Vor allem Auto- und Radfahrer gelten als Antipoden im Verkehr. Beide fühlen sich gerade in Städten, wo der Platz knapp ist, jeweils im Recht. Da Auto- und Radverkehr durch Corona noch zugenommen haben, wachsen die Konflikte, denn eigene Radverkehrsnetze wie in den Niederlanden sind in Deutschland die Ausnahme. Doch warum gelingt es Auto- und Radfahrern so schwer, sich in den Anderen hineinzuversetzen? „Ein Rollenwechsel ist aus drei Gründen schwierig: Erstens bedeutet es psychologischen und mentalen Aufwand, sich in die Rolle eines anderen Verkehrsteilnehmers hineinzuversetzen. Zweitens gibt es individuelle Unterschiede in der Empathie-Fähigkeit“, erklärt der Diplom-Psychologe Don DeVol, Leiter des Instituts für Verkehrssicherheit des TÜV Thüringen, im Gespräch mit auto motor und sport. „Drittens ist man im Straßenverkehr anonym unterwegs und bekommt keine direkte Rückmeldung über sein Verhalten. Wenn zum Beispiel jedes Mal eine Alarmglocke angehen würde, wenn man mit dem Auto zu dicht an einem Radfahrer vorbeifährt, würde das sicherlich helfen.“

Aggressives Verhalten gebe es aber auf beiden Seiten, so DeVol. „Fahrradfahrer können bewusst provokativ nebeneinander fahren, um das Überholen zu erschweren. Umgekehrt sehen Autofahrer Fahrradfahrer manchmal eher als Hindernis statt als Verkehrsteilnehmer, wenn sie mit erhöhtem Aggressionspotenzial gestresst aus dem Büro kommen.“ Von verschiedenen Typen will DeVol nicht sprechen. „Grundsätzlich sehe ich nicht, dass es unterschiedliche Typen, Muster oder Rollen gibt. Die beiden beschriebenen Phänomene – gedankenloses Verhalten und bewusst provokatives Verhalten – treten aus meiner Sicht in allen Gruppen von Verkehrsteilnehmern auf.“

Dabei nimmt DeVol die Mehrheit der Autofahrer auch in Schutz vor der Verallgemeinerung, sich nicht an die Verkehrsregeln zu halten. „Der überwiegende Teil der Kraftfahrer verhält sich – mal von Fehleinschätzungen abgesehen – völlig regelkonform.“ Aber natürlich gebe es eine kleine Gruppe, der mit Appellen und Informationskampagnen nicht beizukommen sei. „Für die Gruppe der hartnäckigen Verkehrssünder nützt nur der Dreiklang aus Gesetzen, Überwachung und Sanktionen.“

Dabei wirbt der TÜV-Experte dafür, Führerscheinbesitzer regelmäßig zu schulen. „Wir brauchen lebenslanges Lernen. Es ist eigentlich unvorstellbar, dass man seinen Führerschein vor 30 oder 40 Jahren erworben hat und danach absolut nichts mehr machen muss. Seitdem hat sich vom Käfer und Trabbi bis hin zu der heutigen komplexen Verkehrssituation und den neuen Fahrassistenzsystemen doch einiges getan. Für den Erhalt der Fahrerlaubnis sollte lebenslanges Lernen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.“

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