Matthias Lücke, Koordinator des MEDAM-Projekts zu Asyl und Migration und Senior Researcher am Kieler Institut für Weltwirtschaft, kommentiert mit Blick auf die Vorstellung eines EU-Migrationspakts und den EU-Gipfel in der kommenden Woche die Diskussion um die Aufnahme von Flüchtlingen:

„Die Befürchtung, dass Deutschland oder andere willige EU-Länder mit einer großzügigen Aufnahmepolitik weitere Asylsuchende auf eine lebensgefährliche Reise in die EU locken, ist berechtigt. Dennoch ist ein Vorangehen Deutschlands und anderer EU-Länder bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu rechtfertigen, sofern es durch weitere Schritte flankiert wird. Dazu gehören die enge Abstimmung mit Erstaufnahmeländern wie Griechenland und der Türkei sowie eine verstärkte Beteiligung am Resettlement-Programm der Vereinten Nationen.

Griechenlands Regierung ist besorgt, dass ein willkürlicher Transfer vieler Migranten von den Inseln in andere EU-Mitgliedstaaten vor allem dazu führen würde, dass aus der Türkei noch mehr Migranten auf die Inseln kommen würden – während die Aufnahmebereitschaft in der EU vermutlich bald nachlassen würde. Deshalb ist es richtig, wenn Deutschland sich in Abstimmung mit Griechenland kurzfristig auf besonders schutzbedürftige und anerkannte Flüchtlinge fokussiert. Die Aufnahme von mehr als 1500 anerkannten Flüchtlingen ist ein wichtiger erster Schritt, um Menschen in Not rasch zu helfen. Die griechische Regierung bleibt in der Verantwortung vor Ort, aber die EU kann sie durch die Aufnahme weiterer anerkannter Flüchtlinge vor allem vom Festland unterstützen. Hinzu kommt finanzielle und logistische Unterstützung der EU in den Lagern vor Ort.

Der EU-Gipfel in der kommenden Woche muss zudem genutzt werden, um die Unterstützung für die Türkei zu klären: Diese hat selbst rund 4 Millionen Flüchtlinge aufgenommen und kontrolliert zudem in Syrien Gebiete, wo bis zu 4 Millionen Menschen als Binnenvertriebene und unter Bürgerkriegsbedingungen ihren Lebensunterhalt nicht allein sichern können. Die Türkei ist ein Schlüsselland, um Fluchtbewegungen wie 2015 zu verhindern. Deshalb muss die EU stärker mit der Türkei kooperieren, um angemessene Lebensbedingungen für Flüchtlinge vor Ort sicherzustellen und damit Anreize zur Weiterwanderung in Richtung Europa zu senken.

Zudem sollte Deutschland sich verstärkt am Resettlement-Programm der Vereinten Nationen beteiligen. Dabei identifiziert UNHCR in Erstaufnahmeländern wie dem Libanon, der Türkei, Jordanien oder Niger (für Migranten aus Libyen) besonders schutzbedürftige Flüchtlinge. Diese werden dann ohne ein weiteres Asylverfahren in Deutschland aufgenommen; auch so werden Anreize für irreguläre Migration gesenkt.

Die Aufnahmekapazitäten in Deutschland sind nicht ausgelastet. 2019 gab es nur noch 142.000 Erstanträge auf Asyl; 2018 waren es 162.000 – jeweils deutlich unter der politisch gesetzten Zielmarke von jährlich 200.000 Flüchtlingen. Seit 2015 wurde zudem die nötige Infrastruktur für die Aufnahme, Verwaltung und Integration der Flüchtlinge deutlich verbessert.“

Mehr Vorschläge zur Europäischen Asyl- und Migrationspolitik finden Sie auf der Website des MEDAM-Projekts.

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