Seit Januar kommt es in Tunesien immer wieder zu neuen gewalttätigen Protesten. Betroffen sind die Hauptstadt Tunis und andere Regionen. Ausgangspunkt sind desillusioniere Jugendliche, die sich gegen die verschlechterte sozioökonomische Situation und die wahrgenommene Korruption auflehnen. Ende Januar wurde auch das Parlament belagert, das den fünften Regierungswechsel seit den Wahlen 2019 genehmigte. Premierminister Hichem Mechichi ernannte elf neue Minister. Der tunesische Präsident Kais Saied lehnte das neue Kabinett ab, da Frauen nicht genügend repräsentiert waren und bei manchen Kandidaten Interessenkonflikte vermutet wurden.

Der Kreditversicherer Credendo sieht eine Verschlechterung der sozioökonomischen Situation des Landes seit dem Arabischen Frühling. Besonders groß ist die Unzufriedenheit unter Jugendlichen. 2020 lag die Arbeitslosenquote bei 15-24-jährigen bei 36 %, verglichen mit 16 % in der Gesamtbevölkerung. Die schlechte Wirtschaftslage und die Sparbemühungen verschiedener Regierungen rufen immer wieder Proteste hervor.

Die Credendo-Länderanalysten weisen auf strukturelle wirtschaftliche und fiskalische Schwierigkeiten hin. Die öffentlichen Finanzen haben sich deutlich verschlechtert, die Staatsverschuldung ist von 39 % des BIP im Jahr 2010 auf 72 % im Jahr 2019 gestiegen. Die Gesamtauslandsverschuldung liegt bei über 100 % des BIP. Die Hauptgründe liegen in seriellen Zwillingsdefizit (Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit) und der Abwertung der Währung. Die Ungleichgewichte wurden durch die Coronapandemie noch deutlich verschärft. Die Tourismusbranche, der Schlüsselsektor für die tunesische Wirtschaft und wichtiger Devisenbringer, ist zum Erliegen gekommen. Das reale BIP ist 2020 wohl um 8,2 % zurückgegangen. Arbeitslosigkeit und Armut dürften sich verschärfen und die öffentliche Unzufriedenheit wachsen lassen. Der italienische Innenminister berichtet von einer Zunahme der illegalen Einwanderung von Tunesien nach Italien um 400 % von 2019 auf 2020.

Das Haushaltsdefizit stieg von 3,9 % auf 11,5 % des BIP. Bei sinkenden Steuereinnahmen hat der Staat versucht, mit Ausgaben gegen die Folgen der Pandemie anzukämpfen.

Die tunesischen Behörden streben ein neues IWF-Programm an. Wirtschafts- und Finanzreformen sollen die Situation stabilisieren. Die Durchsetzung der Maßnahmen wird gefährdet durch die Fragilität der Regierung, die Stärke der Gewerkschaften und das Risiko weiterer Unruhen.

"Trotz der starken Auswirkungen der Coronapandemie behalten wir die kurzfristige politische Risikoeinstufung mit Stufe 5 von 7 bei", erklärte Credendo-Deutschlandchef Karsten Koch. Das mittel- bis langfristige Risiko bleibt in Kategorie 6 von 7. "Der Anstieg der Staatsverschuldung setzt die Einstufung unter Druck, aber wir decken weiterhin die Forderungen unserer Kunden für Exporte nach Tunesien", so Koch abschließend. 

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