Reporter ohne Grenzen (RSF) ist schockiert über den Freispruch für den mutmaßlichen Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten Ján Kuciak in der Slowakei.

„Dieses Urteil ist ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen von Ján Kuciak und Martina Kušnírová. Das Gericht hat die Chance verpasst, ein dringend nötiges Zeichen gegen Straflosigkeit und mafiöse Strukturen in Staat und Gesellschaft der Slowakei zu setzen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Urteil sendet ein verheerendes Signal an alle Journalistinnen und Journalisten, die unter großen persönlichen Risiken über korrupte und kriminelle Machenschaften berichten: Mitten in der EU kann ein Journalist kaltblütig erschossen werden, ohne dass der Auftraggeber zur Rechenschaft gezogen wird. Dieser Freispruch offenbart schwere Versäumnisse von Ermittlungsbehörden und Justiz in der Slowakei. Man kann nur hoffen, dass dieses schockierende Urteil in einer höheren Instanz korrigiert wird.“

Das Spezialstrafgericht in Pezinok nahe Bratislava sprach am Donnerstag (3.9.) den Geschäftsmann Marian Kočner aus Mangel an Beweisen von dem Vorwurf frei, er habe den Mord an dem Investigativjournalisten Kuciak in Auftrag gegeben, bei dem auch dessen Verlobte Martina Kušnírová getötet wurde. Ebenso sprach das Gericht eine Vertraute Kočners frei, die beschuldigt wurde, über einen Mittelsmann den Kontakt zu zwei Auftragsmördern hergestellt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte jeweils 25 Jahre Haft gefordert. Stattdessen verurteilte das Gericht Kočner lediglich wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Geldstrafe. Einen Tathelfer, der das Fluchtfahrzeug gefahren haben soll, verurteilte der dreiköpfige Senat zu 25 Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der geständige Auftragsmörder, der die tödlichen Schüsse auf Kuciak und Kušnírová abgegeben hatte, war Anfang April zu 23 Jahren Haft verurteilt worden, ein als Kronzeuge auftretender Mittelsmann bereits im Dezember zu 15 Jahren. Weil die anderen drei Beschuldigten, gegen die nun die Urteile gesprochen wurden, ihre Tatbeteiligung abstritten, stützte sich die Anklage neben diesen Geständnissen wesentlich auf Indizien. Anfang dieser Woche hatte die Staatsanwaltschaft beantragt, zusätzliche Beweise zuzulassen. Dies lehnte das Gericht jedoch ab. Kuciak hatte über Korruption und Mafia-Verbindungen recherchiertKuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová waren am 21. Februar 2018 erschossen worden. Als Investigativjournalist bei dem Nachrichtenportal Aktuality.sk hatte Kuciak vor seinem Tod über Korruption, Steuerhinterziehung und Verbindungen hochrangiger slowakischer Politiker zur italienischen Mafia recherchiert. Auch über die Geschäftsverbindungen von Marián Kočner hatte Kuciak wiederholt geschrieben.

Im Zuge der Ermittlungen und des Prozesses wurde publik, dass Kočner nicht nur Ján Kuciak, sondern mehr als zwei Dutzend Journalistinnen und Journalisten hatte ausforschen und überwachen lassen – offenbar, um sie mit verfänglichen Informationen unter Druck zu setzen. Den Reporter Kuciak hatte der Geschäftsmann schon im Herbst 2017 bedroht; als sich der Journalist deshalb an die Polizei wandte, unternahm die jedoch nichts zu seinem Schutz. Die Ermittlungen ergaben auch Hinweise auf weitere Verbrechen, in die mutmaßlich Persönlichkeiten aus Politik, Justiz und Polizei in Kočners Umfeld verstrickt waren. Politische Umwälzungen – aber weiter verbale Angriffe und Drohungen Der Mord an Kuciak und Kušnírová löste in der Slowakei Massenproteste aus, die zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten Robert Fico und mehrerer Minister führten. Fico hatte Journalistinnen und Journalisten unter anderem als „schmutzige, antislowakische Huren“ verunglimpft. Auch andere prominente Mitglieder seiner Partei Smer-SD taten sich durch medienfeindliche Rhetorik hervor. Bei den Parlamentswahlen Ende Februar 2020 wurde die Partei abgewählt.

Auch der neue Ministerpräsident Igor Matovič ist inzwischen mit medienfeindlichen Äußerungen aufgefallen. Als Journalistinnen und Journalisten ihn im Juli mit Plagiatsvorwürfen bezüglich seiner Diplomarbeit konfrontierten, warf er unter anderem Mária Benedikovičová von der Zeitung Denník N vor, sie handle aus politischen Motiven böswillig und gegen nationale Interessen.

Auch Drohungen gegen Medienschaffende kommen in der Slowakei weiterhin vor. Ende Juni fand der Investigativreporter Peter Sabo von Aktuality.sk, wo auch Kuciak gearbeitet hatte, eine Pistolenpatrone in seiner Post. Sabo recherchiert über organisiertes Verbrechen und hat auch über die Ermittlungen zum Mord an Kuciak berichtet.

Die Slowakei steht auf Platz 33 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit.

Mehr zur Lage der Pressefreiheit in der Slowakei lesen Sie hier: www.reporter-ohne-grenzen.de/slowakei.

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