Der medizinische Fachbereich der Orthopädie und Unfallchirurgie (O&U) war lange Zeit eine Männerdomäne. Das hat sich geändert. Immer mehr Frauen entscheiden sich in ihrem Medizinstudium für diese Disziplin. Warum das so ist und welche Hürden noch zu nehmen sind, zeigt ein Interview mit Annika Hättich, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Fachärztin an der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Liebe Frau Hättich, haben Sie Ihre Berufswahl jemals bereut?

Annika Hättich: Hier muss ich nicht lange über meine Antwort nachdenken – ein klares „Nein“. Auch nach mittlerweile über acht Jahren in der Orthopädie und Unfallchirurgie habe ich in dieser Zeit keine einzige Sekunde daran gezweifelt, ob die Entscheidung für das Fach die Richtige war. Es gibt hier so viel Dynamik und immer etwas Neues zu lernen, die Faszination bleibt bestehen. In den letzten Jahren erobern mehr Frauen die Orthopädie und Unfallchirurgie als jemals zuvor.

Warum streben gerade in dieses Fach zunehmend junge Frauen?

Annika Hättich: Insgesamt nimmt die Anzahl an Frauen im Medizinstudium und auch in der Chirurgie weiterhin zu, ein Trend, der sich in den letzten Jahren nicht aufhalten lässt und mich sehr freut. In einer aktuellen Arbeit meiner Kolleginnen aus München (P. Lutz/J. Lenz/A. Achtnich/S. Geyer) konnte gezeigt werden, dass der prozentuale Anteil an Assistenzärztinnen in O&U mittlerweile bei ca. 25% liegt – was auf den ersten Blick noch nach wenig klingen mag, aber eine deutlich ansteigende Tendenz zu den Zahlen der letzten Jahre darstellt. Vor allem im internationalen Vergleich liegt der Prozentsatz an Frauen in O&U dort oft nur im einstelligen Bereich – wir gehen also mit einem guten Beispiel voran. Die Kolleginnen konnten ebenfalls zeigen, dass bereits ein früher Kontakt zur O&U im Studium das Interesse an unserem Fach deutlich weckt. Ich denke, vor allem die Vielfalt unseres Faches mit den Möglichkeiten, sowohl operativ als auch konservativ tätig zu sein, eine schnelle Heilung ermöglichen zu können und neue Therapien zu entwickeln, fasziniert die jungen Ärztinnen. Und mit jedem Prozentpunkt mehr Frauenanteil sinkt die „Angst“ vor der „Männerdomäne“.

Man stellt sich die O&U oft als „Knochenjob“ vor, im Sinne von körperlich sehr fordernd. Ist das so und können Frauen das genauso leisten wie männliche Kollegen?

Annika Hättich: Ich möchte nicht abstreiten, dass unser Fach im Vergleich zu z.B. internistischen Fächern körperlich anstrengend sein kann. Es ist kein Schreibtischjob, die Arbeit im Operationssaal – zeitweise mit Röntgenschürze bekleidet – bringt einen oft ins Schwitzen. Eine gewisse körperliche Fitness schadet sicherlich nicht, aber dies betrifft ja sowohl Männer als auch Frauen. In meiner beruflichen Laufbahn kam ich nur selten an meine körperlichen Grenzen. Und falls doch, ist man ja nicht alleine im OP. Dafür ist das Operieren schließlich auch Teamarbeit, damit man sich gegenseitig in solchen vereinzelten Situationen unterstützen kann.

Wie ist es mit der Vereinbarkeit von Familie und der Schichtarbeit im Krankenhaus?

Annika Hättich: Dies ist weiterhin ein Thema, an dem noch gearbeitet werden muss. Tatsächlich betrifft die Schichtarbeit nicht nur uns Chirurgen – es ist jedoch schwieriger, eine laufende Operation abzubrechen als andere medizinische Tätigkeiten. Das Junge Forum O&U – und hier besonders die Sektion Familie und Beruf – arbeitet seit Jahren an Verbesserungsmöglichkeiten und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier haben wir bereits Fortschritte erzielt, die es insbesondere auch Frauen mit Familie ermöglichen, am Stationsalltag teilzunehmen. Es sind heutzutage jedoch nicht nur die Frauen, sondern auch die Familienväter, die sich mehr Zeit mit ihrer Familie bzw. familienfreundlichere Arbeitsmodelle wünschen. Es liegt jedoch noch einiges an Arbeit vor uns.

Gibt es auch mehr Frauen in Führungspositionen? Was halten Sie von „Quotenfrauen“?

Annika Hättich: Betrachtet man die aktuellen Zahlen der Frauen in Führungspositionen in O&U, ist hier zwar auch ein positiver Trend zu erkennen – allerdings liegen wir immer noch im einstelligen Bereich. Bei den Direktoren/-innen an deutschen Universitätskliniken liegt der Frauenanteil nur bei 5%. Auch bei den Zusatzweiterbildungen, z.B. der speziellen Unfallchirurgie, kommen wir Frauen nur auf 11,6%. Diese Zahlen zeigen, dass gerade beim Übergang von der Ärztin in Weiterbildung zur Fachärztin, Spezialistin oder Oberärztin noch deutliche Defizite vorliegen. Eine Frauenquote einzuführen, halte ich jedoch für keine wegweisende Idee. Es liegt ja nicht daran, dass es nicht genug und vor allem motivierte, hochqualifizierte Frauen in unserem Nachwuchs gibt. Sondern daran, dass diese auf ihrem Weg zu einer Führungsposition besser gefördert und ggf. unterstützt werden müssen und vor allem die Familienplanung hier nicht im Weg stehen darf. Annika Hättich

Wird dieser Wandel auch von der „Generation Chefarzt“ begrüßt? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Annika Hättich: Die „Generation Chefarzt“ sieht und bemerkt den Wandel und die Zunahme an Frauen in O&U – und begrüßt ihn auch. Tatsächlich ist es für die Chefärzte auch eine Herausforderung und ebenfalls nicht leicht, die Arbeitsmodelle an die neuen Umstände anzupassen. Dies kann nicht von heute auf morgen geschehen. Ich selbst habe bisher keine negativen Erfahrungen gemacht. Die meisten Chefärzte schätzen die Arbeitsweise der Frauen, die sich in einigen Dingen von der Arbeitsweise der Männer unterscheidet. Das Wichtigste für die Ärztinnen in Weiterbildung ist, dass sie, wenn sie sich für das Fach der Orthopädie und Unfallchirurgie entschieden haben, sich nicht von möglichen Vorurteilen abschrecken lassen. Heutzutage bietet das wachsende Netzwerk der Chirurginnen gute Möglichkeiten, sich hier gegenseitig zu unterstützen und eine exzellente Orthopädin/Unfallchirurgin zu werden.

Die 69. Jahrestagung der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen (VSOU) findet vom 28. April – 1. Mai 2021 als digitale Veranstaltung statt. Die Jahrestagung bietet ein dichtes und vielfältiges Programm an vier Tagen. Das gesamte Programm und alle wichtigen Kongressinformationen sind ersichtlich auf der Homepage www.vsou-kongress.de

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