Staatsministerium in der Reuschle-Affäre für nicht zuständig
In einem Schreiben vom 13. Dezember 2019 an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erklärte die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Sachverhalt und forderte das Eingreifen der Politik. Das Staatsministerium sah sich jedoch nicht als zuständig an und leitete das Schreiben an das zuständige Justiz-Ressort weiter. Das Ministerium von Guido Wolf (CDU) übergab den Fall kurz vor Weihnachten 2019 an den Präsidenten des Landgerichts Stuttgart. Hier liegt nun die Forderung der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, Disziplinarmaßnahmen gegen Richter Sonn einzuleiten, weil er seine Verbindung zur einer Automobil-Kanzlei nicht öffentlich gemacht hat. Bisher Funkstille aus Stuttgart.
Richter Dr. Sebastian Sonn war früher tätig für Kanzlei Gleiss Lutz
Doch wie kam es zu diesem Justiz-Skandal: Die juristischen Vertreter der Daimler AG haben Anfang Dezember 2019 einen Befangenheitsantrag gegen Richter Reuschle gestellt, nachdem Reuschle 21 Verfahren im Diesel-Abgasskandal gegen Daimler zusammenfassen und entscheidende Fragen dem Europäischen Gerichtshof EuGH in Luxemburg zur Vorabentscheidung vorlegen wollte. Richter Reuschle hat nun das Verfahren abgegeben und Richter Dr. Sebastian Sonn hat die Regie im Prozess übernommen und alle weiteren Verhandlungen erst einmal aufgehoben. „Doch Sonn muss selbst als befangen angesehen werden“, führte Stoll weiter aus, der mit seiner Kanzlei eines der 21 Verfahren gegen die Daimler AG betreut. Zwischen Sonn und Daimler gibt es eine Verbindung. Sonn war mindestens bis Mai 2016 für die Kanzlei Gleiss Lutz Hootz Hirsch aus Stuttgart tätig und offensichtlich auf kartellrechtliche Fragen spezialisiert (hier). Laut Recherche des Handelsblattes war Sonn für die Kanzlei zwischen April 2013 bis September 2016 tätig. Er arbeitete für den Gleiss-Lutz-Partner Ulrich Denzel am Standort Stuttgart. Gleiss Lutz hat Daimler im Jahr 2016 in einem kartellrechtlichen Verfahren zur Abgastechnik beraten und wohl auch für den Autobauer eine Selbstanzeige auf den Weg gebracht. In dem Verfahren wird Autobauern wie VW und Daimler vorgeworfen, Absprachen über die Größe der Adblue-Tanks getroffen zu haben.
„In Stuttgart wird Recht und Gesetz gebrochen“, bilanziert Dr. Ralf Stoll empört. Die ursprünglichen 21 Verfahren, um die es ging, wurden am 13. November 2019 verhandelt. Am 3. Dezember 2019 sollte erneut verhandelt werden. In allen Verfahren stellte die Daimler AG jedoch Befangenheitsanträge. Daraufhin hob Richter Sonn den Termin am 3. Dezember auf und forderte den Einzelrichter Reuschle außerdem zu einer dienstlichen Stellungnahme auf. Sonn verlor kein Wort darüber, dass er bei der Daimler-Kanzlei Gleiss Lutz tätig gewesen war. „Nach § 48 ZPO hätte er zunächst anzeigen müssen, dass er selbst befangen ist. Vielmehr hat er Verfahrenshandlungen vorgenommen, die er nach dem Gesetz gar nicht hätte vornehmen dürfen“, erklärte Stoll weiter.
Kanzlei Dr. Stoll & Sauer unterstützt Vorlage an EuGH
Richter Reuschle wollte 21 Einzelverfahren gegen die Daimler AG bündeln und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg wichtige Fragen im Abgasskandal zur Vorabentscheidung vorlegen. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer aus Lahr ist selbst mit einer Klage in den Fall involviert (Az. 22 O 105/19) und unterstützt die Sammelvorlage des Richters an den EuGH. „Der Gang an den Europäischen Gerichtshof ist richtig und längst überfällig“, betonte Dr. Ralf Stoll. Schließlich gehe es im Skandal um die Einhaltung von europäischen Normen. Zudem behindern Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und das Bundesverkehrsministerium eher die Aufklärung im Diesel-Abgasskandal, anstatt sie zu beschleunigen, kritisierte Stoll die Behörden. Das KBA weigere sich beispielsweise, Prüfungsunterlagen zu Rückrufe an Gerichte zu übergeben. Vor diesem Hintergrund sei der Gang zum EuGH besonders sinnvoll. Die Daimler-Anwälte haben jetzt mit einem Befangenheitsantrag reagiert, über den jetzt das Landgericht Stuttgart entscheiden muss.
Im Kern geht es Richter Reuschle um drei Fragen:
- Ist das in den Fahrzeugen der Daimler AG verbaute sogenannte „Thermofenster“ eine illegale Abschaltvorrichtung?
- Sind die Grenzwerte der Euro-Normen nur auf den Prüfständen einzuhalten und ist es damit praktisch egal, was im Realbetrieb aus dem Auspuff herauskommt? So zumindest argumentiert die Automobilindustrie.
- Sollen die Verbraucher bei der Rückgabe ihres Diesel-Fahrzeugs den vollen Kaufpreis erstattet bekommen? Muss der Verbraucher eine Nutzungsentschädigung bezahlen?
Wer ist überhaupt der Richter Dr. Fabian Richter Reuschle?
Der Stuttgarter Richter Fabian Richter Reuschle ist im Diesel-Abgasskandal der Schrecken der Automobilindustrie. Er hat sich in den vergangenen Jahren intensiv in den Dieselskandal eingearbeitet und interessante Urteile gefällt, die die rechtliche Landschaft in Deutschland beeinflussten. Er betreute Klagen von VW Aktionären, die den Konzern auf Schadensersatz verklagten. Die Kläger sahen sich durch den VW-Vorstand zu spät über den Abgasskandal informiert und auf diese Weise hätten ihre Aktienpakete über Gebühr an Wert verloren. Im Herbst 2018 verurteilte der Richter den Volkswagen-Eigentümer Porsche SE zu 47 Millionen Schadensersatz. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Richter Reuschle wollte auch einen großen Prozess, in dem VW-Vorstände vorgeladen werden sollten, damit sie die entscheidenden Fragen beantworten, wer was angeordnet und vor allem, wer alles über die Softwaremanipulation Bescheid gewusst hatte.
Volkswagen schlug mit Kanzlei SZA zurück / Verfassungsbeschwerde
Die VW-Holding, Porsche SE und Volkswagen versuchten bereits frühzeitig, in den Anlegerverfahren den Richter mit Befangenheitsanträgen zu stoppen. Kompetenzüberschreitungen und Selbstprofilierung warfen die Autobauer dem Richter vor. Mit einem ersten Befangenheitsantrag scheiterte VW auch in zweiter Instanz am Oberlandesgericht Stuttgart. Als die Ehefrau von Richter Reuschle Ende 2018 VW auf Rückabwicklung eines Fahrzeugkaufs verklagte, witterte der Konzern seine erneute Chance. Unterstützung holten sich die Autobauer dabei von der Kanzlei Schilling Zutt & Anschütz – und erwirkten in 195 Verfahren am Landgericht Stuttgart die Ablösung des Richters. Der hatte übrigens die Klage seiner Frau selbst offengelegt. In der Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz arbeitete übrigens der kommende Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, der seit knapp einem Jahr dem Ersten Senat vorsitzt. Harbarth war bei SZA bis zu seinem Wechsel ans Bundesverfassungsgericht Geschäftsführer. An dieser Verbindung, die auch einen Hauch von Befangenheit in sich trägt, nahm politisch bei der Wahl Harbarths zum Verfassungsrichter niemand Anstoß. Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat jedoch im Namen ihrer Mandanten am 28. November 2019 Verfassungsbeschwerde gegen die Ernennung von Stephan Harbarth zum Richter am Bundesverfassungsgericht eingelegt. Mehr dazu auf www.staatshaftung.eu.
Bei der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH handelt es sich um eine der führenden Kanzleien im Abgasskandal. Die Kanzlei ist unter anderem auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Die Kanzlei führt mehr als 2000 Verfahren gegen verschiedene Autobanken wegen des Widerrufs von Autokrediten. Im Widerrufsrecht bezüglich Darlehensverträgen wurden mehr als 5000 Verbraucher beraten und vertreten. Daneben führt die Kanzlei mehr als 12.000 Gerichtsverfahren im Abgasskandal bundesweit und konnte bereits hunderte positive Urteile erstreiten.
In dem renommierten JUVE Handbuch 2017/2018, 2018/2019 und 2019/2020 wird die Kanzlei in der Rubrik Konfliktlösung – Dispute Resolution, gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten besonders empfohlen für den Bereich Kapitalanlageprozesse (Anleger). Die Gesellschafter Dr. Ralf Stoll und Ralph Sauer führen in der RUSS Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) außerdem die Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG. Im JUVE Handbuch 2019/2020 wird die Kanzlei deshalb für ihre Kompetenz beim Management von Massenverfahren als marktprägend erwähnt.
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