Alkoholismus im Alter sei zwar kein Randproblem, liege aber dennoch weithin außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung, auch weil älteren Menschen kein Verlust des Arbeitsplatzes mehr drohe, so Kerstin Knorr, Suchttherapeutin und Leiterin der Suchtberatungs- und Behandlungsstelle (SBB) des Advent-Wohlfahrtswerkes in Chemnitz. Als Konsument seien Rentner jedoch immer noch interessant und das nicht nur für Anbieter von Kreuzfahrten. Allerdings hätten die Familienangehörigen in der Regel unter dem Alkoholproblem besonders zu leiden. Nicht umsonst gehöre es zu den gut gehüteten Geheimnissen in vielen Familien. Das Advent-Wohlfahrtswerk (AWW) ist das Sozialwerk der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland.

„Er lebt schon seit einigen Jahren allein“, schildert Kerstin Knorr eine der vielen Geschichten von älteren Menschen mit einem Suchtproblem. Die Kinder sind längst raus und haben ihr eigenes Leben. Seine Frau ist viel zu früh verstorben, dabei hatten sie noch so viel vor. Reisen wollten sie und ihr Heim genießen, dass sie fast abbezahlt haben. Aber es kam anders. Da er schon immer einem guten Tropfen nicht abgeneigt war und es in seinem Beruf immer wieder Gelegenheiten zum Anstoßen gab, war der „Tröster“ aus der Flasche über den erlittenen Verlust naheliegend. Wenn er bisher vielleicht hin und wieder etwas zu viel trank, geschah das nun regelmäßig. Kaum jemand nahm die Veränderungen wahr, zumal man ihn ja nur noch selten sah. Erst als er äußerlich etwas heruntergekommen, unrasiert und mit ungepflegtem Haar nun fast täglich seinen Beutel Bierflaschen heimtrug munkelten die Nachbarn, dass er offensichtlich ein Problem hat – ein Alkoholproblem.

Gründe für Alkoholprobleme im Alter

Als Gründe, warum Alkohol im Alter zu einem Problem werden könne, nennt die Suchttherapeutin alterstypische Übergänge und kritische Lebensereignisse, wie Verrentung, Umzug, Partnerverlust, chronische Schmerzen oder psychosomatische Erkrankungen. Zudem könnten verordnete Medikamente mit Suchtpotential vor allem bei Schmerzpatienten in eine Abhängigkeit führen.

Andere Konzepte bei Suchterkrankung im Alter erforderlich

Es gebe allerdings einen Unterschied zwischen einer Suchterkrankung im Alter und in jüngeren Jahren, betont Kerstin Knorr. Wenngleich die Symptome einer Suchterkrankung aller Betroffenen Übereinstimmungen zeigten, gebe es im fortgeschrittenen Alter gravierende Unterschiede. Physiologisch gesehen führe die verminderte Suchtmitteltoleranz aufgrund des verlangsamten Stoffwechsels bei älteren Menschen zu signifikant höherem Blutalkohol, was wiederum die Lebenszeit deutlich verkürzen könne.

Die üblichen Hilfesysteme wie Suchtberatungsstellen wären mit ihren Konzepten und Angeboten eher auf die jüngere Bevölkerung orientiert, berichtet die Leiterin der SBB in Chemnitz. Wie die Suchterkrankung selbst unterscheide sich im Alter auch die Beratung und Behandlung von denen jüngerer Menschen. In der zweiten und dritten Lebenshälfte gehe es auch nicht mehr um Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Vielmehr gehe es um spezifische Risiken im Alter, die auch andere Anknüpfungspunkte für Prävention und Therapie notwendig machten.

Im Unterschied zu Jüngeren sei das Ziel bei älteren Menschen nicht unbedingt die radikale Verhaltensänderung im Sinne absoluter Abstinenz, meint Kerstin Knorr. Abstinenz wäre bei Hochbetagten und Pflegebedürftigen unter Umständen sogar mit starkem Schmerzgeschehen verbunden. Es müssten auch nicht immer Diagnosen gestellt oder langwierige Therapien verordnet werden. Vielmehr gehe es um die Senkung gesundheitlicher Risiken durch eine Verminderung des Alkoholkonsums und eine Verbesserung der Lebensqualität, wenngleich mitunter nur bedingt oder auf verhältnismäßig niedrigerem Niveau. Dabei sei individuell zu klären, ob und wie sich das Suchtverhalten des Betroffenen auf seine Gesundheit und Lebensqualität auswirke. Das erfordere Einfühlungsvermögen und Wertschätzung gegenüber den Betroffenen.

Hilfe für ältere Menschen mit Alkoholproblemen

Die Hilfe geschehe in der Regel in Kooperation mit dem Seniorensozialdienst des Sozialamtes, den gesetzlichen Betreuern und begleitenden Diensten, sowie in Zusammenarbeit mit Angehörigen oder Pflegepersonen, das Einverständnis des Betroffenen vorausgesetzt, informierte die Suchttherapeutin.

In der Beratung würden zunächst die psychosoziale Situation und die Kontextfaktoren geklärt. In einem zweiten Schritt werde versucht die verbliebenen Ressourcen zu aktivieren, um einen Zugewinn an Lebensqualität zu erreichen. Ein dritter Schritt sei die Rückfallprophylaxe.

Die Beratung erfolge überwiegend im Hausbesuch und werde kombiniert mit offenen Angeboten wie beispielsweise der Besuch von Tagestreffs, was zudem die soziale Kontaktaufnahme anrege.

Suchtberatung- und Behandlungsstelle Chemnitz

Die Suchtberatungs- und Behandlungsstelle (SBB) des Advent-Wohlfahrtswerkes in Chemnitz, Hans-Sachs-Str. 9 (www.suchtberatung-chemnitz.de), sei solch ein Anlaufpunkt für ältere Menschen mit einem Suchtproblem. Dort habe man sich mit der Teilnahme am Bundesmodell „Sucht im Alter“ dieser besonderen Aufgabe gewidmet und biete, laut Kerstin Knorr, gezielt Beratung für ältere Menschen an.

Die Suchttherapeuten wären ausgebildet und auch erfahren im Umgang mit suchtkranken älteren Menschen. Man könne sich telefonisch oder in einem Erstgespräch für eine fachliche Suchtberatung anmelden. Alles Weitere ergebe sich dann daraus.

Nicht nur Suchtabhängige, auch Fachkräfte in der Sozialarbeit oder aus der Pflege sowie aus anderen sozialen Berufen könnten sich jederzeit im konkreten Einzelfall zu Suchtproblemen im Alter an die SBB in Chemnitz wenden. Die SBB biete Informationen, fachliche Beratung und die Möglichkeit der konkreten Einzelfallhilfe an.

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