Mit sehr guten Prognosen waren die 45 Jugendherbergen in Schleswig-Holstein, Hamburg und dem nördlichen Niedersachsen in das Jahr 2020 gestartet. Rund 1,1 Millionen Übernachtungen waren anvisiert, realisiert werden davon im Corona-Jahr mit voraussichtlich 300.000 nicht mal ein Drittel.
Rückblick: Vom Lockdown schrittweise in die neue Normalität
Nach dem traditionell belegungsschwachen Winter musste der Landesverband Nordmark des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) seine Häuser von Mitte März bis Ende Mai schließen. Eine Zeit, in der normalerweise Hochsaison mit Klassenfahrten in den Herbergen herrscht. Das Personal an allen Standorten ging in Kurzarbeit, Saisonkräfte konnten nicht beschäftigt werden. Mehrere tausend Aufenthalte wurden kurzfristig storniert. „Das Telefon stand nicht mehr still“, erinnert sich Herbergselternsprecher Arnth Isernhagen. „Viele Gäste haben zum Glück unser Angebot angenommen, kostenfrei umzubuchen oder ihre Anzahlung in einen Gutschein umzuwandeln.“
Ab dem Pfingstwochenende öffneten einige der Jugendherbergen im Norden schrittweise wieder, sofern Aussicht auf Belegung bestand – mit einem erweiterten Hygienekonzept. Im ersten Schritt waren rund ein Drittel der 45 Jugendherbergen geöffnet, inzwischen sind es 34. Acht Jugendherbergen bleiben dennoch bis zum nächsten Frühjahr geschlossen. Weitere Häuser öffnen nur zeitweise – zum Beispiel für Gruppen oder Kinderfreizeiten.
Viele Familien & bewährte Hygienekonzepte
Über diesen Sommer besuchten hauptsächlich Familien, Erholungssuchende und kleine Gruppen die norddeutschen Jugendherbergen. Dass Familien ihren Sommerurlaub dort verbringen, ist nicht ungewöhnlich. Dass sie mit einem Anteil von ca. 60 Prozent zur Hauptzielgruppe des Jahres werden ist jedoch untypisch für Gruppenunterkünfte. In normalen Jahren sind es etwa 30 Prozent.
„Von der insgesamt hohen Nachfrage nach Urlaub in Deutschland konnten wir nur bedingt profitieren“, resümiert Stefan Wehrheim, Geschäftsführer des DJH-Landesverbands Nordmark e.V. „Viele Jugendherbergen sind in ihrer räumlichen Struktur auf Gruppen ausgelegt. Zudem ließen die Auflagen hinsichtlich Belegung, Verpflegung und Abstandsregeln an den meisten Standorten leider keine Vollauslastung zu.“ Im Durchschnitt konnten rund 60 Prozent der geöffneten Kapazitäten belegt werden. Von Januar bis Juli 2020 wurden insgesamt knapp 29 Prozent der Übernachtungen aus dem Vorjahreszeitraum verzeichnet.
Bewährt hat sich das eigene Hygienekonzept der Jugendherbergen im Norden: „Wir haben unsere ohnehin schon sehr strengen Hygienepläne erweitert und auf die aktuellen Bedarfe angepasst“, berichtet Wehrheim. „Die Gäste waren dankbar und haben uns viele erfreuliche Rückmeldungen gegeben. Es gab keinen Covid-19-Fall. Somit haben wir den Praxistest über den Sommer bestanden.“
Status quo: Kaum Klassenfahrten
Rund 40 bis 50 Prozent der Gäste in Jugendherbergen sind normalerweise Schulklassen auf Klassenfahrt. Dieses Kerngeschäft ist nahezu für das gesamte Jahr weggebrochen, denn auch im Herbst finden kaum Fahrten statt. Dies liegt auch an den Auflagen der Kultusministerien und Schulbehörden, die Klassenfahrten weiterhin verbieten (z.B. Hamburg) oder nur unter hohen Auflagen befürworten. Die Prognose für die Herbstsaison liegt bei weniger als 30.000 statt sonst rund 175.000 Übernachtungen. Das entspricht einem Jahresrückgang im Schulbereich von knapp 90 Prozent. Auch Orchesterproben, Chorfreizeiten, Trainingslager und weitere Gruppenfahrten, die ebenfalls wichtige Gästegruppen für die Jugendherbergen sind, finden leider nur selten statt.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Wirtschaftlich hat die Corona-Krise den DJH-Landesverband Nordmark e.V. hart getroffen. Für einen Ausfall wie in diesem Jahr fehlt jedes Polster. „Unsere Gemeinnützigkeit, verbunden mit den strengen Vorgaben der Abgabenordnung zur Rücklagenbildung, unsere Zugehörigkeit zum Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe, die dafür angemessene, kostendeckende Preispolitik und die ständige Reinvestition in die Struktur unserer Häuser ermöglichen uns keine großen wirtschaftlichen Reserven“, erklärt Angela Braasch-Eggert, Vorsitzende des Landesverbands.
Etwas Erleichterung gab es durch ein Sonder-Darlehen des Landes Schleswig-Holstein von insgesamt 7,1 Mio. Euro für die laufenden Modernisierungen der Jugendherbergen Büsum und Wittdün sowie einen Kredit über 750.000 Euro aus dem Mittelstandssicherungsfond der Investitionsbank Schleswig- Holstein. „Wir sind dankbar für diese Kredite“, sagt Stefan Wehrheim. „Doch wir sind weiterhin dringend auf Soforthilfen ohne Rückzahlungsverpflichtung angewiesen, um das Überleben der Jugendherbergen im Norden zu sichern“, warnt er eindringlich. Aus dem Konjunkturpaket des Bundes beantragt der DJHLandesverband Nordmark derzeit Überbrückungshilfen. Das Land Niedersachsen will in Not geratene Jugend- und Familieneinrichtungen unterstützen. „Auf Klassenfahrten findet soziales Lernen statt. Wenn es diese Orte nicht mehr gibt, fehlen diese prägenden Momente in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“, ergänzt Wehrheim.
Ausblick: Wie geht es für die Jugendherbergen im Norden weiter?
Nach aktuellen Prognosen wird der DJH-Landesverband Nordmark e.V. das Jahr mit 300.000 Übernachtungen und einem Minus im mittleren einstelligen Millionenbereich abschließen – trotz Sparmaßnahmen und Kurzarbeit. Doch die verbleibenden Mitarbeiter zeigen vollen Einsatz, um auch kurzfristig und mit neuen Konzepten so viele Betten wir möglich zu belegen. „Wir versuchen, in Lösungen zu denken“, berichtet Stefan Wehrheim.
Wo normalerweise im Gruppengeschäft mit langer Vorlaufzeit geplant wird, reagiert das DJH-Team derzeit kurzfristig auf Bedarfe. Neben hoher Flexibilität in der Personalplanung zeigt sich dies auch in der Bereitschaft für Sonderbelegungen, in besonderen Angeboten für die Nebensaison oder kurzfristigen Stornierungsbedingungen. Der gemeinnützige Verband tauscht sich intensiv mit Schulbehörden sowie Vertretern aus der Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft aus. „Wir möchten bei der Rückkehr in den Schulalltag unterstützen. Dabei sind wir bereit, neu zu denken und bieten unser Knowhow und unsere Räumlichkeiten an“, betont der Geschäftsführer.
Derzeit bieten die Jugendherbergen mit „Nordisch by nature“ u.a. eine 3-tägige Klassenfahrt für 99 Euro pro Person an – zur Entzerrung in den Schulen und zur Stärkung der Klassengemeinschaft nach monatelangem Homeschooling (https://nordmark.jugendherberge.de/…). Für Eltern und ihre Kinder wurden die „Familien-Urlaubsdeals“ entwickelt, mit denen ein Urlaub im Herbst und Winter bereits ab 17 Euro pro Person und Tag möglich ist (nordmark.jugendherberge.de/familiendeals). Eine coronabedingte Stornierung ist jeweils bis einen Tag vor Anreise möglich.
Noch ist die Vorbuchungslage für das nächste Jahr sehr gut. Bereits rund 450.000 Übernachtungen sind gebucht – rund 55 Prozent mehr als zum gleichen Zeitpunkt in Vorjahren, darunter natürlich auch verschobene Nachholtermine aus 2020. Die Sorge um die Zukunft bleibt jedoch weiterhin groß. „Alles hängt von dem weiteren Pandemie-Verlauf ab. Uns ist bewusst, dass sich innerhalb kürzester Zeit alles wieder komplett ändern kann“, gibt Wehrheim zu bedenken. Somit ist weiterhin ungewiss, welche Konsequenzen die Corona-Krise für den Fortbestand der 45 Jugendherbergen im Norden und ihre Teams haben wird.
Jubiläumsjahr: Anders als gedacht
Besonders bitter ist der Zeitpunkt der Corona-Krise für die Jugendherbergen: Am 26. August 2020 feiert die Jugendherbergsidee 111. Geburtstag. Geplant war, das Jubiläum in diesem Jahr deutschlandweit unter dem Motto #andersalsdudenkst zu feiern, u.a. mit einem großen Familien-Festival in Hamburg. Nun ist tatsächlich alles anders als gedacht. Gefeiert wird trotzdem – mit einem Dank an alle treuen DJH-Mitglieder, -Mitarbeitende und Unterstützer: Hierzu wurde der anlässlich des Jubiläums geplante DJH-Song von Produzent Peter Hoffmann und Sänger Jonny vom Dahl kurzerhand uminterpretiert. Die Veröffentlichung erfolgt am 26. August (u.a. auf www.jugendherberge.de).
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