Ein Großteil der Klienten von Mikrofinanzdienstleistern stammt aus armen Bevölkerungsschichten, welche am härtesten vom Einbruch der Wirtschaft betroffen sind. 75 % sind Frauen, darunter viele Textilarbeiterinnen. Allein in der Bekleidungsindustrie sind mehrere hunderttausend Arbeiter*innen vom Verlust ihrer Arbeitsplätze bedroht. Viele sind kaum in der Lage, die MFI-Kredite samt Zinsen und Gebühren – bei einem Jahreszinssatz von derzeit 18 % – zurückzuzahlen. Sie könnten dadurch gezwungen werden, ihr Land zu verkaufen. Da in Kambodscha, anders als in vielen anderen Ländern, ein Großteil der Mikrokredite durch Landtitel besichert ist, verfügen die MFI über ein erhebliches Druckmittel. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise könnte so zu mehr Landlosigkeit und zu weitreichenden Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung führen.
FIAN-Referent Mathias Pfeifer: „Um die nun drohende massive Verschärfung der finanziellen Notlagen zu mildern und eine Welle von Landverlusten zu verhindern, müssen unverzüglich Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Haushalte ergriffen werden. Dabei stehen auch europäische und deutsche Entwicklungsbanken sowie das Entwicklungsministerium BMZ in der Verantwortung, die seit vielen Jahren wichtige Unterstützer marktführender MFI sind.“ Die KfW Förderbank beispielsweise ist an der Finanzierung von rund 15 MFI in Kambodscha beteiligt, zumeist über große Mikrokredit-Fonds, wie der Microfinance Enhancement Facility (MEF) oder der Microfinance Initiative for Asia (MIFA). Darüber hinaus ist die KfW an dem viertgrößten kambodschanischen MFI, Amret, beteiligt (über die in Luxemburg ansässige Mikrofinanz-Investmentfirma Advans SA SICAR). Das deutsche Entwicklungsministerium BMZ ist ebenfalls am MEF beteiligt.
Probleme wie ausufernde Überschuldung und aggressives Vorgehen der MFI sind keine neuen Phänomene in dem südostasiatischen Land. Im vergangenen Jahr zeigte eine Studie der lokalen Menschenrechtsorganisationen LICADHO und STT auf, wie die mangelnde Regulierung des Sektors schwerwiegende und systematische Menschenrechtsverletzungen begünstigt, darunter erzwungene Landverkäufe, Kinderarbeit, Schuldknechtschaft und Menschenhandel. Bei Feldbesuchen im Februar 2020 traf FIAN verschuldete Kleinbäuerinnen, die berichteten, wie sie in die Schuldenfalle gerieten und nun ebenfalls von Landverlust bedroht sind. „Mikrokredite helfen uns nicht aus der Armut, sie steigern unsere Armut“ erläuterte eine Frau, deren zum Teil minderjährige Kinder ins benachbarte Thailand auswandern mussten, um dort Geld für die Rückzahlung ihres Kredits zu verdienen.
FIAN fordert die KfW und deren Tochtergesellschaft DEG sowie die anderen europäischen Entwicklungsbanken, die den Mikrofinanzsektor in Kambodscha finanziell unterstützen (etwa die Europäische Investitionsbank EIB, die niederländische FMO und die Österreichische Entwicklungsbank) auf, umgehende Maßnahmen zur Schuldenentlastung zu fördern. „Solange die kambodschanische Regierung nicht die von der Zivilgesellschaft geforderte zeitweise Aussetzung aller Zins- und Tilgungszahlungen sowie die Rückgabe der Landtitel an Kreditnehmer*innen umgesetzt hat, sollten die Entwicklungsbanken die von ihnen finanzierten MFI drängen, diese Maßnahmen zunächst unilateral umzusetzen. Auch sollten die Entwicklungsbanken zusätzliche Mittel bereitstellen, um die von Insolvenz betroffenen Haushalte zu unterstützen und gegebenenfalls Schuldenerlasse zu ermöglichen“, so Pfeifer weiter. Mittelfristig müssten die Entwicklungsbanken bisherige Versäumnisse nachholen und frühzeitige menschenrechtliche Folgenabschätzungen durchführen. Die notwendige Umgestaltung und Regulierung des Mikrofinanzsektors in Kambodscha sollte von den europäischen Finanzierern eingefordert und unterstützt werden.
Erklärung zivilgesellschaftlicher Gruppen in Kambodscha vom 27. April 2020:
www.licadho-cambodia.org/pressrelease.php?perm=449
Studie zu Menschenrechtsverletzungen im Zuge von Überschuldung durch Mikrokredite in Kambodscha (2019):
www.licadho-cambodia.org/reports.php?perm=228
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