Die 47. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin wird vom 16. bis 19. Juni digital stattfinden. Welche besonderen Herausforderungen bringt das mit sich?
Frau Prof. Berger: Bei der inhaltlichen Gestaltung haben wir uns eigentlich durch das virtuelle Format nicht sonderlich beeinträchtigen lassen. Im Gegenteil, es ist gelungen, den Großteil des Programms auch im virtuellen Format beizubehalten, im Speziellen haben wir praktisch keine Vortragenden verloren, inklusive der internationalen Kolleginnen und Kollegen, was mich besonders freut. Wir alle bedauern, dass es heuer keine Präsenzveranstaltung in Wien geben wird, viele haben sich seit Jahren ganz besonders auf Wien gefreut. Wir haben ein sehr spezielles Rahmenprogramm vorbereitet – aber wir sind zuversichtlich, dass auch diese virtuelle Wiener GNPI besonders werden wird. Das Rahmenprogramm war eine Herausforderung, aber auch da haben wir gute Ideen zusammengetragen und ich habe die Hoffnung, dass auch unser virtuelles Rahmenprogramm begeistern und ein bisschen Wien-Flair zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bringen wird.
Was lässt sich zu den Inhalten der Tagung sagen – welche neuen Erkenntnisse gibt es auf dem Gebiet der Frühgeborenenmedizin? Worauf legen Sie besonderen Wert? Und was liegt Ihnen am Herzen?
Frau Prof. Berger: Wir haben versucht, und ich glaube es ist auch sehr gut gelungen, einen breiten Bogen über die aktuell spannendsten Themen der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin zu spannen. Das geht von neuen Erkenntnissen im Bereich des Mikrobioms Frühgeborener und dessen Auswirkungen auf das sich entwickelnde Immunsystem und die Gehirnentwicklung unserer kleinen Patienten, über Stammzellforschung und konkrete klinische Einsatzgebiete der Stammzelltherapie bei Infektionen, Lungen- und Gehirnerkrankungen Frühgeborener bis hin zu non-invasiven, lungenschonenden Beatmungsformen, Innovationen im Kreißsaal in den ersten Lebensminuten, Lungenultraschall als non-invasive Form der Bildgebung auf der neonatologischen Intensivstation und ethische Kontroversen inklusive Organspende bei Neugeborenen bis hin zu verschiedensten Formen der Neuroprotektion, der Musiktherapie und dem Langzeit-Outcome extrem unreifer Frühgeborener sowie dem Einsatz moderner Medien und innovativer Techniken in Simulationstrainings und der Ausbildung unserer jungen Kolleginnen und Kollegen.
In der Pädiatrischen Intensivmedizin liegt der Fokus im Bereich verschiedener Extrakorporalverfahren sowie Innovationen bei kardiologischen bzw. kardiochirurgischen Intensivpatienten. Uns war sehr wichtig, auch einen starken Fokus auf das Pflegeprogramm und die Sicht der Eltern zu legen. In diesem Zusammenhang möchte ich die enge Zusammenarbeit mit Silke Mader und der „European Foundation for the Care of Newborn Infants“ (EFCNI) in der Programmgestaltung erwähnen, für die ich sehr dankbar bin. Hier haben wir den Bogen von sicherer Ernährung und neuen Herausforderungen durch Sprachbarrieren und den demographischen Wandel über familienzentrierte Versorgung in Zeiten von Corona bis hin zu der Rolle der Eltern bei klinischen Studien und den Auswirkungen der generalistischen Pflegeausbildung auf die Arbeit auf unseren Intensivstationen gespannt.
Können Sie etwas zur Betreuung von extrem unreifen Frühgeborenen sagen? Welche neuen Entwicklungen gibt es da? Was waren die größten Fortschritte in den letzten Jahren?
Frau Prof. Berger: Vor 25 Jahren, als ich begonnen habe, in der Neonatologie zu arbeiten, haben wir die Grenze der Lebensfähigkeit bei 25 Schwangerschaftswochen gesehen. Es war eine absolute Ausnahme und „Sensation“, wenn ein Kind aus SSW 24 überlebte. Jedes Kind unter 1500 Gramm Geburtsgewicht war ein Hochrisikokind. Viele Kinder hatten einen sehr komplexen Verlauf über einen langen Zeitraum, und letztendlich haben wir viele Komplikationen wie Hirnblutungen, Gehirnzysten und chronische Lungenschäden gesehen. Heute liegt die Grenze der Lebensfähigkeit bei SSW 22/23, Kinder unter 750 Gramm werden als kritische Patienten gesehen, und selbst extrem unreife Frühgeborene, die vor der 27. Schwangerschaftswoche geboren werden, zeigen heute Überlebensraten von über 85 Prozent, viele ohne jegliche Folgeschäden.
Antrieb für diese positive Entwicklung sind unzählige Forschungsprojekte und klinische Studien, die zu neuen Therapien und Behandlungsmethoden geführt haben. Fortschritte hat es in den letzten Jahren auf verschiedensten Gebieten der Neonatologie gegeben: von neuen, lungenschonenden Methoden der Beatmung, über innovative Verabreichungsformen der lebensnotwendigen Substanz Surfactant, Stichwort LISA „Less Invasive Surfactant Administration“, bis hin zu Strategien, mechanische Beatmung gänzlich zu vermeiden oder auf ein Minimum zu reduzieren. Außerdem beschäftigen wir uns mit neuen Methoden zur Steuerung des Blutdruck-Managements, und wir verwenden neue Medikamente zur Verhinderung von Gehirnschäden. Zudem überwachen wir die Gehirnfunktion bei Hochrisikopatienten in der kritischen Phase des Lebens kontinuierlich, um frühzeitig auf Veränderungen reagieren und eine Gehirnschädigung möglichst vermeiden zu können. Heute wissen wir, dass Musiktherapie neben dem Inkubator und die intensive und frühzeitige Mutter- bzw. Eltern-Kind-Interaktion einen positiven Effekt auf die Gehirnentwicklung unserer kleinen Patienten ausüben, und wir haben neue Geräte und Tools zur Verfügung, die ganz speziell für die allerkleinsten Patienten entwickelt wurden, sodass wir in immer früheren Schwangerschaftswochen und niedrigeren Geburtsgewichtsklassen erfolgreich sein können.
In einer jungen und dynamischen Disziplin wie der Neonatologie bedeutet Stillstand automatisch Rückschritt, und es ist die Verpflichtung der großen, universitären Institutionen, für Fortschritt und neue Entwicklungen und Erkenntnisse zu sorgen, zum Wohle unserer kleinen Patienten und ihrer Familien.
Was macht den Erfolg in der Neonatologie aus? Was ist das Erfolgsrezept für immer bessere Ergebnisse bei immer kleineren Patienten?
Frau Prof. Berger: In Summe kann man sagen, dass das Erfolgskonzept ein Nebeneinander von hochtechnologischer und moderner Apparatemedizin, innovativen Behandlungsmethoden und neuen Medikamenten, sowie von ganz viel Individualität, Entwicklungsförderung, Familienzentriertheit und Eingehen auf das einzelne Kind ist. Und natürlich ist jeder Fortschritt in der Neonatologie ein Teamerfolg: Hier arbeiten Medizin und Pflege, also Fachleute aus der Neonatologie und Geburtshilfe, Kinderchirurgie und Anästhesie, Experten aus Therapie und Psychologie, aber auch viele andere Berufsgruppen intensiv zusammen – und nur im großen interdisziplinären Team mit viel Expertise und Erfahrung sind herausragende und international führende Ergebnisse möglich.
Wieviel Frühgeburten gibt es prozentual, sinkt oder steigt die Zahl? Woran liegt das? Wie kann man die Risiken einschränken?
Frau Prof. Berger: Die Rate an Frühgeborenen ist in Europa sehr unterschiedlich, in Deutschland und Österreich ist sie im eher höheren Bereich angesiedelt. Wir hatten in Österreich 2008 den Höhepunkt einer Entwicklung von steigenden Frühgeburtszahlen, damals lag die Rate bei fast 9 Prozent. Seither ist die Frühgeburtenrate wieder sinkend, was zum Teil wohl der Reglementierung im Bereich der assistierten Reproduktion, Stichwort „Single-Embryonen-Transfer“, aber auch Aufklärungsarbeit und einer Zurückhaltung in der Geburtshilfe geschuldet ist, vor der 38. Schwangerschaftswoche eine elektive Kaiserschnittentbindung auf mütterlichen Wunsch durchzuführen. Zuletzt lag die Frühgeburtenrate in Österreich und Deutschland bei etwas über 7 Prozent, in der Schweiz knapp darunter.
Das Motto der Tagung lautet: Wiener Melange, Weibliche Neonatologie, Arbeiten an der Grenze – können Sie das bitte ein wenig erläutern? Die Wiener Melange klingt so leicht und freundlich, dabei geht es doch um ein sehr ernstes, ja auch belastendes Thema.
Frau Prof. Berger: „Wiener Melange“ sollte der Tagung einen starken Wien-Bezug geben, gemeint waren dabei sowohl das Rahmenprogramm und die besonderen Veranstaltungsorte wie etwa das Gartenpalais Liechtenstein oder der Festsaal der Wiener Hofburg, aber auch spezielle Session-Formate, wie Heurigen- oder Wiener Kaffeehaus-Sessions. Davon wird leider nur ein Teil in das virtuelle Format übertragen werden können, wir wollen aber jedenfalls auch dieser virtuellen GNPI ein spezielles Wiener Flair geben und haben uns dafür Einiges einfallen lassen. „Weibliche Neonatologie“ haben wir es genannt, weil wir einen Fokus auf die Tatsache legen wollten, dass die Neonatologie insgesamt stark weiblich ist (von Pflegepersonen bis hin zu Ärztinnen im Krankenhaus und Forscherinnen im Labor), während auf bisherigen Veranstaltungen die geladenen Vortragenden und Vorsitzenden sehr häufig männlich dominiert waren. Wir haben ganz besonderen Wert darauf gelegt, national und international renommierte Expertinnen zu Wort kommen zu lassen, und haben uns bemüht, eine ausgewogene Verteilung zwischen weiblichen und männlichen geladenen Vortragenden und Vorsitzenden zu erzielen. Ja, und „Arbeiten an der Grenze“ soll ausdrücken, dass wir den Fokus des wissenschaftlichen Programms unter anderem auf Fortschritte in Management und Outcome der allerkleinsten und unreifsten Frühgeborenen, die an der Grenze der Lebensfähigkeit geboren werden, sowie schwierige ethische Entscheidungen in unserem Fach gelegt haben.
Alle Informationen zur 47. Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin finden Sie unter www.gnpi2021.de.
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