Abstand halten ist das Gebot der Stunde, aber angesichts der vielerorts schmalen Rad- und Gehwege im Alltag oft nicht möglich.
“Da von Land und Stadt keine kurzfristigen Maßnahmen zu erwarten sind, um Radfahrern und Fußgängern ausreichend Platz zu geben, haben wir Rostocks ersten Pop-Up-Radweg selbst eröffnet”, sagt Malte Brockmann vom Radentscheid Rostock.
In der Zeit von 15 bis 17 Uhr fuhren über 200 Radfahrer auf einer abgesperrten PKW-Spur die Ernst-Barlach-Straße entlang. Normalerweise drängen sich hier Radfahrer und Fußgänger in beide Richtungen dicht an dicht, was auf einem schmalen Weg, der um die Kurve und bergab führt, besonders gefährlich ist.
Sophia Rabien, die viele “Daumen hoch” entgegennehmen durfte, stellt fest: “Alle Radfahrenden freuen sich über ausreichend Platz und auch über die neu gewonnene Sicherheit. Drei große PKW-Spuren sind im Vergleich zu dem winzigen sogenannten Radweg eine schreiende Ungerechtigkeit.”
Der Radentscheid Rostock lädt Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen und Verkehrssenator Holger Matthäus zu einer gemeinsamen Vor-Ort-Begehung der Gefahrenstelle ein. “Die Stadt nimmt hier in der Ernst-Barlach-Straße und dem Mühlendamm schwere Verletzungen wissentlich in Kauf. Wir brauchen umgehend eine dauerhafte Umgestaltung der Ernst-Barlach-Straße bis weit in den Mühlendamm hinein”, sagt Brockmann.
Auch in den sozialen Medien kam der temporäre Radweg sehr gut an. Dort forderten viele Radfahrer die Stadt dazu auf, dauerhafte Pop-Up-Radwege zu errichten:
https://mobile.twitter.com/RadentscheidHRO/status/1259109906055147520
Vorbild für den ersten temporären Rostocker Radweg sind die sogenannten Pop-Up-Radwege in Berlin: Hier entstehen momentan wöchentlich mehrere Kilometer provisorische, geschützte Radwege, wo vorher Autos parkten oder fuhren. Das Vorgehen in Berlin ist denkbar einfach: In elf Schritten entsteht in zehn Tagen ein einfacher geschützter Radweg. Eine gelbe durchgehende Linie wird aufgemalt und am Rand rot-weiße Baken aufgestellt, die den neuen Radweg vor Falschparkern sichern. Viele Radfahrer in Berlin schmücken die Baken mit Blumen und schreiben Dankesbriefe an die Verwaltung, in denen sie sich für die sicheren Radwege bedanken. Damit auch andere Städte dem Berliner Vorbild folgen können, hat der Berliner Senat einen Leitfaden veröffentlicht, wie sich Pop-Up-Radwege kostengünstig und schnell realisieren lassen.
Auf diesen Leitfaden verweist auch das Landesverkehrsministerium Mecklenburg-Vorpommern in seiner Antwort auf den offenen Brief der Initiativen im Land. In diesem Brief forderten unter anderem der ADFC MV, der VCD Nordost, Rostock for Future und Greenpeace Rostock Verkehrsminister Christian Pegel dazu auf, Geh- und Radwege zu realisieren, auf denen es möglich ist, anderthalb Meter Sicherheitsabstand zu halten.
In seiner Antwort auf den Brief schreibt das Verkehrsministerium, mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen gehe ein “nicht zu unterschätzender Aufwand einher”, und spricht konkret die Abstimmung zwischen Straßenverkehrsbehörde und Straßenbaulastträger an.
https://drive.google.com/open?id=1kB4IzpHmy04CireJhCL4Fc5aK-oeeF3v
“Wir finden, dass es dieser Aufwand durchaus wert ist, wenn dadurch die Gesundheit von Radfahrern geschützt wird”, so Brockmann. Mit Blick auf den Verkehr als Ganzes stellt der Verkehrsexperte fest: “Das Fahrrad hat sich als äußerst krisensicher herausgestellt. Wir sehen fast leere Straßenbahnen, doch die Fahrgäste sind nicht verschwunden, sie fahren heute Fahrrad.” Besorgt ergänzt er: “Ziel muss es sein die Menschen dauerhaft vom Fahrradfahren zu begeistern. Schaffen wir das nicht, bevor sich das Image des ÖPNV wieder erholt hat, wird unser Rostock noch mehr unter Stau und Lärm leiden als vor der Coronakrise. Ein Umstieg aufs Auto kann niemand wollen und muss daher unbedingt vermieden werden!”
Sophia Rabien ergänzt: “Berlin zeigt, dass ein paar Baken und ein bisschen Farbe kein Hexenwerk sind, wenn der politische Wille da ist.
Eine gute Nachricht für Radfahrer in Mecklenburg-Vorpommerns Städten beinhaltet der ansonsten ergebnislose Brief aber. So schreibt das Verkehrsministerium, dass der Berliner Leitfaden für Pop-Up-Radwege “schon gute Orientierung für den städtischen Bereich” biete. Das sei in den Augen des Radentscheids Rostock eine Handlungsaufforderung an Politik und Verwaltung in den Städten, anhand dieses Leitfadens aktiv zu werden und selbst Fahrbahnen und Parkspuren zu geschützten Radwegen umzufunktionieren.
Der Radentscheid Rostock hat im vergangenen Jahr 8366 Unterschriften von Rostockern gesammelt, die sich für bessere Radwege in der Stadt einsetzen. Die Unterzeichner fordern, dass die zehn Ziele der Bürgerbewegung umgesetzt werden. So sollen in Rostock innerhalb der nächsten Jahre breite und attraktive Fahrradwege entstehen, auf denen sich alle Radfahrer – auch Kinder – sicher fühlen. Im November 2019 beauftragte die Bürgerschaft Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen damit, die zehn Ziele des Radentscheid Rostock möglichst weitgehend umzusetzen, um so die Vision einer fahrradfreundlichen Stadt zu verwirklichen.
Leitfaden: Temporäre Einrichtung und Erweiterung von Radverkehrsanlagen in 10 Tagen mehr Platz fürs Rad in der Stadt
Offener Brief der Umweltinitiativen MV an Landesverkehrsminister Pegel:
Antwortschreiben des Landesverkehrsministeriums MV auf offenen Brief der Initiativen:
https://drive.google.com/open?id=1kB4IzpHmy04CireJhCL4Fc5aK-oeeF3v
Die zehn Ziele des Radentscheid Rostock:
Ziel #1 – Planungen nach dem Stand der Technik
Ziel #2 – 10 km sichere Radwege an Hauptstraßen pro Jahr
Ziel #3 – 10 km für den Radverkehr attraktive Nebenstraßen pro Jahr
Ziel #4 – Vier sichere Kreuzungen pro Jahr
Ziel #5 – Hindernisfreie Rad- und Gehwege
Ziel #6 – Mehr Radabstellanlagen
Ziel #7 – 50 Bordsteinabsenkungen pro Jahr
Ziel #8 – Aktive Unfallursachenbeseitigung
Ziel #9 – Förderung von Lastenrädern
Ziel #10 – Bewusstsein schaffen
Der Radentscheid Rostock setzt sich für sicheren Radverkehr in Rostock ein. Der Radentscheid hat sich im Sommer 2018 gegründet. Das übergeordnete Ziel der Initiative ist eine Stadt, in der alle Menschen – auch Kinder und Senior*innen – sicher und entspannt Radfahren können. Radfahren ist gesund, schont das Klima, braucht wenig Platz und verursacht weder Lärm noch Abgase. Außerdem lassen sich die meisten Ziele innerhalb Rostocks schneller mit dem Fahrrad erreichen. Fahrradfahren macht einfach Spaß, wenn die Radwege breit genug, hindernisfrei und sicher sind. Deshalb fordert der Radentscheid die Politik dazu auf, kinder- und seniorengerechte Radinfrastruktur zu schaffen.
Die Initiatoren des Radentscheids haben zehn Ziele für eine fahrradfreundliche Stadt erarbeitet. Diese umfassen den Bau von sicheren Radwegen und Kreuzungen nach niederländischem Vorbild. Auch zusätzliche Fahrradabstellanlagen und ein Verleihsystem für elektrisch betriebene Lastenräder. Außerdem fordert die Initiative, dass Rad- und Gehwege konsequent von Hindernissen und Falschparkern befreit werden.
Die Initiative sammelte von April bis Oktober 2019 Unterschriften von 8366 Rostockern, die diese Forderungen unterstützen. Das benötigte Quorum von 4000 Unterschriften hatte das Bürgerbegehren bereits wenige Monate nach Start der Unterschriftensammlung erreicht. Am 6. November beschloss die Rostocker Bürgerschaft, dass die Stadt Rostock die Ziele des Radentscheids übernimmt.
Marie Heidenreich vom Radentscheid Rostock: "Wir setzen uns für besseren Radverkehr ein. So möchten wir dazu beitragen, dass Rostock auf eine nachhaltige und zukunftsweisende Mobilität setzt und sich die Lebensqualität der Bürger*innen weiter verbessert. Unser Ziel ist es, dass Radfahrende zügiger ans Ziel kommen und dabei komfortabel und sicher unterwegs sind. Wir setzen uns ein für mehr Sicherheit auf dem Fahrrad und weniger Unfälle, für ein freundliches Verkehrsklima und ein noch lebenswerteres Rostock!"
Radentscheid Rostock c/o JMMV e.V
Warnowufer 29
18057 Rostock
Telefon: +49 15678 695833
http://www.radentscheid-rostock.de
Telefon: +49 (173) 9987128
E-Mail: info@radentscheid-rostock.de
Telefon: +49 (1577) 5251744
E-Mail: info@radentscheid-rostock.de