Der saisonbereinigte IHS Markit/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) stürzte im April auf 34,5 Punkte nach 45,4 Zähler im März regelrecht ab. Zwar ist dies der niedrigste Wert seit März 2009, er wird jedoch von den 19,7 Punkten des Teilindexes Leistung noch deutlich in den Schatten gestellt. So wurde der Fall des Hauptindexes durch eine Rekordverlängerung der Lieferzeiten und einen Anstieg der Vormateriallager abgemildert. Beide Trends stehen dabei im Zusammenhang mit einer Coronavirus-bedingten Unterbrechung der Lieferketten und zeigen sich normalerweise bei einem Abschwung, teilte der englische Finanzdienstleister IHS Markit in London mit.
„Die Covid-19-Pandemie ist nicht nur ein Schlag für das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland. Sie fordert auch Einkauf, Logistik und Supply Chain Management heraus“, betonte Dr. Silvius Grobosch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), am Mittwoch in Eschborn. Hoffnungsvoll stimme allerdings, dass jetzt sowohl die mit dem Lockdown als auch mit dem Shutdown verbundenen Einschränkungen Schritt für Schritt gelockert würden.
„Die Stimmung in der deutschen Industrie ist schlecht – sehr schlecht. Dies überrascht nicht, denn das Wirtschaftsleben ist aufgrund des staatlich verordneten Shutdowns fast zum Erliegen gekommen“, kommentierte Dr. Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, am Mittwoch auf BME-Anfrage die aktuellen EMI-Daten. Da nunmehr erste Lockerungen eingesetzt hätten und im Laufe des Monats Mai voraussichtlich noch weitere kämen, bestehe die Hoffnung auf einen Anstieg des EMI im Juni, ganz nach dem chinesischen Muster. Nichtsdestotrotz werde Deutschland 2020 mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von mehr als vier Prozent eine tiefe Rezession durchlaufen. „Entscheidend ist, dass das Leben und Wirtschaften bald wieder erlaubt sein muss. Ansonsten driften wir in unser Negativszenario mit einem BIP-Rückgang von sieben Prozent“, fügte die Helaba-Bankdirektorin hinzu.
„Die volle Wucht der Corona-Krise dürfte Deutschland wie den Euroraum aber erst im zweiten Quartal 2020 treffen“, sagte Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, am Mittwoch dem BME. Mit Blick auf das Gesamtjahr 2020 sei seiner Einschätzung nach in Deutschland mit einem BIP-Minus in Höhe von mehr als sechs Prozent zu rechnen. „Für Euroland ist eine zweistellige BIP-Schrumpfung nicht auszuschließen“, so Kater weiter.
„Der EMI stürzt im April auf den niedrigsten Wert seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 ab. Alle Teilindizes zeigen auf Abschwung“, teilte Katharina Huhn, Leiterin des Referats Konjunktur, Wachstum, Unternehmensbefragungen im DIHK, am Mittwoch dem BME mit. Auch der Geschäftsausblick deute weiterhin auf Verschlechterung. Beim Hochfahren der Wirtschaft werde es für die Unternehmen hierzulande auch auf ein Funktionieren globaler Lieferketten ankommen. Huhn: „Der europäische Binnenmarkt und der Abbau internationaler Handelshemmnisse gewinnen in dieser Phase noch einmal zusätzlich an Bedeutung.“
Zur jüngsten Entwicklung des EMI-Teilindex Einkaufspreise sagte Dr. Heinz-Jürgen Büchner, Managing Director Industrials, Automotive & Services der IKB Deutsche Industriebank AG, am Mittwoch dem BME: „Die Weltrohstoffpreise sind im April infolge der Corona-Krise sowohl auf Dollar-Basis als auch in Inlandswährung nochmals um rund 22 Prozent eingebrochen. Angesichts der weltweiten Produktionsschließungen in vielen Branchen war dies auch nicht überraschend. Zwar belastet weiter die Unsicherheit, wie lange der Shutdown dauert und wann sich die Nachfrage normalisiert, der Tiefpunkt dürfte jedoch weitgehend erreicht sein. Selbst bei den Rohölpreisen dürften die beschlossenen Produktionskürzungen im Verlauf des Mai langsam greifen, zumal bereits 300 aktive Bohrlöcher in den USA geschlossen wurden; am 1. Mai 2020 waren nur noch 325 in Betrieb. Somit trägt die USA stärker zur Marktstabilisierung bei als von US-Präsident Donald Trump gewünscht.“
Die Entwicklung der EMI-Teilindizes im Überblick:
Industrieproduktion: Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe ist aufgrund der anhaltenden Coronavirus-Pandemie im April in noch nie dagewesenem Ausmaß eingebrochen. Etwa 68 Prozent der Umfrageteilnehmer verzeichneten einen Rückgang und begründeten dies mit Werksschließungen, Kurzarbeit, Zulieferproblemen und der generell schwachen Nachfrage. Der entsprechende Teilindex notierte mit 19,7 Punkten deutlich unter dem bisherigen Rekordtief von 27,8, das im Januar 2009 während der weltweiten Finanzkrise gemessen wurde.
Auftragseingang insgesamt/Export: Vor dem Hintergrund eines beispiellosen Nachfrageeinbruchs – im Inland wie im Ausland – ging die Anzahl der Neuaufträge in der Industrie so dramatisch zurück wie nie zuvor in 24 Jahren Datenerhebung. Wie beim Teilindex Leistung schlug im Investitionsgüterbereich – zu dem der Fahrzeug- und Schwermaschinenbau zählt – das größte Minus zu Buche, gefolgt vom Vorleistungsgüterbereich. Der Konsumgüterbereich, der am Anfang der Virus-Epidemie im Inland noch ein gewisses Maß an Widerstandsfähigkeit gezeigt hatte, brach nun ebenfalls ein und verzeichnete den heftigsten Rückgang der Neuaufträge in der Umfragegeschichte des EMI.
Der saisonbereinigte Teilindex Exportaufträge stürzte im April auf ein Allzeittief und signalisierte eine noch markantere Schrumpfung als beim Gesamt-Auftragseingang. Zwar gab es vereinzelte Meldungen über ein leichtes Plus in China, jedoch wurde dieses bei weitem durch die signifikant geringeren Neuaufträge aus Europa, den USA und den meisten anderen Schlüsselmärkten überkompensiert.
Beschäftigung: Die Daten zeigen, dass die Firmen beim Personalabbau im April noch einen Gang höher schalteten. So gab der saisonbereinigte Teilindex gegenüber dem Vormonat merklich nach und signalisierte den größten Beschäftigungsrückgang seit Mai 2009. Entlassungen, Nichtverlängerung von Zeitarbeitern und natürliche Fluktuation trugen zur Reduzierung der Mitarbeiterzahl bei. Da zahlreiche Unternehmen Kurzarbeit einführten, um Kündigungen möglichst zu vermeiden, fiel das Minus insgesamt geringer aus als bei der Produktion.
Einkaufs-/Verkaufspreise: Die Einkaufspreise in der Industrie verbilligten sich im April den zwölften Monat hintereinander. Laut Umfrage-Teilnehmern ging dies vor allem auf die schwache Nachfrage sowie den Absturz des Ölpreises zurück. Die Rückgangsrate schwächte sich im Vergleich zum Vormonat jedoch etwas ab, da einige Produkte entgegen dem Trend anzogen, wie zum Beispiel Desinfektionsmittel und andere Chemikalien.
Der mitunter hartnäckige Wettbewerb um Neuaufträge inmitten des starken Nachfragerückgangs führte dazu, dass die Verkaufspreise bereits den zehnten Monat in Folge sanken. Der saisonbereinigte Teilindex änderte sich gegenüber dem 10,5-Jahrestief vom März nur marginal. Allerdings fiel der Rückgang deutlich kräftiger aus als während der weltweiten Finanzkrise. Markante Preisabschläge im Investitionsgüter- sowie Vorleistungsgüterbereich standen einem leichten Plus im Konsumgüterbereich gegenüber.
Jahresausblick: In den Chefetagen der Industrieunternehmen blieb man bei der Einschätzung der Produktionsniveaus binnen Jahresfrist mehrheitlich (62 Prozent) äußerst pessimistisch. Vor allem die langfristigen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie – national wie global – sind kaum abzusehen und sorgen für Unsicherheit und Besorgnis. Die Stimmung verbesserte sich gegenüber dem Rekordtief vom März kaum. So notierte der entsprechende Teilindex weiter über zehn Punkte niedriger als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Erhebung dieser Daten im Juli 2012.
Über den EMI: Der IHS Markit/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) gibt einen allgemeinen Überblick über die konjunkturelle Lage in der deutschen Industrie. Der Index erscheint seit 1996 unter Schirmherrschaft des BME. Er wird vom Anbieter von Unternehmens-, Finanz- und Wirtschaftsinformationen IHS Markit mit Hauptsitz in London erstellt und beruht auf der Befragung von 500 Einkaufsleitern und Geschäftsführern der verarbeitenden Industrie in Deutschland (nach Branche, Größe, Region repräsentativ für die deutsche Wirtschaft ausgewählt). Der EMI orientiert sich am Vorbild des US-Purchasing Manager´s Index (Markit U.S.-PMI).
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