„Die Aktivitäten etwa von Geschäftsbanken und Pensionsfonds bei der Kohle-Finanzierung haben in der Wissenschaft bislang wenig Aufmerksamkeit bekommen“, sagt Niccolò Manych, Doktorand in der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Leitautor der Studie. „Sie stehen in zum Teil erheblichen Kontrast zur Kohlepolitik in den Heimatländern – und bezeichnenderweise gibt es für diese Finanzströme keine offizielle Statistik.“ Immerhin konnte das Forschungsteam auf zwei sehr solide Datensätze von Nichtregierungsorganisationen zurückgreifen: Zum einen stützte es sich auf die vom US-Infodienst Global Energy Monitor erstellte Übersicht sämtlicher Kohleprojekte. Zum anderen nutzte es die Expertise der deutschen Umweltschutzorganisation Urgewald: Diese hatte bei den Finanzinformationsdienstleistern Bloomberg, Thomson Reuters und IJGlobal die Finanzquellen von 250 im Kohle-Bereich aktiven Projektierungsgesellschaften recherchiert.
Demnach sind seit 2015, dem Jahr des Paris-Abkommens, neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1182 Gigawatt beauftragt worden, das entspricht ungefähr 1300 durchschnittlichen Kraftwerken. Über 500 Gigawatt davon befinden sich momentan in Bau oder in Planung. Die Standorte der neuen Kohlemeiler und auch die Firmensitze der Projektierungsgesellschaften liegen fast alle in China, Indien, Vietnam, Indonesien und einigen weiteren asiatischen Ländern. Doch die Finanzierung kommt zu 40 Prozent von Unternehmen aus den sogenannten Annex-I-Staaten der UN-Klimarahmenkonvention: im Wesentlichen Industrieländer, allen voran Japan, die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und die Schweiz. Bei Krediten sowie beim Kauf entsprechender Firmenanleihen und -anteile liegt der Anteil sogar bei zwei Dritteln, hingegen wird die Finanzierung über Kreditgarantien von Banken aus China dominiert.
Den Kontrast zwischen dem mehr oder weniger entschlossenen Kohleausstieg der Industrienationen im Inland und ihren grenzüberschreitenden Finanzaktivitäten zeigt die Studie in einer brisanten Tabelle zur „finanzbasierten Bilanzierung der Kohle-Emissionen“. In dieser Betrachtung hat zum Beispiel Deutschland Emissionen in Höhe von 1,6 Milliarden Tonnen CO2 aus neuen Kohlekraftwerken in den Büchern, wenn man Projekte ab 2015 und deren gesamte voraussichtliche Betriebsdauer im Blick hat. Das ist achtmal so viel wie das CO2 aus dem einzigen neuen Kohlekraftwerk im Inland, in Datteln im Ruhrgebiet. Japan kommt finanzbasiert sogar auf 18,3 Milliarden Tonnen.
„Unsere umfassende Bestandsaufnahme zeigt erstmals klipp und klar, wie bedeutsam beim Thema Kohle die Finanzströme sind. Das eröffnet auch westlichen Ländern Spielraum, hier politisch aktiv zu werden“, sagt Jan Steckel, Arbeitsgruppenleiter am MCC und Mitautor. Die Studie skizziert mögliche Gegenstrategien – von erweiterten Berichtspflichten der Banken und Pensionsfonds oder freiwilligen Selbstverpflichtungen bis hin zu einer Steuer auf Kohle-Investitionen oder staatliche Sicherheiten für Investitionen in erneuerbare Energien.
Weitere Informationen:
Manych, N., Steckel, J., Jakob, M., 2021, Finance-based accounting of coal emissions, Environmental Research Letters
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