In diesem Blogbeitrag möchte ich die sieben großen Stolpersteine der Agilen Transformation teilen, die mir bei der Begleitung diverser Transformationen immer wieder aufgefallen sind. Mit Stolpersteinen meine ich Hürden und Verhaltensweisen, welche die Agile Transformation immer wieder ins Wanken, ab und an sogar zu Fall gebracht haben und bei ausreichender Achtsamkeit nicht hätten sein müssen. Von außen und retrospektiv betrachtet erscheinen sie nachvollziehbar und logisch werden jedoch im Wirbel der Veränderung häufig zu spät erkannt. Durch eine Sensibilisierung auf diese Themen sowie dem regelmäßigen Selbstcheck, können sie umgangen und die Agile Transformation gemeistert werden.

1. Der Agile Wasserfall

Häufig beginnt es mit einer Powerpointpräsentation. Egal ob es vorher einzelne Pilotteams gab oder nicht: wenn es an die großflächige Skalierung –und damit an die Transformation– geht wird konzeptioniert, getüftelt und geplant. Meist von externen Strategieberatern. Diese Präsentationen sehen aus meiner Erfahrung heraus alle gleich aus. 150 Seiten lang, eng beschrieben und schlank designed. Irgendwo taucht dann, als Kern der Präsentation, das neue Arbeitsmodell auf, nach dem künftig jeder Mitarbeiter und das untere/mittlere Management zu arbeiten hat. Der sogenannte Agile Wasserfall.

Der Agile Wasserfall ist ein Phänomen, welcher es erlaubt die alten Arbeitsweisen beizubehalten und „agil“ darüber zu schreiben. Wir nehmen also die Elemente des alten Systems, schieben sie etwas hin- und her, behalten ihre Beziehungen bei und schaffen damit ein System mit fast denselben Wirkungsweisen wie das Ursprüngliche. Die Kommunikations- und Informationsströme zwischen den Elementen und damit die Arbeitsweisen bleiben gleich –werden nur anders dargestellt. Nebenbei reduzieren wir die Belegschaft um 10%.

Das macht es einfach dem neuen Modell zu folgen, da sich nichts wirklich ändert. Nach ein bis zwei Jahren intensiven Einrüttelns sind wir wieder da gelandet, wo wir angefangen haben. Nur das wir bunte Post its, die eigentlich keiner mehr so richtig braucht, kleben.

Was tun?

Führen Sie keinen agilen Wasserfall ein! Verändern Sie lieber bewusst die Verhaltensmuster Ihrer Mitarbeiter. Damit rufe ich nicht dazu auf, 100% reine Agilität einzuführen, sondern dazu, keine alten Systeme zu nehmen, umzumodellieren und neu anzustreichen. Wenn Sie eine agile Transformation wünschen, dann transformieren Sie das Mindset und die Arbeitskultur Ihrer Mitarbeiter. Geben Sie einen Rahmen und Visionen vor, in welchem sich eine durch Mindset getriebene Arbeitskultur ausbreiten kann und lassen Sie sie selbst ein System finden.

2. Beseitigung von Hierarchien.

Eine der Grundannahmen der agilen Transformation lautet „Hierarchiestufen machen langsam“. Sie verschlingen über unnötige Kommunikationsebenen Zeit und verhindern schnelle Entscheidungsprozesse. Das stimmt auch –meistens.

Die Konzentration auf die notwendigen Hierarchiestufen ist essenziell für eine selbstorganisiertere und eigenverantwortlichere Arbeitskultur. Leider wird dabei häufig ein Fehler gemacht und sich damit selbst ein Stolperstein in den Weg gelegt: Mit der Beseitigung der Hierarchiestufen entsteht eine Lücke in den Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen des Unternehmens. Werden jedoch keine neuen Leitplanken sowie richtungsgebende Wegweiser aufgestellt kommt es zu einem wilden “Überkommunizieren“ und damit zu Chaos, da niemand weiß wie er zu kommunizieren hat. Um das Chaos zu beseitigen, und da es keine Rahmen von den Führungskräften gibt, finden die Mitarbeiter ihren eigenen Weg. Dieser basiert i.d.R. auf alten Verhaltensmustern, da sie diese intuitiv kennen und beherrschen. Das sind eben jene Verhaltensmuster, die wir mit der Beseitigung der Hierarchiestufen ändern wollten.

Was tun?

Kommunizieren Sie noch vor der Abschaffung der Hierarchiestufen die neuen Rahmenbedingungen und Wegweiser. Versichern Sie sich, dass diese so verstanden werden, wie Sie es intendiert haben. Machen Sie auch den Entscheidungsprozess für die neuen Strukturen transparent und optimalerweise binden Sie ihre Mitarbeiter mit ein.

3. Fehlende Befähigung der Mitarbeiter

Dieser Stolperstein betrifft alle Ebenen. Vom Vorstand bis zum Praktikanten und umfasst sowohl die fachliche als auch die methodische Befähigung.

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Unternehmen voller Dreiradfahrer. Sie haben gehört, dass Fahrradfahren jedoch deutlich schneller ist und wollen jetzt alle Mitarbeiter zu Fahrradfahrern machen. Sie designen also neue Radwege, verteilen Luftpumpen, entlassen ein paar Dreiradmanager und geben sogar extra ein neues Fahrrad in Auftrag, welches auf Ihre Bedürfnisse als Unternehmen maßgeschneidert ist. Heute ist der Tag, an dem Sie Ihr Unternehmen umstellen. Jeder Mitarbeiter hat sein neues Fahrrad, die Infrastruktur steht und die Reifen sind aufgepumpt –und was passiert? Nichts. Sie haben vergessen Ihren Mitarbeitern beizubringen wie man Fahrrad fährt.

Was passiert stattdessen? Ihre Mitarbeiter greifen wieder zu den Dreirädern, welche jetzt auf Straßen fahren, die für Fahrräder ausgelegt sind. Das ist ineffizient.

Was hätten sie tun können?

Mit dem Schwenk auf Fahrräder (einer agilen Arbeitsweise) haben Sie neue Verhaltensmuster von Ihren Mitarbeitern gefordert. Jedoch wussten Ihre Mitarbeiter nicht wie sie von den alten Verhaltensweisen zu den neuen Verhaltensweisen kommen sollen. Verstehen Sie, welche Fähigkeiten von Ihren Mitarbeitern benötigt werden, um nach neuen Verhaltensweisen zu handeln und überlegen Sie, wie Sie diese vermitteln können.

Oh! Und machen Sie ein paar Testfahrten auf Ihren neuen Fahrrädern, ehe Sie damit durchstarten wollen.

4. Bestehende Managementpraktiken

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Die Teams haben agiles Arbeiten verinnerlicht, folgen einer Vision und liefern jeden Sprint nutzbaren Wert. Aktuell steht die Budgetvergabe für das kommende Geschäftsjahr an. D.h. die Teams, respektive ihre Product Owner, müssen für ein weiteres Jahr Budget kämpfen und dabei eine konkrete Lieferung fest Zusagen. Sie comitten sich auf einen Scope von dem sie ziemlich sicher wissen, dass er nicht optimal ist. Wir haben also iterativ liefernde und kundenorientierte Team, die in sich jede Fähigkeit haben, um agil zu arbeiten, welche jedoch mit ihrer Arbeitsweise an bestehenden Managementpraktiken scheitert. Kommen weitere „altbewährte“ Praktiken, wie das Messen der Produktivität verschiedener Teams über Story Points oder die Einführung agiler KPIs hinzu ist es wie ein Anlaufen gegen Windmühlen. Das frustriert und wird dafür sorgen, dass die Mitarbeiter den Wind meiden. Entweder in dem sie sich wegducken, oder die Ebene der Windmühlen (Ihr Unternehmen) verlassen.

Was tun?

Sehen Sie Agilität nicht als reine Profitoptimierung! Befähigen Sie Ihr mittleres und Topmanagement in agilen Organisationen zu führen und gehen Sie sicher, dass diese das agile Mindset nicht nur verstanden haben, sondern aktiv und mit Mut vorleben. Fördern Sie Ihre Führungskräfte und coachen Sie sie.

5. Veraltete Architektur und Infrastruktur

Dies ist ein typischer Stolperstein in softwareorientierten Projekten, und wirkt sich häufig erst mit der fortschreitenden Transformation aus, wenn die Organisation anfängt produktorientiert zu arbeiten. Eine produktorientierte Arbeitsweise bedingt eine neue Team- und damit Verantwortungsaufteilung für die bestehende technische Infrastruktur. Zusätzlich wird die Projektarchitektur einer im Team liegenden Verantwortlichkeit häufig nicht gerecht, da sowohl die Infrastruktur als auch die Architektur im vorherigen System prozessorientiert entwickelt wurde. Diese prozessorientierten Subsysteme stoßen nun auf produktorientierte Teams und behindern sich gegenseitig. Ist die Organisation nicht willig oder in der Lage die bestehende Architektur und Infrastruktur zu ändern wird sich das volle Potenzial der agil arbeitenden Teams nicht entfalten können.

Was tun?

Seien Sie sich bewusst, dass sich eine Agile Transformation auch auf Ihre technische Architektur und Infrastruktur auswirkt. Akzeptieren Sie die Chance, die sich Ihnen bietet Ihre technischen Systeme umzustellen und für die weitere Zukunft auszurichten. Microservices und dezentrale Strukturen werden den Arbeitsweisen agiler Teams häufig gerecht.

6. Politik und fehlende Transparenz

Der schleichende Killer jeder (agilen) Transformation verbirgt sich meiner Erfahrung nach in interner Politik und fehlender Transparenz. Nichts schadet einer Organisation mehr, als wenn einzelne Personen ihre individuellen Ziele verfolgen (hidden agenda), um ihren Status zu sichern und ihre Macht zu mehren. Zusätzlich werden Entscheidungen in Hinterräumen getroffen und selbst dann, wenn sie bereits gefallen sind nicht für alle transparent gemacht, um sich nicht angreifbar zu machen. Doch woran liegt das? Der Ursprung verortet sich in der eigenen Organisationskultur. In einem System der automatischen Beförderung bei fehlerfreiem Verhalten, wie es häufig in Großunternehmen der Fall ist, wird jeder Fehler bestraft und mit ausgestrecktem Finger angeprangert. Verständlicherweise möchten die Mitarbeiter sichtbare Fehler vermeiden und neigen damit zu Politik und Intransparenz.

Was tun?

Fordern und fördern sie absolute Transparenz gegenüber allen sowie eine wertschätzende Fehlerkultur. Das mag ungewohnt sein und ist unbequem für den Einzelnen. Gleichzeitig sorgt die Transparenz dafür, dass viele bisher unterschwellige Konflikte ans Licht kommen. Es erscheint, als würden während der Transformation die Konflikte ansteigen –was nicht stimmt. Vielmehr kommen sie ans Tageslicht und öffnen die Chance beseitigt zu werden. Seien Sie selbst Vorbild, zeigen Sie Transparenz, geben Sie offen Fehler zu, halten Sie Konflikte aus und Ermutigen Sie ihre Kollegen. Daran werden Sie selbst und Ihr Unternehmen wachsen!

7. Fokus auf Tools und Prozesse statt auf Mindset und Produkte

„Welches Tool nutzen wir?“, „Wie bauen wir unser Taskboard?“ sind zwei der häufigsten Fragen, die ich von Teams und Managern zu Beginn eines Projektes und der Agilen Transformation höre. Es geht nicht darum, welches Tool wir benutzten oder wieviel Spalten unser Taskboard hat, sondern darum, was wir damit erreichen wollen. Um dies zu beantworten brauchen wir eine klare Vision, ein klares Verständnis von unseren Kunden sowie eine klare Vorstellung unseres Produktes. Wenn dies definiert ist können wir ein Team zusammenstellen, Prozesse bilden, Tools wählen und Taskboards bauen.

Was tun?

Fangen Sie mit dem Wichtigen an. Überlegen Sie sich, wie Ihre Unternehmenskultur und das Mindset Ihrer Mitarbeiter in fünf bis zehn Jahren aussehen soll. Überlegen Sie sich, wer Ihre Kunden sind und wen Sie gerne als Ihre Kunden hätten. Dann überlegen Sie, wie sie beides erreichen können. Befähigen Sie Ihre Teams und Ihr Management durch Trainings, Sparrings, und einer aktiven internen Community Verständnis für ein agiles Mindset und eine Produktsicht aufzubauen. Lassen Sie nicht nach. Ständige Wiederholung ist an dieser Stelle ihr größter Freund.

Das sind die für mich sieben bedeuteten Fallstricke und Hindernisse, die eine Agile Transformation scheitern lassen können. Wenn Sie jedoch alle Aspekte beachten und in eine ständige Reflektion gehen haben Sie gute Chancen, eine erfolgreiche Transformation durchzuführen. Aber leider keine Garantie.

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