Das Hafenvorfeld im Olympiahafen von Schilksee hat ein ungewöhnliches Kieler-Woche-Kleid angelegt. Dort, wo sich sonst die Pagoden der Schausteller und Partner aneinanderreihen, prägen nun Absperrgitter das Bild. Pfeile auf den Boden weisen den Weg, Supervisor stehen bereit, um Fragen zu beantworten. Aber sowohl Organisatoren*innen und Helfer*innen als auch Aktive haben sich mit der ungewöhnlichen Situation arrangiert. Mit Abstand und dem Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes werden die Jollen aufgebaut, die je nach Klasse in abgetrennten Bereichen sortiert sind.
Während sich die Jollen schnell an das neue Setup gewöhnt haben, taten sich bei den Yachten ein paar unerwartete Probleme auf. Da im Hafen nur ein begrenztes Kontingent an Liegeplätzen zur Verfügung steht, passten nicht alle geplanten Boxen mit den Ausmaßen der Yachten zusammen. Doch mit entsprechender Flexibilität aller Beteiligten wurden diese Probleme schnell gelöst.
Für die Titelanwärter unter den Yacht-Crews stand am Freitag noch intensive Bootspflege an. Diverse Teams schickten Taucher in das Wasser, um das Unterwasserschiff auf High-Performance zu trimmen. So musste auch Nils Reichert ins Wasser. Gemeinsam mit Knut Freudenberg strebt er auf der „Halbtrocken“ die Titelverteidigung bei der Deutschen Meisterschaft der Doublehand-Offshore-Segler an, aber auch bei der IDM der Seesegler mit voller Crew in der Gruppe ORC 3 / 4 will die „Halbtrocken“, die First 36.7, im Kampf um die Medaillen eingreifen.
„Die Crew ist heiß auf die Kieler Woche. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass wir in dieser Zusammensetzung segeln können“, berichtet Freudenberg. „In unserer Gruppe ist die ‚Immac Fram‘ favorisiert. Da passt der Rennwert, und die Mannschaft hat wohl intensiv trainiert. Unser Ziel ist es, in die Top-Drei zu kommen.“ Zur Titelverteidigung bei den Doublehandern sieht Freudenberg viele Fragezeichen: „Die Gruppe ist anders aufgestellt als im vergangenen Jahr. Und für uns sind die Kurse wichtig. Wir brauchen große Kreuzanteile, um unseren Rennwert raussegeln zu können.“
Eine große Blackbox ist die Kieler Woche für die Crew der „Sportsfreund“. Die Europameister des vergangenen Jahres haben das Boot, eine X 41, erst vor zwei Tagen ins Wasser gebracht und wollten am Freitag noch einen kleinen Trainingsschlag machen, um dann in der ORC-Gruppe 1 / 2 wieder auf den Erfolgskurs einschwenken zu können.
Eine Regatta im Vorsprung ist in dieser Gruppe die „Intermezzo“, die beim Blueribboncup vor zwei Wochen den Gruppensieg einfahren konnte. Allerdings musste Eigner und Steuermann Jens Kuphal seine Mannschaft auf der Landmark 43 noch kurzfristig umbauen. Die zweimalige Weltumseglerin Annie Lush hat ihr Kommen von Mallorca absagen müssen. „Zum Glück haben wir mit Phil Blinn einen guten Ersatz finden können“, ist Kuphal zuversichtlich, nach dem IDM-Sieg im vergangenen Jahr nun wieder um den Titel mitkämpfen zu können. Die Yacht ist dafür hervorragend vorbereitet, hat im Winter unter der Regie von Trimmer Max Gurgel ein intensives Refit erhalten. Wichtigste Punkte dabei: Der Kiel hat ein verändertes Profil erhalten, und die gesamte Yacht wurde um 450 kg Gewicht erleichtert. „Das war erstaunlicherweise gar nicht so schwierig. Obwohl der ehemalige Eigner Claus Landmark zwei Mal mit dem Boot Weltmeister war, hat er das Boot auch noch zum Cruisen genutzt. So konnten wir einige Ausrüstung wie eine Keramik-Toilette, Kühlschrank, Elektronik-Winschen und große Batterie für die Bakstag-Hydraulik ausbauen“, berichtet Gurgel. „Im Rennwert war die Veränderung gar nicht so groß. Wir müssen nach GpH eine Sekunde schneller segeln. Das sollte zu schaffen sein.“
Die Seesegel-Meisterschaft hat auch für internationale Crews eine hohe Anziehungskraft. Für die „Happy Hour“ aus Polen, eine Italia 9.98, ist die Kieler Woche die erste Bewährungsprobe überhaupt. „Wir haben das Boot zu dieser Saison aus Dänemark gekauft, konnten bisher nur zwei lokale Regatten segeln“, so Steuermann Robert Gwózdz. „Jetzt freuen wir uns, auf hohem Niveau segeln zu können. Unser Ziel ist die ORC-WM im kommenden Jahr in Estland.“ Vor einer Woche hat die Überführungscrew die Überfahrt von Gdynia angetreten, um rechtzeitig in Kiel zu sein.
Ein allererster Test für die gesamte Mannschaft ist die Kieler Woche auch für die niederländische „van Uden“. Gerdjan Poortman und Jaap van Rijckevorsel führen als Trainer das Junioren-Projekt auf der Ker 46, übernehmen an Bord lediglich die Position als Runner, um die junge Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 21 Jahren zu beobachten und zu führen. „Wir haben das Projekt mit dem ‚Rotterdam Offshore Racing Team‘ im Winter gestartet, wurden dann aber durch Corona ausgebremst. Erst im Juli konnten wir mit dem Training beginnen. Die Kieler Woche wird unsere erste Regatta. Wir sind sehr froh, dass die Organisatoren das möglich machen“, erklärt Poortman. Die Umschulung der bisherigen Jollen- zu Seeseglern zielt darauf ab, den Weg in das professionelle Segeln zu öffnen. „Der Fokus zur Kieler Woche liegt auf uns selbst, um uns zu verbessern. Natürlich wollen wir immer gewinnen. Aber die Yacht ist eher IRC- als ORC-optimiert.“ Daher ist das große Ziel der Kampagne die Teilnahme am Fastnet Race im kommenden Jahr. Die Teilnahme an der IDM der Seesegler zur Kieler Woche 2020 wird dahin der erste Meilenstein.
Mit den ersten Starts am Samstag ist der Kampf um die deutschen Titel eröffnet. Die IDM-Segler gehen ab 10.30 Uhr auf die Bahn. Zuvor starten die Yachten der breitensport-orientierten Regatten um das Welcome-Race und der Aalregatta.
Obwohl die Kieler Woche 2020 in ihrem Angebot für Interessierte und Zuschauer deutlich eingeschränkt ist, ergeben sich doch einige Möglichkeiten, um Segelsport zu erleben.
Maritimes Erlebnis: Kieler Woche plus X können auch Segel-affine Nicht-Bootseigner live erleben. Eine große Auswahl an Schiffen, unter anderem die „Thor Heyerdahl“, bieten Halbtages-, Tages und Abendtörns an. So kostet ein Abendtörn auf der „Thor Heyerdahl 30 Euro. Ein besonderes Highlight ist sicherlich die Segelparade am Samstag, den 12. September, an der viele kleine und große Schiffe teilnehmen.
Buchung unter: www.kiel-sailing-city.de/schiffstouren
Open-Camp-Schnupperstörns: Das Camp 24/7, das bis Ende der Kieler Woche geöffnet ist, bietet zur Kieler Woche Minitörns auf Segelkuttern an. Die Kosten betragen 7 Euro, eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich.
www.camp24-7.de/veranstaltungen
Segelkino: Alle kennen das Autokino, die Segelstadt Kiel bietet ein Segelkino. Zum einen natürlich für Skipper mit eigenem Boot, aber auch Nicht-Bootseigner können das Segelkino an Bord eines Traditionsseglers erleben. Alle Boote bekommen einen Ankerplatz zugewiesen, und das Segelkinoprogramm am Küstenkraftwerk der Stadtwerke Kiel kann starten. Die Vorstellung beginnt ab Samstag, den 5. September täglich um 20 Uhr. Check-in ist täglich um 18 Uhr, Rückkehr um 22.30.
Buchung für 35 Euro unter: www.kiel-sailing-city.de/schiffstouren
Segeln plus X mit Hygiene und Abstand
Neben Segelsport auf höchstem Niveau kennzeichnete bislang auch traditionell eine bunte Eventfläche in Schilksee die Kieler Woche. Anders in diesem Jahr. Im Mittelpunkt des Geschehens steht ausschließlich der Segelsport. Schilksee wird zu einer geschlossenen Gesellschaft ohne Eventareal. Das Hafengelände wird für die Öffentlichkeit abgesperrt. Die Aktiven sind mit Trainern und Organisatoren unter sich. Auf Veranstaltungszelte, die Sponsorenmeile und Verkaufsstände wird verzichtet. Das Regattahaus, der boot-Düsseldorf-Club als Check-In-Zelt, die Vaasahalle und das Areal rund um den Kieler Yacht-Club in Düsternbrook sind die Anlaufstellen an Land, ggf. wird die Bootshalle des KYC in Strande integriert. Die Aktiven, Organisatoren und Trainer erhalten Einlass-Tickets, die nur für bestimmte Areale gelten.
„Es sind enorme Herausforderungen, denen wir uns stellen, um den Seglerinnen und Seglern auch in diesem Jahr die Möglichkeit zu geben, Regatta zu segeln. Dabei steht die Gesundheit aller Beteiligten ganz klar im Vordergrund. Hygienevorschriften und Mindestabstandsregeln müssten eingehalten werden“, so der Organisationsleiter der Kieler-Woche-Regatten, Dirk Ramhorst. Zudem werden die Einreise-Vorschriften Einfluss auf die endgültigen Starterlisten nehmen.
Da das analoge Kieler-Woche-Erlebnis in Schilksee im Jahr der Pandemie also nicht stattfindet und Zuschauer vor Ort damit ausgeschlossen sind, legen die Veranstalter ein noch größeres Gewicht auf die digitale Öffentlichkeitsarbeit. Die Präsenz in den sozialen Netzwerken wird ausgebaut, und die Regatten werden den Segelfans in aller Welt umfangreich über Kieler-Woche-TV virtuell zugänglich gemacht. Für den TV-Bereich zeichnet die Landeshauptstadt Kiel verantwortlich und trägt die entsprechenden Kosten.
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