Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, betont: „Das Thema ‚Widerspruch ertragen – der Ertrag des Widerspruchs‘ ist ein Plädoyer dafür, auch unter schwierigen Bedingungen mit Ambivalenzen umzugehen. Gerade aus Widersprüchen können fruchtbare Kräfte erwachsen, die Vielfalt ermöglichen und zu Reflexion und neuen Erkenntnissen anregen. Entgegen den weltweit erstarkenden populistischen Tendenzen setzt funktionierende Demokratie auf kritische Diskurse. Die Preisträgerinnen und Preisträger der Goethe-Medaille 2020 geben herausragende Beispiele für die Kraft kritisch reflektierender Kunst und den offenen internationalen Kulturaustausch, der Widersprüche nicht scheut, sondern als Chancen erkennt.“
Die Goethe-Medaille wird traditionell an Goethes Geburtstag, dem 28. August, in Weimar verliehen. Begleitveranstaltungen finden dazu gemeinsam mit dem Kunstfest statt. In diesem Jahr wird die endgültige Organisation in den kommenden Wochen bekanntgegeben.
Die Begründung der Preisvergabe
Elvira Espejo Ayca, geboren 1981 in Bolivien, ist Direktorin des National Museum of Ethnography and Folklore (MUSEF) in La Paz und zudem Künstlerin — Dichterin, Essayistin, Musikerin und Weberin. Die Kommission der Goethe-Medaille ehrt Elvira Espejo Ayca als „wahre Brückenbauerin, die wertvolle kulturelle Vermittlungsarbeit leistet: zwischen Lateinamerika und Europa, dem modernen Bolivien und seiner kolonialen Vergangenheit, zwischen den eigenen indigenen Traditionen und anderen Kulturen, zwischen den künstlerischen Disziplinen und Generationen. In der Auseinandersetzung mit Ambivalenzen entwickelt sie ihre besondere kreative Kraft.“ Ian McEwan, geboren 1948 in England, ist einer der bedeutendsten, international geachteten Gegenwartsschriftsteller. „Sein literarisches Schaffen ist vom Wesen des Widerspruchs und der kritischen, tiefenpsychologischen Reflexion gesamtgesellschaftlicher Phänomene durchdrungen wie etwa den Themen Klimawandel, künstliche Intelligenz und Moral in der Wissenschaft. Trotz harscher Angriffe im eigenen Land setzt er sich zudem offen gegen engstirnige Nationalismen ein und tritt als leidenschaftlicher Pro-Europäer auf“, heißt es in der Begründung der Jury. Zukiswa Wanner, 1976 in Sambia geboren, ist Schriftstellerin, Journalistin und Verlegerin. „Ihr Selbstverständnis als ‚African writer‘ bedeutet, über nationale Grenzen hinaus zu schreiben und zugleich die Vielfalt afrikanischer Kulturen in die künstlerische Arbeit einfließen zu lassen. Ihre detaillierte Kenntnis der südafrikanischen Literatur wie auch ihr differenziertes Verständnis für regionale Diskurse und afrikanische weibliche Identität machen sie zu einer international gefragten Expertin und zum Vorbild einer ganzen Generation afrikanischer Schriftsteller*innen“, so die Jury.
Über die Preisträger*innen 2020
Elvira Espejo Ayca, geboren 1981 in der Provinz Avaroa im Department Oruro, Bolivien, wuchs in einem indigenen Dorfverband auf. Früh wehrte sie sich gegen traditionelle Konventionen, die ihr eine höhere Bildung und berufliche Qualifikation untersagten. Ihre Entscheidung für Bildung und Beruf führte zum Bruch mit ihrer Familie und ihrem Dorf. 2004 studierte sie Kunst an der Akademie der schönen Künste „Hernando Siles“ in La Paz. Ihre indigenen Wurzeln vergaß sie nie, sondern flocht sie immer wieder in ihre Arbeiten und Projekte ein. 2005 war sie Ko-Dozentin für „nicht-geschriebene Sprachen in den Anden“ im Programm „Duke en los Andes“. In Zusammenarbeit mit dem Musiker Álvaro Montenegro nahm sie traditionelle Gesänge und Dialoge indigener und urbaner Musikinstrumente auf. 2010 bis 2011 beteiligte sie sich an der Ausstellung „Das Potosí Prinzip“ im Haus der Kulturen der Welt mit anschließenden Stationen in Spanien und Bolivien. Darauf wurde sie Mitglied im Direktorium des Instituto de Lengua y Cultura Aymara (ILCA) und 2013 Direktorin des MUSEF in La Paz. Heute hat sie dieses Museum zu einem der wichtigsten Kulturtreffpunkte Boliviens gemacht.
Ian McEwan, geboren 1948 im englischen Aldershot, wuchs als Sohn eines schottischen Majors u.a. in Singapur, Libyen und Deutschland auf, studierte englische Literatur an der University of Sussex in Brighton sowie an der University of East Anglia in Norwich. Ian McEwan ist heute einer der renommiertesten Gegenwartsschriftsteller und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Man Booker Prize, dem National Book Critics Circle Award oder dem Los Angeles Times Book Prize. Zwölf seiner Erzählungen wurden verfilmt, u.a. „Abbitte“ (2007), der sieben Oscar-Nominierungen erhielt. Im Jahr 2000 wurde Ian McEwan der britische Ritterorden „Commander of the Order of the British Empire (CBE)“ verliehen. 2011 erhielt er den „Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft“. Auch im deutschsprachigen Raum wurden ihm bedeutende Preise zuerkannt wie der Shakespeare Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für sein Gesamtwerk (1999) oder der Deutsche Bücherpreis (2003). Mehr als zwanzig seiner Werke sind in deutscher Sprache im Diogenes Verlag erschienen.
Zukiswa Wanner, geboren 1976 in Lusaka, Demokratische Republik Sambia, ist Schriftstellerin, Journalistin, Verlegerin und Kuratorin. Nach ihrer schulischen Ausbildung in Simbabwe studierte sie Journalismus an der Hawaii Pacific University in Honolulu. Seit 2006 wirkt sie als Autorin und Förderin der afrikanischen Literatur. Neben fiktionalen Texten für Kinder und Erwachsene veröffentlichte sie Reportagen, Essays und Reiseberichte, die in internationalen Zeitungen und Magazinen erschienen (The Guardian, Observer, Juice, Elle, u.v.m.). Sie ist Ko-Autorin der Nelson Mandela-Biographie „A Prisoner’s Home“ (Penguin 2010). Gemeinsam mit dem Goethe-Institut Nairobi, Kenia, entwickelte sie die grenzüberschreitende Reihe „Artistic Encounters“, die afrikanische Wort-Künstler*innen mit anderen Kunstsparten in Austausch brachte. Zudem kuratierte sie das „Afro Young Adult“-Projekt und initiierte Schreib-Workshops für Kurzgeschichten. Das renommierte Hay Festival kürte Zukiswa Wanner 2014 zu einer der bedeutendsten afrikanischen Autorinnen. 2018 gründete sie zusammen mit Nomavuso Vokwana ihren eigenen Verlag „Paivapo“. Aktuell kuratiert sie das virtuelle Literaturfest „AfrolitSansFrontières“, an dem 16 Schriftsteller*innen aus zehn afrikanischen Staaten teilnehmen.
Informationen zur Goethe-Medaille und Übersicht der bisherigen Preisträger*innen: www.goethe.de/goethe-medaille
Über die Goethe-Medaille
Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizielles Ehrenzeichen anerkannt. Die Verleihung findet am 28. August, dem Geburtstag Goethes, in Weimar statt. Gemeinsam mit dem Kunstfest Weimar richtet das Goethe-Institut ein Begleitprogramm aus. Seit der ersten Verleihung 1955 sind insgesamt 354 Persönlichkeiten aus 67 Ländern geehrt worden, darunter Daniel Barenboim, Pierre Bourdieu, David Cornwell alias John le Carré, Sir Ernst Gombrich, Lars Gustafsson, Ágnes Heller, Petros Markaris, Sir Karl Raimund Popper, Jorge Semprún, Robert Wilson, Neil MacGregor, Helen Wolff, Juri Andruchowytsch oder Irina Scherbakowa.
Die Kommission der Goethe-Medaille
Dr. Franziska Augstein (Journalistin, Süddeutsche Zeitung), Prof. Dr. Christina von Braun (Vorsitzende und Vertretung des Präsidiums, Kulturwissenschaftlerin, Humboldt-Universität zu Berlin), Dr. Meret Forster (Redaktionsleiterin Musik, BR-Klassik), Dr. Anselm Franke (Kurator, Leitung Bereich Bildende Kunst und Film, Haus der Kulturen der Welt), Dr. Ina Hartwig (Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt am Main, Literaturkritikerin), Prof. Dr. Ursula von Keitz (Filmwissenschaftlerin, Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf), Ulrich Khuon (Intendant, Deutsches Theater), Eva Menasse (Schriftstellerin), Elisabeth Ruge (Autorin, Verlegerin und Literaturagentin), Moritz Müller-Wirth (Journalist, Die Zeit); in Vertretung des Auswärtigen Amtes: MinDirig Dr. Andreas Görgen (Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation Auswärtiges Amt); in Vertretung des Goethe-Instituts: Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann (Präsident des Goethe-Instituts), Johannes Ebert (Generalsekretär des Goethe-Instituts)
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