel ist von den Hunden mehr als entzückt und versucht, Ute zu erklären, mit welcher Geste der Hund was sagen will. Schließlich ist sie „Fachfrau“ dafür. Sie hat ein Buch über „Herzbotschaften der Tiere“ verfasst. Aber Ute ist da eher die Praktische. Sie weiß, wann ihre Hunde fressen wollen und wann sie kuscheln wollen. Hauptsache sie sind glücklich!
Das Gespräch zwischen den beiden Frauen wird von zwei weiteren Damen unterbrochen, die schon leicht beschwingt eintreffen. Gitta Mikati und Mari März sind mit dem öffentlichen Nahverkehr gekommen. Sie sind sich bereits im Bus begegnet. An der Umsteigehaltestelle haben sie einen oder vielleicht gar mehrere Glühweine genossen, kalt genug ist es ja! Denn berlintypisch ist bei drei Schneeflocken der Verkehr fast zum Erliegen gekommen. Die halbe Stunde Wartezeit musste doch irgendwie überbrückt werden.
Michael Frank Kromarek hat nun sein wildes Waldbild beendet und lädt alle auf die Bühne. Drei Damen fehlen noch, die Geschwister Lucie Weber und Paula Lenz zusammen mit ihrer Mama Marika Kovacs. Aber die kommen bekanntlich immer zu spät. Sind sie doch die „Traumfrauen“. Und so eine Traumfrau muss sich ja entsprechend vorbereiten. Schminken, Klamotten aussuchen, stundenlang vorm Spiegel stehen, da kann die Zeit schon vergehen.
Plötzlich geht die Tür auf. Und da sind sie, die Traumfrauen. Sie schweben leichtfüßig den langen Gang der Standhalle entlang. Blöd nur, dass Paula neue hohe Absatzschuhe an hat und kurz vor Erreichen ihres Ziels stolpert, sich an ihrer Schwester Lucie festhält, die verliert die Balance, klammert sich an Mama Marika und die drei Grazien purzeln durch den Saal. Mama Marika ist das äußerst peinlich. Lucie tut so, als ob nichts passierte wäre. Paula kann sich vor Lachen nicht halten. Sie saust auf Cornelia Rückriegel los und erfrischt sich mit einem fruchtigen Palinka. Nachdem also dieses Ereignis verdaut ist und sich alle Gesichter wieder entspannt haben, kann es losgehen.
Aber was wollen sie überhaupt singen? Cornelia wäre ein ungarisches Lied lieb, Sebastian ist der Meinung, dass etwas in Englisch gut wäre – das versteht jeder. Allerdings scheint er das deutsche Bildungsniveau nicht zu kennen. Kurt F. Neubert möchte gern ein traditionelles Weihnachtslied lieblich präsentieren. Gitta Mikati stimmt mit ihrer stark betonten Stimme einen Diskohit an und dreht zu „Last Christmas“ von Wham voll auf. Mari März steht auf mystische Wiegenlieder – „vielleicht mit einem Drachen als Glücksbringer“ – wirft sie lautstark ein. Hanno plädiert hingegen für einen weihnachtlichen Rap. Robert Niemann und Guido Pauly sind der Meinung, man müsse Weihnachten zu einem fröhlichen Fest machen. Nicht umsonst heißt es ja „Frohe Weihnacht“. Das ist doch eindeutig!
Mittlerweile werden die Hunde von Ute Rietschel nervös. Sie schließen sich immer lauter der Diskussion an und geben ihre besten Töne von sich.
Helena Baum kann über dies alles nur den Kopf schütteln, ist aber über die Stimmung mehr als erfreut. „Was für ein Glück hier zu sein“, denkt sie sich. Sie liebt die Toskana, aber immer diese Stille, diese Einsamkeit. Da fällt ihr manchmal die Decke auf den Kopf. Hier ist endlich mal was los. Sie steht an der Seite und amüsiert sich. Marianna Posselt ist ebenso verwundert, ist sie doch aus ihrem kleinen Ort Waldstetten in der Nähe von Stuttgart anderes gewöhnt. Sie amüsiert sich total, hofft aber, dass man zu einem Ergebnis kommt, wo sie es doch unter Mithilfe gleich einer ganzen Batterie von Weckern tatsächlich geschafft hat, den Termin nicht zu versieben! Und schließlich ist sie zum Singen hier. Am Abend möchte sie noch Falkensee erkunden und sich ein Schnitzel mit einer kleinen Flasche Sekt gönnen. Damit sie alles zeitlich im Griff hat, hat sie vorsorglich noch ein paar ganz kleine Wecker in ihre Handtasche eingepackt, die in dem Moment ebenfalls ihren schrillen Tönen freien Lauf lassen!
Paula Lenz spürt allmählich die Nachwehen ihres stürmischen Entrées. Der Knöchel schmerzt, die Nerven liegen blank. Sie blickt genervt um sich. Am Bühnenrand sieht sie noch die Farbdosen von Michael Frank Kromarek stehen. Wütend läuft sie hin, nimmt sich den dicken Pinsel und schreibt in großen Buchstaben RUHE auf die Leinwand. Dann liest sie das sehr sehr laut ab, woran man merkt, dass sie, obwohl Ungarin ein so schwieriges Wort akzentfrei in den Raum schmettern kann. Es wirkt: Alle verstummen augenblicklich! Selbst Setterhund Eddy blickt ganz erschrocken aus seinen großen dunklen Augen und gibt nur noch einen kleinen Winselton von sich. Ben Vart zeigt auf die Leinwand: „Hatte ich ja gleich vorgeschlagen. Wir singen ‚Stille Nacht, heilige Nacht’. Das und nichts anderes!“
Es wird noch etwas geprobt, der Vortrag ist mehr schrill und schräg als ‚still’ und schön. Punkt 20 Uhr füllt sich der Saal. Die Lichter werden abgedunkelt. In der ersten Reihe sieht man festlich gekleidet bekannte Gesichter sitzen: Greta Ahrend, Rita Heldt, Katalin Ehrig, Karin Bauer, Erika Mühlwald, George Tenner, Peer Stone, Horst Westermann, Robert Potter, Klaus Ender, Joachim Täubert, David Lösch und viele der anderen bekannten Autoren und Mitwirkenden der Leseschau! Schließlich gibt es anschließend wieder eine ganze Menge zum Schreiben und Fabulieren, ganz beseelt von der Macht des Weihnachtsfestes!
P.S. Und ganz hinten in der letzten Reihe sitzt Dieter Alfers, der das Konzert künstlerisch aufs Papier bannt!
Anmerkung: Dies ist eine fiktive Geschichte! Das Buch zur Geschichte, in dem alle Autoren eine Weihnachtsgeschichte präsentieren gibt es in der Leseschau:
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