Im kulturgeschichtlichen und öffentlichen Bewusstsein haben vor allem große und immer schon anerkannte Philosophen zur Aufklärung beigetragen. Sich des eigenen Verstandes zu bedienen und der Vernunft zur Anerkennung zu verhelfen, hielten sich seit dem 16. Jahrhundert aber auch Gelehrte und Theologen für berufen, die aus heutiger Sicht als große Unbekannte gelten und in denen ihre Zeitgenossen nicht selten gefährliche Neuerer erblickten. Zu solchen – oft verfolgten – Minderheiten zählen die Sozinianer. Ihre umfangreichen Korrespondenzen geben Einblicke in ein weite Teile Europas umfassendes Netzwerk, das um eine neue Ausbalancierung von Theologie, frühmoderner Naturwissenschaft und Politik ringt. Die Briefe sind im Rahmen eines DFG-Projektes nun in einer graphbasierten digitalen Edition zugänglich.

Der Sozinianismus war eine aus dem protestantischen Christentum hervorgegangene Bewegung, die an einer unitarischen Christologie und einer historisch-ethisch gefassten Erlösungskonzeption festhielt. Die nach ihrem Begründer Fausto Sozzini (1539–1604) benannte Glaubensgemeinschaft war transnational, die Zahl ihrer Vertreter nie groß. So machten die in Polen-Litauen beheimateten Sozinianer – bis zu ihrer Ausweisung im Jahr 1658 – zu Beginn des 17. Jahrhunderts nur etwa ein Prozent der Bevölkerung aus. Ungeachtet ihrer geringen Zahl haben sie eine beachtliche ideengeschichtliche Wirkung entfaltet.

Die transkonfessionelle Vernetzung der Sozinianer und ihre sich im Spannungsfeld von theologischen, politisch-gesellschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fragen bewegenden Briefwechsel ließen sie bis in die jüngere und jüngste Zeit hinein für Theologie-, Philosophie-, Wissenschafts- und Allgemeinhistoriker interessant erscheinen: Dieses europäische Netzwerk bildete zusammen mit dem Beitrag der Sozinianer zur Entstehung der Frühaufklärung seit dem 19. Jahrhundert regelmäßig einen Gegenstand der Untersuchungen. Dessen ungeachtet sind die sozinianischen Briefwechsel in ihrer Gesamtheit bis heute weder systematisch erschlossen noch ediert worden.

In der vorliegenden graphbasierten digitalen Edition wird der Briefwechsel der Sozinianer erstmals vollständig erfasst und aufgearbeitet. Die Edition umfasst die Epoche des konfessionellen Zeitalters bis zur Aufklärung, zwischen 1580 bis etwa 1740. Die bislang katalogisierten 2047 Briefe geben u.a. Aufschluss über Genese und Entwicklungen der Bewegung als religiöses Denksystem und ihren Beitrag für den frühmodernen naturwissenschaftlichen Diskurs. Darüber hinaus gewähren die sozinianischen Briefwechsel aufschlussreiche Einblicke in gelehrte Netzwerke, die weite Teile Europas umspannen.

Nebst einer textkritischen und sachlichen Kommentierung sowie Regesten bietet die Edition Auswertungsmöglichkeiten über eine geographische, personen- und sachbezogene Verschlagwortung der Texte. Außerdem integriert sie die den Briefen beiliegenden und in den meisten Fällen als Kupferstich veröffentlichte Zeichnungen astronomischer Phänomene, die der Illustration der diskutierten Themen dienten. Ebenfalls ediert werden die bislang nicht publizierten multilingualen politischen Nachrichten, die weit über 250 Schreiben beigefügt sind. So werden quellentechnische Voraussetzungen geschaffen, die neue interdisziplinäre Forschungsfelder für die Theologie-, Philosophie-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte eröffnen.

Das Projekt entsteht in Kooperation zwischen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur / Mainz und der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Es startete am 1. Januar 2018 und ist nach der Formel 3+3 Jahre konzipiert, ein Antrag auf Förderung der zweiten Phase wurde bei der DFG gestellt.

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