Ausgehend von dieser Annahme ist die Ausstellung HEIMATEN von Grund auf offen, partizipativ und vieldeutig angelegt. Ganz bewusst gibt das kuratorische Team keine abschließenden Antworten darauf, was Heimaten sind oder sein könnten. Stattdessen werden Fragen gestellt, gebündelt in sieben zentrale Themen, die die Ausstellung strukturieren. Jedes der rund 150 Exponate – von der antiken Keramik bis zum Computerspiel – ist einer von sieben Hauptfragen zugeordnet und dient dem Publikum als Denkanstoß und Diskussionsstoff zur Beantwortung auch differenzierterer, untergeordneter Fragen. Die Besucher*innen sind eingeladen, ihre Antworten per Smartphone schriftlich festzuhalten, die über ein vom niederländischen Designstudio commonplace eigens für die Ausstellung entwickeltes Modul umgehend an die Wände projiziert und damit Teil von HEIMATEN werden.
Dass die Definition dessen, was als Heimat gilt oder gelten darf, einem ständigen Verhandlungsprozess unterliegt, wird dadurch unterstrichen, dass die Schau vor allem zu Beginn auch freie Podeste und Vitrinen enthält. Diese werden sich erst im Laufe der Ausstellungsdauer durch performative Projekte der Community-Kurator*innen Nuray Demir (Künstlerin) und Michael Annoff (Kulturanthropologe) füllen. In gemeinsamen Aktionen laden sie das Publikum sowie ausgewählte Akteur*innen ein, die Vielfalt der Gesellschaft ins Museum zu tragen. Damit befindet sich die Ausstellung Heimaten, wie auch der Begriff selbst, in einem ständigen Wandel.
Zur Eröffnung präsentiert HEIMATEN Objekte, die den Besucher*innen beim Nachdenken über folgende Hauptfragen helfen sollen: Ist Ihre Heimat … ein Ort? … eine Gemeinschaft? … etwas Sinnliches? … ein Staat? … ein Grund zur Sorge? … mit Verlust verbunden? … etwas Neues? Während es anfangs eher um persönliche Vorstellungen, Assoziationen und Erinnerungen geht, werden die Fragen zunehmend komplexer, versuchen sich einem kollektiven Verständnis von Heimat zu nähern und widmen sich zuletzt der gestalterischen Kraft einer Heimat, die nicht vorgefunden, sondern – freiwillig oder zwangsweise – neu aufgebaut wird.
Gezielt werden Exponate auch als bewusst gestaltete „Heimatobjekte“ enttarnt. Der Wald etwa dient immer wieder der kommerziellen und politischen Instrumentalisierung von Heimatgefühl, wie eine Auswahl an Plakaten von den 1920ern bis zur Gegenwart belegt. Neben altgriechischen und italischen Keramiken sowie dem Spiel „Papers, Please“, in dem die Spieler*innen zu Grenzbeamt*innen eines fiktiven autoritären Staates werden, wartet die Ausstellung HEIMATEN mit zahlreichen Highlights auf. Trachten spielen ebenso eine Rolle wie Grafik, Film, Typografie, Fotografie, Möbel- und Produktdesign bis hin zur App. Eine reich geschnitzte Tür aus Kaliningrad (um 1600) etwa führt in eine weit entfernte Heimat im Königsberg der Vergangenheit. Ein Schulheft aus dem Jahr 1938 und die dazugehörende Graphic Novel der US-Deutschen Nora Krug (2018) zeigen die nicht immer konfliktfreie Heimat, die die eigene Familie darstellt. Die Compilation „Songs of Gastarbeiter“ folgt der Spur der Musikszene türkischer Einwander*innen in den 1970ern, die vom deutschen Mainstream vielfach ignoriert wurde. Leonhard Kerns barocke Elfenbeingruppe „Adam und Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies“ (1645–1650) sowie Lyonel Feiningers vieldeutiges Kinderspielzeug „Die Stadt am Ende der Welt“ (1919–1921) sprechen das Abhandenkommen von Heimat an, das mit dem Verlust von Unschuld und der vermeintlich „guten alten Zeit“ einhergeht. „Entomarium (extinct)“ schließlich, eine interaktive Lichtinstallation des Wiener Designstudios mischer’traxler und Auftragsarbeit der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen für die Ausstellung HEIMATEN, widmet sich der Zerstörung von Heimat durch das anhaltende Verschwinden der Artenvielfalt in Norddeutschland.
Die Ausstellung wird gefördert durch den Ausstellungsfonds der Freien und Hansestadt Hamburg, die Körber Stiftung und die Hubertus Wald Stiftung.
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