Wenn Menschenleben in Gefahr sind, muss es schnell gehen: Wählt jemand den Notruf 112, muss laut hessischem Rettungsdienstplan spätestens zehn Minuten danach Hilfe vor Ort sein. Jedoch stellen steigende Einsatzzahlen und gleichbleibende Anzahl an Notärzten und Rettungsdienstpersonal diese gesetzlich festgelegte Hilfsfrist auf die Probe. Um eine schnelle und effiziente notfallmedizinische Versorgung sicherzustellen, gehen die Landkreise Gießen, Marburg-Biedenkopf und Vogelsberg einen besonderen Weg: 2018 haben sie gemeinsam das Innovationsprojekt „Telemedizin im Rettungsdienst“ gestartet, das seit dem 1. Januar 2019 vom Hessischen Sozialministerium gefördert wird. Dieses wird nun bis 2022 verlängert. 

„In der Pilotphase haben wir festgestellt, dass die medizinischen und technischen Abläufe der Telemedizin sehr gut funktionieren“, berichtet die Gießener Landrätin Anita Schneider. „Aufgrund der guten Erfahrungen haben wir uns entschieden, das Projekt zu verlängern.“

„Die neue Technik, die in der Telemedizin eingesetzt wird, unterstützt unser Rettungsdienstpersonal und auch unsere Notärzte in ihrer täglichen verantwortungsvollen Tätigkeit und bietet damit unseren Patienten ein noch höheres Maß an Sicherheit“, ergänzt der Vogelsberger Landrat Manfred Görig.

Das vom hessischen Ministerium für Soziales und Integration geförderte Projekt soll unnötige Notarzteinsätze reduzieren und Patientenströme so lenken, dass Erkrankte die passende ärztliche Versorgung erhalten. So werden Patienten abhängig von der Schwere ihrer Erkrankung entweder durch den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) oder in der Notaufnahme behandelt – unabhängig davon, ob sie ursprünglich den ÄBD (116117) oder den öffentlichen Rettungsdienst (112) kontaktiert haben. Das kann verhindern, dass die Notaufnahmen der Krankenhäuser durch Patienten blockiert werden, die objektiv keine Notfälle sind. „Mit dem Einsatz der Telemedizin schonen wir also wertvolle Ressourcen im Rettungsdienst und unseren Krankenhäusern“, hebt die Landrätin des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Kirsten Fründt, hervor.

Unnötige Notarzteinsätze reduzieren und Patientenströme lenken

Möglich wird das Projekt durch hochqualifiziertes Rettungsdienstpersonal und moderne EKG-Geräte, mit denen zwölf Rettungswagen in den drei Landkreisen ausgestattet sind. Geht ein Notruf bei der Leitstelle ein, fragt diese zuerst relevante Informationen zur Notfallsituation ab. Vermutet sie danach ein Krankheitsbild, das keine akute Lebensbedrohung darstellt, kann sie zunächst einen ohne Notarzt besetzen Rettungswagen losschicken. Notfallsanitäter und Rettungsassistent untersuchen vor Ort den Patienten mit modernen EKG-Geräten. Diese Geräte können die ermittelten Werte wie EKG-Kurve, Sauerstoffsättigung oder Blutdruckwerte per Funk an einen diensthabenden Telenotarzt übermitteln. Dieser nimmt die übertragenen Werte der Patienten über ein Notebook entgegen und bewertet sie. Wenn es erforderlich sein sollte, kann der Notarzt noch immer direkt zum Patienten kommen.

Nur wenn keine akute Gefährdung besteht, wird Telemedizin genutzt

Auswertungen haben gezeigt, dass sich bei Rettungsdiensteinsätzen wegen eines Verdachts auf ein akutes Koronarsyndrom – dazu zählt beispielsweise ein Herzinfarkt – diese Diagnose nur in weniger als der Hälfte aller Fälle bestätigte. In der Mehrzahl der Fälle handelte es sich um ein milderes Krankheitsbild. Allein bei dieser Vermutungsdiagnose lässt sich somit die Anzahl der Notarzteinsätze um etwa 50 Prozent reduzieren. Darüber hinaus sind viele weitere Krankheitsbilder denkbar, bei denen sich die Therapie durch den Telenotarzt steuern ließe, ohne dass ein Notarzteinsatzfahrzeug vor Ort sein muss. Voraussetzung ist aber immer, dass es sich nicht um eine akute Gefährdung handelt. „Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise Notarzteinsätze reduzieren zu können, ist hoch“, sagt Landrätin Anita Schneider.

Landrat Manfred Görig weist darauf hin, dass die Telemedizin auch vom Rettungsdienst selbst sehr gut angenommen wird. „Und die Daten, die bislang erhoben werden konnten, zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind“.

Finanziert wird das Projekt über die „Richtlinie des Landes Hessen zur Förderung von Innovationsprojekten in Telemedizin und E-Health“. Hiernach trägt das Land 50 Prozent der Kosten. Die restlichen 50 Prozent übernehmen die Krankenkassen. 

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