WirtschaftsWoche: Nachdem der Bund eine Entscheidung über Staatshilfen für die Autoindustrie vertagt hat, geht die Diskussion darüber, was die richtige Maßnahme wäre, weiter. Am lautesten werden Kaufprämien diskutiert. Eine gute Idee?
Markus Lienkamp: Meine Befürchtung ist, dass das nicht zu echten Mehrkäufen führt, sondern geplante Käufe verschoben werden. Natürlich führt das kurzfristig zu einem Boom, möglicherweise ziehen Verbraucher ihren für später geplanten Autokauf vor. Gleichzeitig ist es so: Wenn zu lange über mögliche Kaufprämien diskutiert wird, warten alle, weil sie diese mitnehmen wollen. Sie kaufen vorerst nicht. Insofern sollte sich die Politik in jedem Fall schnell positionieren – egal, wie die Entscheidung ausfällt. Die sich in die Länge ziehende Diskussion schadet womöglich am meisten.
Das ist für mich keine Investition – das ist Quatsch.
WirtschaftsWoche: Das heißt, Kaufprämien halten Sie grundsätzlich für den falschen Ansatz zur Förderung? Auch Vorschläge, wie etwa nur Elektroautos und Hybride zu fördern?
Markus Lienkamp: Wir haben jetzt bereits 4000 Euro Förderung für Elektrofahrzeuge und die Automobilhersteller müssen ohnehin einen gewissen Anteil an E-Autos verkaufen. Ob ich jetzt eine Kaufprämie mache oder nicht – das ist vollkommen egal. Die Autobauer haben mit den 95 Gramm im Durchschnitt pro Auto in der Flotte eine CO2-Vorgabe, die nur einzuhalten ist, wenn ein bestimmter Flottenmix verkauft wird. Wenn wir jetzt Elektroautos zusätzlich mit 3000, 6000 oder 8000 Euro fördern, führt das nur dazu, dass die Hersteller in Deutschland mehr E-Autos verkaufen, weil es eine höhere Förderung gibt. Im Rest von Europa würden sie allerdings – weil die Flottenmix-Auflage ja für den EU-weiten Verkauf gilt – genau die Zahl Elektroautos, die in Deutschland mehr verkauft würden, weniger auf den Markt bringen. Das ist ein komplettes Nullsummen-Spiel für das viel Geld vom Bund draufgeht. Da glaube ich, fördern wir in Deutschland falsch. Das ist für mich keine Investition – das ist Quatsch. Eine Kaufprämie für Autos fördert zudem schlichtweg Konsum. Und ich halte es grundsätzlich für wichtig, dass die Hilfsprogramme, die die Bundesregierung auflegt, eher die Infrastruktur, sprich langfristig nachhaltige Konzepte, begünstigt.
WirtschaftsWoche: Haben Sie einen konkreten Vorschlag?
Markus Lienkamp: Von den drei altbekannten Problemen der Elektroautos – Reichweite, Preis, Ladeinfrastruktur – sind zwei mittlerweile einigermaßen ausgemerzt: Die Autos haben eine vernünftige Reichweite. Sie sind zumindest halbwegs bezahlbar, wenn ich etwa auf VWs ID.3 oder einen Renault Zoe blicke. An der Ladeinfrastruktur scheitert der Durchbruch der Elektromobilität bislang. Da haben wir in Deutschland eine katastrophale Situation. Es gibt insgesamt zu wenige Ladesäulen, die Kosten der Anschaffung und des Ladens sind häufig unverhältnismäßig. Zu Hause können aus vielen Gründen viele keine Ladestation installieren. Da müssen wir anpacken. Wenn wir jetzt die Ladeinfrastruktur fördern, haben wir nicht nur kurzfristig, sondern mittel- und langfristig positive Effekte für die Autoindustrie – und im Kern die Elektromobilität.
Ich glaube, dass wir stärker fördern müssen, dass Privatpersonen zu Hause laden können.
WirtschaftsWoche: Das BMVI hat gerade den mittlerweile fünften Aufruf zur Förderrichtlinie „Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Deutschland“ gestartet, wobei die Errichtung von bis zu 10.000 Normal- und Schnellladepunkten gefördert wird. Der Bund übernimmt 50 Prozent der Kosten für Kommunen und privaten Investoren, wenn die Ladepunkte öffentlich zugänglich sind. Das scheint noch nicht genug zu motivieren. Was für Anreize könnten den Effekt auslösen, den Sie sich von einer entsprechenden Prämie erhoffen?
Markus Lienkamp: Ich würde woanders ansetzen wollen. Ich glaube, dass wir stärker fördern müssen, dass Privatpersonen zu Hause laden können. Das ist der Schlüssel. Der Automobilhersteller muss eine Motivation haben, dass er dem Kunden dabei hilft, eine Ladestation daheim einzurichten. Bekäme der Autobauer Geld für jede Ladesäule, die errichtet wird, – in Form einer staatlichen Förderung – wird es für das Unternehmen steuerlich attraktiv. Das förderte doppelt die Motivation: Er bekommt Geld vom Staat dafür, dass er die Ladestation baut – und verdient an dem Verkauf. Auch als Kredit wäre das denkbar: Der Autobauer bekommt Summe X als Liquiditätsspritze dafür, dass er in den nächsten fünf Jahren eine gewisse Zahl an Ladesäulen baut. Dies dürfte die Autobauer motivieren, mehr Arbeit in den E-Autoverkauf und den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur zu investieren.
WirtschaftsWoche: Und Sie glauben, das könnte die Autoindustrie ähnlich gut in dieser Krise stützen, wie die vom VDA geforderte Kaufprämie?
Markus Lienkamp: Diese Kaufprämie ist doch eine Mogelpackung. Im Moment gilt: Der Autobauer zahlt die eine, der Staat die andere Hälfte. Der Autobauer zahlt dann de facto gar nichts, weil er seinen Anteil auf den Autopreis vorher draufschlägt. Und der Staat gibt die Hälfte dazu, wenn man sich durch den aufwändigen Antragsformular-Dschungel gekämpft hat. Viel weniger zahlt der Kunde am Ende tatsächlich dann doch nicht. In dem Moment, in dem ich das Geld direkt an den Autobauer gebe, hat der einen ganz anderen Hebel und das Geld eine ganz andere Wirkung.
WirtschaftsWoche: Und zwar?
Markus Lienkamp: Grob kann man rechnen: Wenn der Automobilhersteller ein Auto verkauft, hat er Selbstkosten von 100 Prozent, die entstehen bis das Fahrzeug das Werkstor verlässt. Danach kommen Händlermarge, Mehrwertsteuer, Vertrieb, Marketing und Ähnliches oben drauf, sodass sich der Preis letztlich fast verdoppelt. Diesen Preis würde der Staat dann mit einer Kaufprämie reduzieren. Wenn der Bund aber praktisch dem Autobauer direkt für eine Investition beispielsweise 2000 Euro gibt, kann der durch die wegfallenden Downstream-Kosten indirekt dem Kunden einen Vorteil von 4000 Euro verschaffen. Damit bringt die Förderung wesentlich mehr. Aus staatlicher Sicht klingt das vielleicht weniger attraktiv, weil die Steuern verloren gehen. Aber eine direkte Förderung für den Automobilhersteller anstelle des Kunden ist günstiger.
WirtschaftsWoche: Die Autofahrer macht man damit aber zunächst nicht glücklich.
Markus Lienkamp: Das ist richtig. Der Kunde hätte das Geld sicher lieber selbst in der Hand, als dass der Autobauer es bekommt. Das ist ein emotionales Thema an dieser Stelle. Aber auch nach diesem Prinzip würde letztlich der Kunde profitieren, weil er die Ladesäule womöglich geschenkt bekommt, wenn der Autobauer sie mit dem Auto mit anbietet.
WirtschaftsWoche: Es sind aber nicht alle Autobauer gleich aktiv im E-Auto-Markt. Nicht alle Unternehmen würden gleichstark von einer solchen Förderung profitieren.
Markus Lienkamp: Der VW-Konzern würde garantiert profitieren, da er eine klare Elektro-Strategie hat. BMW und Daimler fahren zwar eine stärkere Plug-in-Strategie, könnten aber ebenfalls ihren Nutzen daraus ziehen. Der Vorwurf an die Plug-in-Modelle ist ja, sie würden selten bis nie geladen und somit kaum elektrisch genutzt. Ist die Möglichkeit zum Laden einfacher, könnte dieser Vorwurf ausgebremst werden. Toyota hat nicht so viel davon, weil sie mehr auf Hybrid setzen. GM, Ford, PSA und Fiat-Chrysler haben so gut wie nichts davon, weil sie keine gescheite Elektrostrategie haben. Das beinhaltet also gleich einen schönen Effekt: Es würden eher die deutschen Autobauer gefördert als die ausländischen.
WirtschaftsWoche: Womit ein weiterer Kritikpunkt an der Kaufprämie für alle Autos ausgehebelt wäre…
Markus Lienkamp: Richtig. Denn bei der Abwrackprämie vor zehn Jahren zeigte sich, dass vor allem die billigen Ausländer gekauft worden sind. Autos, bei denen man sagte, das war es jetzt auch nicht, was wir brauchten.
Das Interview wurde bei wiwo.de veröffentlicht unter diesem Link: https://www.wiwo.de/unternehmen/auto/auto-experte-lienkamp-abwrackpraemie-das-ist-keine-investition-das-ist-quatsch/25833996.html
Zeitgleich zum Interview veröffentlichte Prof. Lienkamp und Team ein Buch mit dem Titel: Status Elektromobilität 2020 – Das Endspiel nach der Corona-Krise. Es ist unter folgendem Link oder im angehängten pdf einzusehen:
Der Bundesverband eMobilität (BEM) ist ein Zusammenschluss von Unternehmen, Institutionen, Wissenschaftlern und Anwendern aus dem Bereich der Elektromobilität, die sich dafür einsetzen, die Mobilität in Deutschland auf Basis Erneuerbarer Energien auf Elektromobilität umzustellen. Zu den Aufgaben des BEM gehört die aktive Vernetzung von Wirtschaftsakteuren für die Entwicklung nachhaltiger und intermodaler Mobilitätslösungen, die Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Ausbau der eMobilität und die Durchsetzung von mehr Chancengleichheit bei der Umstellung auf emissionsarme Antriebskonzepte. Der Verband wurde 2009 gegründet. Er organisiert 300 Mitgliedsunternehmen, die ein jährliches Umsatzvolumen von über 100 Milliarden Euro verzeichnen und über eine Million Mitarbeiter weltweit beschäftigen.
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