Griechenlands früherer Premierminister Alexis Tsipras fordert ein entschlossenes Eingreifen der EU, um die negativen Folgen der Corona-Krise zu mindern. „Es gibt keine Alternative zur Rettung des Südens“, sagte Tsipras im Interview mit ZEIT ONLINE. Wenn man Europa zusammenhalten wolle, müssten alle Solidarität zeigen. "Die Regierungen des Nordens müssen endlich ihren Gesellschaften erklären, wie sehr auch sie von der Europäischen Union profitieren", ergänzte der Vorsitzende der linken Syriza-Partei.

Tsipras bezieht seine Kritik vor allem auf eine Gruppe von Ländern, die sich bisher gegen das Rettungspaket der EU-Kommission in Höhe von 750 Milliarden Euro wehrt. Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande bezeichnen sich als „Die sparsamen Vier“. Die Regierungschefs dieser vier Länder sollten sich auf dem kommenden EU-Gipfel „der Wahrheit stellen“, sagte Tsipras ZEIT ONLINE. Wenn sie nicht der Politik der gegenseitigen Solidarität zustimmten, wachse die Gefahr eines Zusammenbruchs der EU dramatisch. „Ich nehme aber an, dass auch in diesen Ländern nur wenige Menschen einen solchen Zusammenbruch befürworten“, sagte der griechische Oppositionsführer.

Deutschland hingegen lobte Tsipras. „Die Bundeskanzlerin hat sehr viel Erfahrung in großen Krisen gesammelt“, sagte er. „Sie kennt auch die Fehler der Vergangenheit.“ Frau Merkel und der gesamte Apparat von Kanzleramt und den Institutionen, die hinter ihren Entscheidungen stünden, wüssten sehr genau, dass wir es jetzt mit einer systemrelevanten Gefahr zu tun hätten. Griechenland habe in der Schuldenkrise vor fünf Jahren nur 1,5 Prozent der gesamten europäischen Wirtschaftsleistung ausgemacht. „Eine Reihe extrem konservativer Politiker wollte unser Land bestrafen und als abschreckendes Beispiel benutzen, um vor Schulden zu warnen“, sagte Tsipras im Rückblick auf die Krise von damals. Aber in dieser Krise hätten wohl alle verstanden, dass es jetzt Hilfe brauche. „Die Debatte verlaufe deshalb auch in Deutschland „vollkommen anders“ als früher in der Schuldenkrise.

Tsipras äußerte sich im Interview mit ZEIT ONLINE auch über die momentan schwierigen Beziehungen Griechenlands und der EU zur Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte angekündigt, Bohrungen nach Erdgas im Seegebiet südlich von Kreta durchzuführen. Dazu sagte Tsipras: „Die Türkei muss begreifen, dass einseitige offensive Aktionen sich gegen ihre eigenen Interessen richten und dass sie diese nur auf Basis des internationalen Rechts sichern kann.“ Deutschland könne hier vermitteln und müsse die EU-Ratspräsidentschaft nutzen für einen sehr viel substanzielleren Dialog zwischen Europa und der Türkei. „So wie die USA muss auch die EU mit Sanktionen drohen, sollte die Türkei weiterhin internationales Recht verletzen", forderte Tsipras. Andererseits müsse die EU der Türkei auch eine positive Perspektive eröffnen für einen Beitritt zur Zollunion.

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