Es wäre zu viel verlangt, von den Anhängern der Gendertheorie zu erwarten, dass sie die tatsächliche Zahl der Geschlechter nennen könnten. Denn aus der Genderperspektive ist „Geschlecht“ eine Frage der Identität, die wandelbar, unbestimmt und vor allem „vielfältig“ ist. Ihr unumstößliches Dogma ist, dass die „binäre Geschlechtskonzeption“, also die Einteilung in Frauen und Männer, überholt ist und als Grundlage der öffentlichen Ordnung abgeschafft werden muss. Mit diesem Ziel erstritten Gender-Juristen vor dem Bundesverfassungsgericht 2017 das Urteil zum „dritten Geschlecht“, das für Menschen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ die Möglichkeit eines „positiven Geschlechtseintrags“ (also eine Alternative zu Frau, Mann oder „ohne Angabe“) verlangte (1). Seit dem Jahresende 2018 gibt es nun in Deutschland die Möglichkeit den Geschlechtseintrag als „divers“ registrieren zu lassen. Umfragen zufolge wurde diese „dritte Option“ bisher nur etwa vierhundertmal genutzt (2). 

Diese Zahl ist bemerkenswert gering. Das Bundesverfassungsgericht ging in seiner Begründung zum Urteil von bis zu 160.000 intersexuellen Personen aus. Im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der „dritten Option“ ging die Bundesregierung davon aus, dass bis zu 53.000 Betroffene die „divers“-Option nutzen könnten.  Schon in der Anhörung zum Gesetz wurden diese Schätzungen als weit überhöht analysiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass pro Jahr nur etwa 150 Kinder mit „uneindeutigem“ Geschlecht zur Welt kommen. Dies entspricht einem Anteil von 0,1 bis 0,2 Promille der jährlichen Geburten. Die Bundesärztekammer bezifferte die Zahl der Personen mit „ausgeprägten Abweichungen von der typischen männlichen bzw. weiblichen Geschlechtsentwicklung“ auf 8.000-10.000. Diese „Intersexualität im engeren Sinne“ wurde im Gesetzgebungsverfahren mit der Verbreitung abweichender Geschlechtsentwicklungen insgesamt verwechselt, die in der Medizin als „Disorders of Sex Development“ (DSD) klassifiziert sind (3).

Die meisten der DSD-Betroffenen sind aber eindeutig Frauen oder Männer. Dies betrifft insbesondere die vom Adrenogenitalen Syndrom Betroffenen, die allein etwa 80 Prozent der DSD-Fälle ausmachen. Von AGS betroffene Frauen können ein normales Leben führen und Kinder bekommen, wenn sie entsprechend behandelt werden. Kindermediziner warnen deshalb vor einem „Verbot geschlechtsverändernder operativer Eingriffe an Kindern“, wie es Genderlobbyisten im Bundestag fordern. Gefährlich wäre dies insbesondere für Mädchen mit AGS, die sogar ihre Fertilität verlieren könnten (4). 

Solche existentiellen Gefahren werden ignoriert oder verharmlost, weil medizinische Fakten in der neuen Welt vermeintlicher „Geschlechtervielfalt“ nur stören. Denn das Geschlecht soll kein biologisches Schicksal mehr sein, sondern eine Frage der subjektiven Willensäußerung und der selbst gewählten „Identität“. Davon gehen alle Gesetzentwürfe zur „Geschlechtervielfalt“ aus, egal ob sie von den Grünen („Selbstbestimmungsgesetz“), der FDP („Gesetz zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung“) oder aus dem Justizministerium („Gesetz zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags“ kommen (5). Alle Gesetzentwürfe umfassen unter dem ideologischen Überbau der Geschlechtervielfalt sowohl Regelungen für intersexuelle wie für transsexuelle Menschen. Dabei handelt es sich hier um ganz verschiedene Phänomene. Intersexualität ist eine (sehr seltene) atypische Entwicklung des chromosomalen, anatomischen oder hormonellen Geschlechts, also ein biologisches Phänomen (6). Transsexualität ist etwas völlig anderes: Die Betroffenen sind biologisch eindeutig männlich oder weiblich (nach Chromosomen ebenso wie nach Geschlechtsorganen). Sie haben aber das Gefühl im „falschen Körper“ zu stecken und verspüren den Wunsch ins andere Geschlecht zu wechseln. Es handelt sich um ein psychisches Phänomen. Medizinisch wird sie als „Geschlechtsdysphorie“ klassifiziert und definiert als der Wunsch wie ein „Angehöriger eines anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden“ (7). 

Wie Psychiater international berichten, waren solche Fälle noch vor wenigen Jahren sehr selten.  In den letzten 10-20 Jahren sei die Zahl der Fälle aber explosionsartig angestiegen. Dies betrifft gerade Jugendliche und sogar Kinder noch vor der Pubertät, die oft medikamentös mit sog. „Pubertätsblockern“ und gegengeschlechtlichen Hormonen behandelt werden. Leider fehlen zu diesen Hormonbehandlungen Statistiken, obwohl ihre Risiken und Nebenwirkungen bekannt sind (8). Ganz offensichtlich aber führen diese, euphemistisch als „wechselaffirmative Therapien“ bezeichneten Praktiken immer häufiger zu geschlechtsumwandelnden Operationen. In nur etwa 15 Jahren ist die Zahl der in deutschen Krankenhäusern an 15-20-jährigen Jugendlichen vorgenommenen geschlechtsumwandelnden Operationen um das Fünfzehnfache, die Zahl der „Geschlechtsumwandlungen“ 20-25-Jähriger sogar um das Fünfzigfache gestiegen (9).

Hinter diesen Zahlen verbergen sich dramatische Schicksale, vor allem junger Frauen. Körperlich gesunden Mädchen werden Brüste, Gebärmütter und Eierstöcke entfernt. In den Medien werden solche Geschlechtsamputationen als „Weg in den richtigen Körper“ (RTL II) und Glücksfall gefeiert. Im Widerspruch zu diesem „Transhype“ lässt Alice Schwarzer in ihrer Zeitschrift EMMA unglückliche „Transmänner“ zu Wort kommen; junge Frauen, die sich durch falsche Medikation und Geschlechtsoperationen regelrecht verstümmelt fühlen (10). Trotz dieser Gefahren wollen die neuen Gendergesetze, Geschlechtsumwandlungen noch einfacher machen. Kinder sollen spätestens ab 14 Jahren, auch gegen den Willen ihrer Eltern, ihr Geschlecht „wechseln“ dürfen. Damit wird der Jugendschutz auf dem Gender-Altar geopfert. Profitieren werden Gender-Chirurgen, die nach Frankenstein-Art meinen, neue Körper und neue Identitäten erschaffen zu können. 

(1) Kritisch zum Urteil des BVerG: https://www.i-daf.org/…. Exemplarisch für die gendertheoretische Auslegung des Urteils: https://www.sozial.de/…

(2) https://www.welt.de/….

(3) https://www.bundestag.de/… https://www.bundesaerztekammer.de/…

(4) Siehe z. B. Deutscher Bundestag Drucksache 19/9056. Ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums wollte diese Forderungen umsetzen: https://www.bmjv.de/…. Nach vernichtender Kritik medizinischer und juristischer Sachverständiger wurde der Gesetzentwurf dann „entschärft“ (Deutscher Bundestag Drucksache 19/24686). Exemplarisch für die medizinische Kritik an dem grundsätzlich verfehlten Vorhaben: https://www.bmjv.de/….

(5) Deutscher Bundestag: Drucksachen 19/19755 sowie 19/20048; http://www.bmjv.de/…

(6) Vgl.: Bundeskanzleramt Österreich (Hrsg.): Intersexualität und Transidentität – Stellungnahme der Bioethikkommission, Wien 2017, S. 7 ff.

(7) Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags: Störungen der Geschlechtsidentität und Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen. Informationen zum aktuellen Forschungsstand, Ausarbeitung WD 9 – 3000 – 079/19, S. 7. 

(8) Nicht auf jede hormonelle Behandlung folgt eine „geschlechtsangleichende Operation“. Zur Häufigkeit der hormonellen Behandlungen sind keine exakten Daten verfügbar. Vgl. ebenda (WD 9 – 3000 – 079/19), S. 29. Zu den Nebenwirkungen der Behandlungen ebenda, S. 26-28/S. 34-35.

(9) Siehe Abbildungen „Rasanter Anstieg der Operationen zur Geschlechtsumwandlung in Deutschland“ und „Jugendliche und junge Erwachsene:  Immer mehr Operationen zur Geschlechtsumwandlung“.

(10) Siehe hierzu: https://www.emma.de/…. Der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte hierzu in einem Sachverständigengutachten für den Deutschen Bundestag: https://www.bundestag.de/….

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