Gemessen an der Gesamtzahl der Unternehmen in Deutschland machen mittlere und große Unternehmen ab 500 Beschäftigte nur einen Bruchteil von deutlich unter einem Prozent aus. Dennoch prägen diese Unternehmen die Wirtschaftsstruktur. Und das nicht nur, weil in dieser Größenklasse fast die Hälfte der gesamten Wertschöpfung erbracht wird. Sondern auch, weil die Beschäftigten qua Gesetz in den Aufsichtsräten mitbestimmen können. Allerdings weisen diese Gesetze mittlerweile große Lücken auf, die es Arbeitgebern leicht machen, Beschäftigten Mitbestimmung vorzuenthalten. Würden die Lücken geschlossen, wäre die Ausstrahlung der Unternehmensmitbestimmung wesentlich stärker. Das zeigt eine neue Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung.*

Die überwiegende Mehrheit der rund 3,5 Millionen Unternehmen in Deutschland hat nur wenige Arbeitnehmer oder besteht sogar ausschließlich aus einer Person. Dort gibt es keine Unternehmensmitbestimmung. Die Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat greift erst bei über 500 inländischen Beschäftigten, für die paritätische Mitbestimmung sind mindestens 2000 Arbeitnehmer nötig, in der Montanindustrie 1000. Außerdem gelten die Gesetze nur für Kapitalgesellschaften wie AG oder GmbH. Ist die Unternehmensmitbestimmung damit eher ein Randphänomen in der deutschen Wirtschaft? Nein, macht die neue I.M.U.-Untersuchung deutlich.

Die Autoren Dr. Oliver Emons, Dr. Henrik Steinhaus und Stephan Kraft haben auf Basis der neuesten verfügbaren Daten die Unternehmensstrukturen hierzulande unter die Lupe genommen. Legt man ausschließlich die Zahl der Unternehmen zugrunde, erscheint die Bedeutung der Mitbestimmung im Aufsichtsrat zwar zunächst überschaubar: 2018 gab es knapp 6900 mittelgroße und große Unternehmen ab 500 Beschäftigten, zusammen machten sie also weniger als ein Prozent aller Unternehmen aus. Trotzdem spielen sie eine tragende Rolle: Mehr als ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten arbeitete in Unternehmen dieser Größenordnung, 11 Millionen von knapp 31 Millionen. 42 Prozent aller Umsätze der deutschen Wirtschaft entfielen auf diese Unternehmen und knapp 46 Prozent der Wertschöpfung. Besonders stark vertreten sind große und mittelgroße Unternehmen etwa in Gesundheitswesen, Einzelhandel und Maschinenbau.

Kapitalgesellschaften und damit den Mitbestimmungsgesetzen unterworfen sind rund 63 Prozent der Unternehmen mit über 500 Beschäftigten. Ihre ökonomische, arbeitsmarkt- und industriepolitische Bedeutung ist "als sehr hoch einzuschätzen", so Emons, Steinhaus und Kraft – viel größer, als es in der Öffentlichkeit oft dargestellt wird. Von einer "Dekonstruktion großer Unternehmen durch Digitalisierung in kleinere selbstständige Einheiten" oder einem "Ableben der großen traditionellen Industrie- und Verwaltungsunternehmen" könne nicht die Rede sein. Eine Transformation der Wirtschaft finde zwar statt, aber zum wesentlichen Teil innerhalb der großen Unternehmen, nicht indem diese durch Start-ups ohne Mitbestimmung ersetzt werden.

Das Problem ist aber: Allein in der Größenklasse ab 2000 Beschäftigte enthalten über 300 Unternehmen ihren Beschäftigten die Mitbestimmung vor. In etwa einem Drittel der Fälle, indem Arbeitgeber die Mitbestimmungsgesetze ignorieren – rechtswidrig, aber ohne spürbare Sanktionen fürchten zu müssen. Knapp zwei Drittel nutzen Gesetzeslücken, etwa indem sie deutsche und ausländische Rechtsformen kombinieren oder in eine Europäische Aktiengesellschaft umfirmieren, bevor sie die Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmungsgesetze erreichen. Diese Praktiken durch ein "Mitbestimmung-für-Alle-Gesetz" zu unterbinden, stehe "für die Gewerkschaften ganz oben auf der Agenda im Jahr der Bundestagswahlen", sagt Dr. Norbert Kluge, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung. Mitbestimmung im Aufsichtsrat sollte für alle großen Unternehmen in Deutschland unabhängig von der Rechtsform gelten – und praktiziert werden.

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