Herr Blackburn, ist die Logistik bereit für den Brexit?
Ja, denn wir haben die vergangenen Jahre genutzt, um uns bestmöglich darauf vorzubereiten. Probleme bleiben dennoch, vor allem weiß bis zum heutigen Tage niemand, wie die Briten den Brexit im Detail und in der Praxis ausgestalten werden. Die meisten Unternehmen sind von der höchsten Eskalationsstufe ausgegangen: einem No-Deal-Brexit. Entsprechend haben sie bereits ihre Güterströme überall dort, wo es möglich war, verlagert oder ihre Läger für eine Übergangszeit entsprechend bevorratet. Der französische und der britische Zoll haben im vergangenen Jahr zudem getestet, wie sich der Lkw-Verkehr auf beiden Seiten des Eurotunnels im Falle einer Zollabfertigung verhalten würde. Das Ergebnis: Wenn Frachttransporte, die im Vorfeld angemeldet werden, mit einem entsprechenden Barcode versehen die Grenze passieren, können sie schnell geprüft werden und der Lkw-Verkehr bleibt im Fluss. Doch ganz gleich, wie effizient die Zollbehörden auch arbeiten werden – die Grenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wird eine Bruchstelle im ansonsten freien Warenverkehr darstellen und wird für beide Seiten – Briten und EU-Länder – Nachteile bringen.
Sind mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU möglicherweise auch Chancen verbunden?
Durchaus. Denn gerade der schwebende Brexit hat dazu geführt, dass Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals ihre etablierten Supply Chains genau analysiert haben. Und damit ist stets die Chance verbunden, Abläufe nicht nur anzupassen, sondern auch zu optimieren. Für viele Unternehmen war der Brexit außerdem ein wichtiger Treiber der digitalen Transformation ihrer Prozesse, und die positiven Auswirkungen dieser Entwicklung werden noch weit über den Austritt Großbritanniens aus der EU hinaus spürbar sein. Zudem wird beispielsweise derzeit auf EU-Ebene diskutiert, neue Fährverbindungen zwischen Irland und dem europäischen Festland einzurichten, um den Zwischenstopp über England zu vermeiden. Die Wirtschaftswege werden sich künftig verändern und beispielsweise europäische Häfen statt – wie bislang – die englischen verstärkt zur ersten Anlaufstelle für Überseetransporte werden. Kurz: Der Markt wird sich auch diesen veränderten Gegebenheiten anpassen. Die Logistikspezialisten aus Industrie, Handel und Dienstleistung sind bestrebt, das Beste aus der Situation zu machen. Aber wir werden wohl erst am Ende des Jahrzehnts abschätzen können, welche Auswirkungen uns der Brexit wirklich beschert hat.
Was sind Ihrer Meinung nach die nächsten Herausforderungen auf internationaler Ebene für die Logistik?
Vor allem Handelskonflikte, daraus resultierende protektionistische Maßnahmen und dirigistische Eingriffe von Staaten in wirtschaftliches Handeln werden uns in diesem Jahr zehnt beschäftigen. Es ist eine paradoxe Mischung aus weitreichenden Freihandelsabkommen auf der einen Seite und parallel erhobenen Zöllen auf der anderen, die in einem krassen Widerspruch zu funktionierenden globalen Supply Chains stehen, auf die wir unsere Wirtschaft heute ganz ausgerichtet haben. Die sich ändernden Rahmenbedingungen können zu einer belasteten Stimmung auf Unternehmerseite führen. Zurückhaltende Investitionen wären eine mögliche Folge. Doch es gibt auch genügend Lichtblicke: Der Arbeitsmarkt erweist sich noch als vergleichsweise robust und die kontinuierliche Suche nach Fachkräften zeigt, dass Unternehmen weiterhin in Personal investieren wollen. Zudem dürften die in Verbindung mit den Klimaschutzzielen nötigen Investitionen der Wirtschaft Auftrieb geben. Nicht die größte Herausforderung, aber die wichtigste Aufgabe der Logistik ist es darum, weiterhin mutig und ideenreich ihr Geschäft zu gestalten. Und was das angeht, bin ich sehr zuversichtlich.
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