Das Städel Museum konnte durch großzügiges mäzenatisches Engagement zwei bedeutende Werke des deutschen Expressionismus erwerben: das Gemälde Astrale Komposition VI (1912) von Wilhelm Morgner für die Sammlung Moderne und die Druckgrafik Männerbildnis (1919) von Erich Heckel für die Graphische Sammlung. Beide Werke konnten mit Mitteln von Volker Westerborg für das Städel Museum und den Städelschen Museums-Verein angekauft werden. Das Gemälde von Wilhelm Morgner ist im Sammlungsbereich Moderne des Städel für die Besucherinnen und Besucher ausgestellt. Die Grafik von Heckel war in der Ausstellung „Geheimnis der Materie. Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff“ (26. Juni – 13. Oktober 2019) zu sehen und ist in der Digitalen Sammlung zugänglich. Mit diesen Neuerwerbungen kann das Museum seinen Sammlungsbestand an expressionistischer Kunst um wichtige Werke ausbauen: Mit Heckels Druckgrafik wird der Schwerpunkt an Werken der „Brücke“-Künstler gestärkt, mit Morgners Gemälde gelangt eine wichtige Position des sogenannten Westfälischen Expressionismus in die Sammlung des Museums. Der zu Lebzeiten erfolgreiche Künstler geriet nach seinem frühen Tod im Ersten Weltkrieg zunehmend in Vergessenheit. 1937 wurden seine Werke in deutschen Museumssammlungen als „entartet“ beschlagnahmt. Seit einigen Jahren wird Morgners Beitrag zur Entstehung des deutschen Expressionismus verstärkt gewürdigt. Mit insgesamt vier Gemälden und drei Zeichnungen präsentierte das Städel zuletzt Werke des Künstlers in der Ausstellung „MAKING VAN GOGH. Geschichte einer deutschen Liebe“ (23. Oktober 2019 – 16. Februar 2020).

„Das Städel Museum wird für seinen außerordentlichen reichen Bestand an expressionistischer Kunst nicht nur in Fachkreisen geschätzt. Die Werke der ‚Brücke‘-Künstler und anderer Expressionisten zählen zu den Lieblingen unserer Besucherinnen und Besucher. Ich freue mich, dass wir nun diesen Sammlungsbereich mit zwei bedeutenden Werken von Wilhelm Morgner und Erich Heckel vergrößern konnten. Es sind die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, die solche Neuerwerbungen möglich machen. In diesem Fall gilt unser besonderer Dank dem Mäzen Volker Westerborg für sein großzügiges Engagement“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.

Wilhelm Morgners (1891–1917) Gemälde zählt zu einer Reihe von 26 Ölgemälden und zahlreichen Papierarbeiten, die der Künstler als „Astrale Kompositionen“ bezeichnet und in der kurzen Zeitspanne zwischen 1912 bis 1913 geschaffen hat. Formal zeugt die Astrale Komposition VI (1912) von einem entscheidenden Wandel in der Malerei Morgners: Innerhalb kürzester Zeit legte er seinen in den Jahren ab 1910 entwickelten figürlich-ornamentalen Bildaufbau aus streng konturierten Flächen ab, um der reinen Farbe größere Eigenständigkeit einzuräumen. Zudem wollte Morgner sich vom Naturvorbild stärker lösen und in seiner Malerei innere Vorgänge abbilden. Der Künstler vollzog diesen Prozess anhand seines zentralen Themenkomplexes, des arbeitenden Menschen auf dem Feld. Seine Figuren, die meist in gebeugter Haltung vor dem weiten Horizont der Soester Börde erscheinen, verschmelzen sukzessive mit dem umgebenden Raum und verbildlichen so das metaphysische „Einswerden“ von Mensch und Natur. Astrale Komposition VI zeigt eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe in diesem Prozess, wenngleich die schemenhafte Silhouette einer Gestalt im Mittelgrund noch erkennbar ist. Die beschreibende Kontur ist jedoch verschwunden und einem systematisierten Farbauftrag aus kurzen, parallel gesetzten Pinselstrichen nach dem Vorbild Vincent van Goghs (1853–1890) gewichen, womit das Gemälde in eine rhythmische Schwingung versetzt wird. Das Werk verdeutlicht überzeugend den Schwebezustand zwischen Figuration und Abstraktion, durch den Morgner eine Sonderstellung im deutschen Expressionismus einnimmt

Werkangaben
Wilhelm Morgner (1891–1917)
Astrale Komposition VI (1912)
Öl auf Malkarton, auf Hartfaserplatte aufgezogen
Erworben 2019 mit Mitteln von Volker Westerborg
Eigentum des Städelschen Museums-Vereins e.V.
Inv.-Nr. 2525

Der Mitbegründer der Künstlergruppe "Brücke", Erich Heckel (1883-1970) schuf im Jahr 1919, vermutlich während seines ersten Aufenthalts in Osterholz an der Flensburger Förde nach der Rückkehr aus Flandern, sein vielleicht eindringlichstes Selbstbildnis im Holzschnitt. In reduzierten Linien und Flächen hat er sein Gesicht dargestellt, nicht naturalistisch, sondern in tragischer Gestimmtheit übersteigert: In einer Geste des Nachdenkens sind die Hände gefaltet ans Kinn geführt, der Blick geht in sich gekehrt am Betrachter vorbei, die hohe Denkerstirn und die schmalen Wangen sind durch wenige schartige Linien wie ein Fels zerfurcht. Die Ruhe des Ortes, schrieb Heckel dem befreundeten Lyonel Feininger (1871-1956), lasse die Ereignisse des Krieges wieder wach werden, und so mag das Männerbildnis (1919) jenes Erinnern zum eigentlichen Thema haben. Auch ohne dieses Wissen wirkt das Bildnis introspektiv, traurig und angespannt in gleichem Maße, eine Wirkung, die bei den farbigen Abzügen durch den Kontrast von Blau, Grün und Ocker noch gesteigert wird. Heckel hat für die regulären Abzüge die Flächen großzügig eingefärbt und darüber dann den Zeichnungsstock in Schwarz gedruckt; allein bei einzelnen Probedrucken, wie diesem, der sich in seinem Nachlass erhalten hat, liegt der Farbakkord über der Zeichnung, in dunklerem Kolorit, sodass sich zwischen Betrachter und das in Gedanken verlorene Gesicht kühn eine weitere Ebene schiebt.

Werkangaben
Erich Heckel (1883–1970)
Männerbildnis (1919)
Farbholzschnitt von zwei Stöcken, 2. Zustand (von 3), Probedruck
Erworben 2019 mit Mitteln von Volker Westerborg
Inv.-Nr. 67961

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