Am 21. Mai wird das Berliner Buchstabenmuseum nach dem Lockdown seine Tore wieder öffnen. Fast auf den Tag genau 15 Jahre zuvor hat Barbara Dechant, von Hause aus Grafikdesignerin, dieses Museum eröffnet. Die Sammlung wird immer größer, inzwischen beherbergt das Buchstabenmuseum über 2.000 Buchstaben in sechs S-Bahn-Bögen. Das Hansaviertel ist der fünfte Standort. Zwischen Gripstheater und Schloss Bellevue ist es mit seinen legendären Fünfzigerjahrebauten ohnehin ein Anlaufpunkt für alle, die sich für Design interessieren. In dem Museum gibt es dreidimensionale Buchstaben in allen Formen und Farben, die meisten haben das öffentliche Leben der Hauptstadt über Jahrzehnte geprägt.

Seit etwa 10 Jahren arbeitet Barbara Dechant mit Fritz Naumann, Chef von Hruby Werbetechnik, zusammen. Seit über 100 Jahren prägt Hruby als Berliner Traditionsunternehmen mit Außenwerbung das Stadtbild. Barbara Dechant und Fritz Naumann teilen eine Leidenschaft: Buchstaben. Wir haben ein Doppelinterview geführt – natürlich mit dem nötigen Abstand.
 
Frau Dechant, wie erleben Sie die Corona-Krise?
Barbara Dechant: Zwei Monate ohne Besucher und ohne Eintritts-Einnahmen haben uns hart getroffen. Noch im März hatten wir uns auf die Tatsache verlassen, dass unsere Sammlung weitläufig genug ist, um Social Distance zu bewahren. Dann kam der Lockdown für alle – und auch wir mussten schließen. Und das im Jubiläumsjahr. Zunächst war ich schockiert, nahm mir dann aber bewusst Zeit, mich Dingen zu widmen, die sonst im Alltag liegenbleiben. Und an neuen Konzepten zu arbeiten. Nach fast zwei Monaten Zwangsschließung werden wir nun endlich wieder eröffnen.

Woher kennen Sie Hruby bzw. Fritz Naumann?
Barbara Dechant: Wir haben uns über einen Job kennengelernt, und uns auf Anhieb gut verstanden. Fritz Naumann: Das stimmt, wir teilen nicht nur die Leidenschaft für blinkende und leuchtende Buchstaben, sondern wir können auch super zusammenarbeiten und uns die Bälle zuspielen. Bei uns stimmt einfach die Wellenlänge.

Wie sieht denn Ihre Zusammenarbeit aus?
Fritz Naumann: Da wir sowieso leuchtende Buchstaben herstellen und anbringen, kennen wir uns sehr gut mit der Materie aus. Für das Buchstabenmuseum reparieren wir defekte Leuchtbuchstaben. Allerdings bewahren wir lediglich den Status Quo, denn wir wollen nichts verfälschen. Und wir helfen, die Exponate im Buchstabenmuseum mit Erklärungen zu versehen, das ganze Museum übersichtlicher zu machen. Zudem haben wir einen Mitarbeiter, der öfter physisch hilft. Manchmal muss man eben buchstäblich zusammen feste anpacken. Das machen wir alles supergern. Und natürlich ohne Bezahlung.

Moment – die Buchstaben werden nicht restauriert, bevor sie im Museum auftauchen?
Barbara Dechant: Nein, die Erhaltung des Originalzustandes ist sehr in unserem Sinne. In dem Schriftzug vom ehemaligen Grand Hotel an der Friedrichstraße hat sich zum Beispiel eine Pflanze etabliert, sogar Spinnen haben dort ein Zuhause gefunden. Das haben wir so gelassen, und Hruby hat dafür gesorgt, dass die Buchstaben wieder leuchten. Die Pflanze befindet sich noch immer in dem Korpus, zusammen mit dem Leuchtmittel. Neulich fragte mal ein Paar aus Schwaben, warum denn hier nicht ordentlich sauber gemacht werde. Sowas sorgt immer für Erheiterung.

Haben Sie nur Leuchtbuchstaben?
Barbara Dechant: Nein, es gibt Typo-Objekte aus allen möglichen Materialien: Metall, Gips, Holz, Porzellan oder auch Emaille. Wir haben sogar Buchstaben aus Schaumstoff und Spanplatte. 

Wie kommen denn die Buchstaben zu Ihnen?
Barbara Dechant: Auf ganz unterschiedlichen Wegen. Manchmal fragen wir, ob wir die Buchstaben haben können, häufig bekommen wir welche angeboten. Je bekannter wir werden, desto mehr Leute informieren uns, wenn sie ihre alten Buchstaben abmontieren. Besonders stolz bin ich auf das V vom Haus Vaterland, dem legendären Vergnügungspalast am Potsdamer Platz. Eine alte Dame überließ es uns mit den Worten, sie sei ja auch mal jung gewesen und habe es nach dem Krieg aus den Ruinen stibitzt. Aber wir haben auch neuere Buchstaben und Schriftzüge. Nahversorger wie Reichelt und Kaiser’s sind ja inzwischen auch leider schon Stadtgeschichte.

Wer sind die typischen Besucher Ihres Museums?
Barbara Dechant: Bis vor der Corona-Krise waren das hauptsächlich Touristen aus dem Ausland. Viele Berliner kennen uns eher vom Hörensagen. Das geht vielen Museen so. Hand aufs Herz: Wer geht schon regelmäßig der eigenen Stadt ins Museum? Die meisten tun das doch eher, wenn sie fremde Städte besuchen. Das wird sich jetzt ändern, denn der Tourismus ist für den Rest des Jahres überall auf nahezu Null heruntergefahren. Bis Ende Juli gibt es bei uns daher einen Jubiläums-Rabatt. Alle Besucher dürfen zum ermäßigten Eintritt von 6,50 Euro in unser Museum. Die Berlinerinnen und Berliner werden sich wundern, wie viele alte Bekannte sie hier wiedersehen.

Corona wird uns ja noch einige Zeit begleiten. Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?
Fritz Naumann: Wenn ich mich mal kurz einklinken darf – wir haben ja jetzt angefangen, Masken herzustellen. Wir werden auch welche mit Buchstaben bedrucken und dem Museumsshop zur Verfügung stellen. Barbara Dechant: Ja, das haben wir gerade erst besprochen. Wir bieten jetzt auch einen virtuellen Rundgang an und werden unsere Räume – wenn die Corona-Regeln das zulassen – auch wieder für Veranstaltungen für bis zu 200 Personen vermieten. Es ist schon etwas Besonderes, inmitten von Buchstaben zu feiern. Wir denken, dass das gut ankommen wird. 

Wie finanzieren Sie sich eigentlich?
Barbara Dechant: Ich selbst mache das ehrenamtlich neben meinem Job als freiberufliche Grafikerin. Wirklich aus Leidenschaft. Wir haben neben Fritz Naumann bzw. Hruby noch weitere Menschen, die uns unterstützen. Zum Beispiel die Fotografin, mit der wir den virtuellen Rundgang erarbeitet haben. Es gibt einen gemeinnützigen Verein mit Fördermitgliedern, den wir gegründet haben. Zusätzlich haben wir unseren Museumsshop, aber vornehmlich finanzieren wir uns durch die Eintrittsgelder. Bei Senatsförderungen sind wir bislang seltsamerweise immer leer ausgegangen. Für die Zukunft würden wir uns wünschen, zum Beispiel mit einem Stromanbieter zusammenzuarbeiten. Was meinen Sie, wieviel Strom die ganzen Leuchtbuchstaben verbrauchen!

Haben Sie Nachahmer oder gibt es ähnliche Projekte?
Barbara Dechant: Noch nicht in derselben Form wie hier. Aber ich weiß, dass wir schon Beobachter in New York und Lissabon haben, die unser Konzept äußerst interessant finden. Ich fände es wirklich spannend, ähnliche Konzepte auch in anderen Städten zu sehen.   

Was wünschen Sie sich für die nächsten 15 Jahre?
Barbara Dechant: Insgesamt bin ich sehr stolz auf das, was wir in den letzten Jahren erlebt und erreicht haben. Aber natürlich wollen wir unsere Sammlung immer mehr erweitern und unseren Besuchern ein tolles Erlebnis bieten. Vielleicht hat die Corona-Krise den Vorteil, dass wir in Berlin bekannter werden – das wäre zumindest ein Vorteil neben den vielen Einschnitten, die die Krise mit sich bringt. Fritz Naumann: Das wünsche ich Frau Dechant und dem Museum auch. Es ist ein tolles Projekt und es macht Spaß, mitzuhelfen.

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