Die Bedarfslagen und Interessen von Eltern und Kindern sind heterogen. Sie lassen sich also nicht mit einer Maßnahme lösen – sondern nur mit einem Maßnahmenpaket. Es bedarf langfristiger Lösungen zur Absicherung der Sorgearbeit für die Dauer der Pandemie, zugleich dürfen sich die in der Krise gefundenen Zwischenlösungen nicht manifestieren. Es geht nicht ausschließlich um ein Betreuungsproblem, das zur Sicherstellung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Abläufe in Betrieben und Unternehmen gelöst werden muss, sondern auch um die Gewährleistung von Kinder- und Elternrechten.
Daher ist es erstens wichtig, eine Kinderrechts- und Kindeswohlperspektive einzunehmen. Kindeswohladäquate Betreuungsangebote dienen dazu, Bildungsrechte zu gewährleisten. Kindeswohl braucht nicht nur formale Bildung, sondern auch Persönlichkeitsentwicklung durch Sozialkontakte und Freizeitgestaltung in der eigenen Altersgruppe. Die Einschränkung dieser Bedürfnisse durch die (Einzel)betreuung im elterlichen Haushalt ist für Kinder eine gravierende Einschränkung ihrer Rechte.
Zweites ist Kinderbetreuungszeit qualitativ anspruchsvolle Zeit. Eltern, die das Dilemma zwischen Erwerbstätigkeit und Betreuungsverantwortung nicht gut auflösen können, werden diesen Anforderungen auf Dauer nicht gerecht. Insbesondere Alleinerziehenden, die überwiegend Frauen sind, droht
gesundheitliche Überlastung.
Den Bedarfen von Kindern und den Mehrfachbelastungen von Eltern muss daher mit geeigneten Maßnahmen entgegengewirkt werden.
Auch wenn die Entschädigungsansprüche im Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) ein erster wichtiger Schritt sind, sollten Eltern eigene Optionen eingeräumt werden, ihre Erwerbs- und Sorgearbeitssituation (mit)zugestalten. Aktuell setzt die Entschädigung nach § 56 IfSG eine Entscheidung voraus, die von anderen (Behörden oder Arbeitgebern) getroffen wird. Der elterlichen Verantwortung, ein am Kindeswohl ausgerichtetes Betreuungssetting selbst zu gestalten, wird ein reiner Entschädigungsanspruch nicht gerecht.
Die aktuell getroffenen Maßnahmen richten sich an alle Eltern, sie können sich aber aufgrund tradierter Geschlechterrollen unterschiedlich auf Mütter und Väter auswirken. Einem Retraditionalisierungsschub in Bezug auf familiale Rollenverteilungen gilt es entgegenzuwirken und die beiderseitige Verantwortung von Elternpaaren für die Sorgearbeit zu betonen, diese auch einzufordern bzw. zu ermöglichen.
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) empfiehlt folgende Maßnahmen, um den genannten Herausforderungen in der aktuellen Situation gerecht zu werden:
1. Der djb spricht sich dafür aus, die öffentliche Kinderbetreuung so bald wie möglich für Kita- und Grundschulkinder (unter Berücksichtigung hygienischer Standards, sowie Anpassungen von Gruppengrößen) wieder aufzunehmen und dieses Ziel mit besonderer Priorität zu verfolgen. Optimal wäre eine am Bedarf der Familien orientierte kontinuierliche Betreuung aller Kinder in geeigneten Betreuungseinrichtungen mit fest zugeordneten Fachkräften. Solange nur eine Notbetreuung sichergestellt werden kann, muss diese auf alle Alleinerziehenden (unabhängig von der »Systemrelevanz«), auf Kinder mit besonderem
Förderbedarf (z.B. sprachlich, sozialpädagogisch, aufgrund von Behinderung) und auf Elternpaare, die beide in Vollzeit arbeiten, ausgeweitet werden, auch dann wenn (teilweise) im Homeoffice gearbeitet wird. Besonders belastende Unterbringungsbedingungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Der djb empfiehlt, länderübergreifende Absprachen zu den Kriterien und Ansprüchen schnell zu treffen.
2. Anhaltende Kita- und Schulschließungen wirken sich auf die Bildung und Teilhabe von Kindern, je nach sozioökonomischem Status der Familien, unterschiedlich aus. Es ist entscheidend, diese Tatsache im Blick zu behalten und jetzt alle Möglichkeiten auszuschöpfen, Kindern in schwierigen Lebenssituationen Freiräume, Sozialkontakte und Bildungsangebote zu ermöglichen. Die Erweiterung des Kinderzuschlags war ein wichtiger Schritt, ebenso die Verankerung einer Einmalzahlung für digitale Schulbedarfe, auch wenn letztere die tatsächlichen Bedarfe nicht abdecken dürfte. Eine bundeseinheitliche Ausweitung des Bildungsund Teilhabepakets in der Krise ist unabdingbar und sollte zeitnah und unbürokratisch erfolgen, zum Beispiel in Form einer höheren Einmalzahlung direkt an die Eltern, durch die Übernahme weiterer Mitgliedsbeiträge (auch für Online-Angebote) pro Kind und klarer Anweisungen zur bedarfsdeckenden Bewilligung von Tablets oder Laptops für den (Homeschooling) Schulbedarf.
3. Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Betreuung ist derzeit für alle Eltern schwierig, ob »systemrelevant«, mit oder ohne Anspruch auf
Notbetreuung, im Homeoffice oder in Schichtarbeit im Betrieb. Die bisher gefundene wichtige Lösung, betreuungsbedingte unvermeidliche Verdienstausfälle für sechs Wochen über § 56 Abs. 1a) IfSG abzusichern, läuft für die
Nutzer*innen der ersten Stunde demnächst faktisch aus. Kinderbetreuung parallel zum Homeoffice zu leisten, ist Eltern und Kindern allenfalls für kurze Übergangsphasen zumutbar. Diese Wertung zu § 56 IfSG überfordert zumindest Alleinerziehende und Familien mit mehreren (Klein-)Kindern. Zudem bezieht sich der Entschädigungsanspruch nicht auf verminderte Einnahmen, sondern greift nur bei vollem Verdienstausfall. Nicht für alle Eltern wird sich die Situation durch Notbetreuung, Wiederöffnung der Schulen und weitere Betreuungsvarianten sinnvoll lösen lassen. Daher sind weitergehende Maßnahmen erforderlich.
Der djb unterstützt die Forderung nach besseren Möglichkeiten einer temporären Arbeitszeitreduzierung, die mit einer steuerfinanzierten
Lohnersatzleistung flankiert werden sollten. Empfohlen wird die Anlehnung an die stufenweise ansteigende Entgeltersatzquote beim Kurzarbeitergeld. Um eine Benachteiligung von verheirateten Frauen und nicht verheirateten Eltern zu vermeiden, sollte diese Leistung anhand der Steuerklasse IV berechnet werden.
Hierbei sollte – über eigene Rechte und Ansprüche – die Position der Eltern gestärkt werden, auch in der Krise Erwerbs- und Betreuungsverantwortung mit bzw. selbst zu gestalten. Die hier vorgeschlagenen Ansprüche können nur eine vorübergehende (Not-)Lösung sein, die die Dringlichkeit der
schnellstmöglichen Öffnung der Kitas und Grundschulen nicht relativiert.
Hierzu stehen verschiedene gesetzgeberische Wege offen: Eine Verankerung dieses Anspruchs könnte beispielsweise über eine Erweiterung des § 56 Abs. 1a IfSG erfolgen oder auch im Elterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) angesiedelt werden. Ebenso denkbar ist eine arbeitsrechtliche Flankierung über zusätzliche Teilzeit- oder Freistellungsansprüche (Betreuungstage/-stunden), auch jenseits des Erholungsurlaubs.
Folgende Aspekte sollten hierbei beachtet werden:
– Die Ausgestaltung sollte Eltern (Mit)gestaltungsrechte (auch im Verhältnis zum Arbeitgeber) eröffnen. Sie sollten Retraditionalisierungsrisiken begegnen und paritätische Sorgearbeitsteilungen von Elternpaaren fördern (etwa in Anlehnung an das ElterngeldPlus).
– Ansprüche sollten nicht nur bei vollem Verdienstausfall, sondern auch für Einbußen infolge von Arbeitszeitreduktionen bereitstehen. Die
Lohnersatzleistung sollte auch Selbständigen offenstehen.
– Es sollten klare und transparente Zumutbarkeitskriterien für die Betreuung in Homeoffice (Grundschulalter, Kinderanzahl, Rückgriff auf weitere zumutbare Betreuungspersonen etc.) geschaffen werden.
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