Nach Unionsrecht ist eine Abschalteinrichtung an Dieselmotoren, die die Abgasreinigung des Fahrzeugs verringert oder ganz außer Kraft setzt, nur in Ausnahmefällen zulässig. Wie die EuGH-Richter heute feststellten, darf diese nur aktiviert werden, wenn ein plötzlicher unmittelbarer Schaden am Motor bevorsteht. Wieder einmal kommt mit diesem Richterspruch ein verbraucherfreundliches Sensationsurteil aus Luxemburg, das Auswirkungen auf die gesamte Automobilbranche hat. Rechtsanwalt Christian Solmecke analysiert das Urteil:

Mit dem Urteil steht fest, dass nicht nur die Abschalteinrichtungen des berüchtigten Motorentyps EA 189 nach EU-Recht unzulässig sind. Auch zahlreiche andere Motoren – wie zum Beispiel der Motor EA 288 – sind betroffen. Der Wertung des EuGH nach sind nämlich auch die so genannten Thermofenster unzulässig, welche unter anderem in Motoren des Typs EA 288 und zahlreichen anderen Motoren eingebaut werden. Die Thermofenster werden in den Software-Updates zum Motor EA 189 sowie von zahlreichen anderen Autobauern verwendet. Der EuGH hat sich mit dem Urteil einmal mehr klar verbraucherfreundlich positioniert. Dieses stellt nicht nur die Automobilbranche auf den Kopf. Auch Politik und Zulassungsbehörden in Europa werden wohl zu einem Kurswechsel gezwungen sein. Was die Frage nach der Zulässigkeit der Abschalteinrichtungen angeht, haben sie sich bisher auf die Seite der Autobauer gestellt.

Zum Hintergrund des Verfahrens

Das EuGH-Verfahren wurde ursprünglich durch das französische Gericht „Tribunal de Grande Instance de Paris“ initiiert. Dem waren Enthüllungen der französischen Presse im VW-Abgasskandal vorausgegangen, woraufhin die Staatsanwaltschaft von Paris Ermittlungen einleitete. Der Autokonzern soll sich nach französischem Recht strafbar gemacht haben, weil er die Erwerber von Dieselmotorfahrzeugen über wesentliche Eigenschaften dieser Fahrzeuge und über die bereits durchgeführten Prüfungen täuschte. Die Abschalteinrichtungen funktionieren nämlich so, dass bei den staatlichen Zulassungstests die Grenzwerte für den Abgasausstoß eingehalten werden, beim normalem Fahrbetrieb sind die Emissionen aber erheblich höher. Darüber wurden die Käufer nicht aufgeklärt. Der Untersuchungsrichter am „Tribunal de Grande Instance de Paris“ legte dem EuGH nun unter anderem die Frage vor, unter welchen Ausnahmebedingungen eine Abschalteinrichtung in den Dieselmotoren nach Unionsrecht enthalten sein dürfe.

Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist „eine Abschalteinrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert unzulässig“, es sei denn „die Einrichtung ist notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“. Der EuGH befasste sich nun mit der Frage, ab wann die Ziele des Motorschutzes und sicheren Fahrbetriebs eine Abschalteinrichtung notwendig machen. Muss ein plötzlicher unmittelbarer Schaden am Motor bevorstehen oder reicht ein nach und nach eintretender Motorenverschleiß aus? Auch EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston plädierte dafür, diese Ausnahme eng auszulegen. Die Abschalteinrichtungen dürften nur vor dem Eintritt von unmittelbaren und plötzlichen Schäden schützen. Bestehe die Gefahr, dass wegen der Abgasreinigung der Motor nicht mehr zuverlässig laufe oder die Lenkung beeinträchtigt sei, dürfe eine Abschalteinrichtung vorhanden sein. Die Abschalteinrichtung dürfe aber nicht lediglich eingesetzt werden, um den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern.

Rechtsanwalt Christian Solmecke: “Die EuGH-Richter pflichteten heute der Generalanwältin bei. Nun könnte ein Erdbeben die Folge für Europas Automobilbranche sein. Zahlreiche Automobilhersteller und ihre Motoren sind betroffen. Möglicherweise steht eine große Rückrufwelle bevor.“

Über Wilde Beuger Solmecke Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

Die Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE hat sich auf die Beratung der Online- und Medienbranche spezialisiert. Insgesamt arbeiten in der Kanzlei 20 Anwälte. Rechtsanwalt Christian Solmecke hat in den vergangenen Jahren den Bereich Internetrecht/E-Commerce sowie die Bereiche Verkehrsrecht und Datenschutzrecht stetig ausgebaut. Gemeinsam mit seinem Team vertritt er zahlreiche betroffene Kunden rund um den Abgasskandal. Darüber hinaus betreut er zahlreiche Medienschaffende und Web 2.0 Plattformen.

Neben seiner Kanzleitätigkeit ist Christian Solmecke auch Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Kommunikation und Recht im Internet (DIKRI) an der Cologne Business School (http://www.dikri.de). Dort beschäftigt er sich insbesondere mit den Rechtsfragen in Sozialen Netzen. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt arbeitete Solmecke mehrere Jahre als Journalist für den Westdeutschen Rundfunk und andere Medien.

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