Aktuell ist nur der Grenzübergang in Bab al-Hawa für grenzüberschreitende Hilfe offen. Die Organisationen fordern den Sicherheitsrat daher auf, mit der Verlängerung der Resolution nicht nur diesen Übergang für weitere 12 Monate offen zu halten, sondern auch die geschlossenen Grenzübergänge Bab al-Salam im Nordwesten und Al-Yaroubiyah im Nordosten wiederherzustellen. Nur so können Syrerinnen und Syrer ausreichenden Zugang zu lebensrettender Hilfe erhalten und humanitäre Akteure wirksam auf die COVID-19-Pandemie reagieren.
Wird die Resolution nicht erneuert und der Übergang geschlossen, sieht sich die UN gezwungen, ihre Tätigkeiten einzustellen. Im Moment werden rund 1,4 Millionen Syrerinnen und Syrer monatlich mit Nahrung versorgt. Sollte der Sicherheitsrat eine Erneuerung nicht unterstützen, wären bestehende Vorräte bis September 2021 aufgebraucht. Die Bereitstellung von Nahrungsmitteln in dem von der UN angebotenen Ausmaß kann jedoch nicht aufgefangen werden. Die unterzeichnenden Organisationen schätzen, dass sie nur Kapazitäten haben, um den Bedarf von rund 300.000 Menschen zu decken.
Wird die Resolution nicht erneuert, würde dies auch die COVID-19-Impfkampagne für Menschen in Nordwestsyrien zum Erliegen bringen. Die Infektionszahlen steigen dort jedoch weiter an und befanden sich im letzten Monat auf einem neuen Höhepunkt. Derzeit werden mindestens 24.257 bestätigte Corona-Fälle sowie 680 Todesfälle gemeldet, wobei die Dunkelziffer aufgrund mangelnder Testkapazitäten wahrscheinlich noch höher ist. Nordwestsyrien erhielt seine erste Impfstofflieferung im vergangenen Monat über den vom UN-Sicherheitsrat autorisierten Grenzübergang Bab al-Hawa. Eine Fortsetzung der Impfkampagne hängt also von einer Erneuerung der Resolution ab.
Die Notlage der Menschen in Syrien ist heute so hoch wie nie zuvor. Alleine im vergangenen Jahr stieg der Bedarf an humanitärer Hilfe drastisch. Syrerinnen und Syrer kämpfen über zehn Jahre nach Beginn des Konflikts mit einem Rekordniveau an Ernährungsunsicherheit und wirtschaftlicher Not. Zudem sind die Menschen in Syrien der Corona-Pandemie, die sich weiterhin mit alarmierender Geschwindigkeit ausbreitet, fast schutzlos ausgeliefert. Aufgrund des jahrelangen Konflikts sind große Teile der Gesundheitsinfrastruktur zerstört, so dass nicht effektiv genug auf die Pandemie reagiert werden kann.
In Nordwestsyrien sind derzeit 2,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen und können ausschließlich grenzüberschreitend erreicht werden. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen und Kinder, die oft mehrmals vertrieben wurden. Im vergangenen Jahr ermöglichte die Autorisierung der grenzüberschreitenden Hilfe humanitären Organisationen, monatlich über 2,4 Millionen Menschen in Not im Nordwesten zu unterstützen, darunter 1,7 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln, 85.000 Menschen mit Ernährungsdienstleistungen und 78.000 Kinder durch Bildungsangebote.
Trotz des steigenden Bedarfs hat der Sicherheitsrat in den letzten 18 Monaten zweimal dafür gestimmt, den humanitären Zugang zum Land einzuschränken.
Die unterzeichnenden Organisationen warnen davor, dass die Abhängigkeit von nur einem Grenzübergang in den Nordwesten den Zugang zu Hilfsgütern und eine erfolgreiche COVID-19-Impfkampagne in der Region weiter gefährdet. Trotz eines im März 2020 vereinbarten Waffenstillstands wurde vor drei Monaten der einzige verbliebene Übergang (Bab al-Hawa) angegriffen. Lagerhäuser wurden beschädigt und Hilfsgüter zerstört. Die anhaltende Gewalt könnte die Menschen in Nordwestsyrien damit vom letzten verbliebenen Zugang zu Nahrungsmitteln, Impfungen und anderen wichtigen Gütern abschneiden.
Die unterzeichnenden Organisationen verweisen auf die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates von Januar 2020, den Zugang nach Nordostsyrien über den Grenzübergang in Al-Yaroubiyah zu stoppen. Diese Entscheidung hatte fatale Folgen und sollte als wichtiges Negativbeispiel für die kommende Entscheidung dienen. Seit der Schließung des Übergangs sind nur eine Handvoll medizinische Lieferungen auf alternativen Wegen in die Region gelangt, obwohl die Gesundheitseinrichtungen mit einem Mangel an speziellen Medikamenten wie Insulin konfrontiert sind sowie kaum Medikamente und Ausstattung zur Verfügung haben, die zur Bekämpfung von COVID-19 benötigt werden. So fehlt es zum Beispiel an Schutzausrüstungen sowie Beatmungsgeräten.
Karl-Otto Zentel, Generalsekretär CARE Deutschland:
„Nachdem Syrerinnen und Syrer in den letzten zehn langen Jahren eine unglaubliche Widerstandsfähigkeit gezeigt haben, sind ihre Kräfte heute komplett aufgebraucht. Dürre, die COVID-Pandemie und eine große wirtschaftliche Instabilität haben die Menschen fest im Griff und lassen die Menschen, die bereits unter anhaltender Gewalt, langwierigen Vertreibungen und persönlichen Traumata leiden, noch mehr verzweifeln. Syrische Frauen stehen vor ihrer größten Überlebensherausforderung: Im Nordosten und Nordwesten Syriens erzählen sie uns, dass die zusammenbrechende Wirtschaft und die steigenden Lebensmittelpreise sie zwingen, ihr Hab und Gut zu verkaufen und sie die Anzahl ihrer Mahlzeiten deutlich reduzieren müssen. Während wir weiterhin in Syrien und der Welt gegen COVID-19 kämpfen, ist jetzt nicht die Zeit, grenzüberschreitende Hilfslieferungen zu reduzieren. Wir fordern den UN-Sicherheitsrat nachdrücklich dazu auf, seiner Verantwortung gerecht zu werden und sicherzustellen, dass Syrerinnen und Syrer dauerhaften Zugang zu lebensrettender Hilfe erhalten. Dafür müssen alle drei Grenzübergänge wiedereröffnet werden. Ohne die Erneuerung der grenzüberschreitenden Resolution stehen wir vor einer humanitären Katastrophe.“
Inger Ashing, CEO von Save the Children International:
„Nach zehn Jahren Syrien-Konflikt, Vertreibung und der anhaltenden Corona-Pandemie, die eine massive Wirtschaftskrise ausgelöst hat, leiden mehr Kinder als je zuvor an Hunger und Mangelernährung. Eltern bleibt oft keine andere Wahl, als Mahlzeiten zu streichen und auf gesunde und frische Lebensmittel zu verzichten. Aufgrund dieser Mangelernährung wird das Wachstum von Kindern gehemmt, was ihre schulischen Leistungen beeinträchtigen und das Risiko von Depressionen oder Angstzuständen erhöhen kann.“
„Der Sicherheitsrat hat die moralische Verpflichtung sicherzustellen, dass die am stärksten benachteiligten Familien Hilfe erhalten. Das Scheitern der Verlängerung der Resolution zur grenzüberschreitenden Hilfe für Syrien wäre eine erbärmliche Akzeptanz menschlichen Leidens!“
David Miliband, Präsident und CEO des International Rescue Committee:
„Der UN-Sicherheitsrat hat die Menschen in Syrien zu lange im Stich gelassen. Die COVID-19-Krise liefert den Mitgliedern jetzt den richtigen Anlass, den Kurs zu ändern. Es ist an der Zeit, dass die humanitären Realitäten vor Ort zu entschlossenen und wirksamen Maßnahmen durch den Sicherheitsrat führen. Die humanitäre Verpflichtung für grenzüberschreitende Hilfe ist mit über 13 Millionen Syrerinnen und Syrern in Not (ein Anstieg von 20 Prozent gegenüber 2014) offensichtlicher als je zuvor. Egal welches Kriterium oder welchen Maßstab man anlegt, der syrischen Bevölkerung geht es heute schlechter als je zuvor in den letzten zehn Jahren. 81 Prozent der Menschen im Nordwesten und 69 Prozent im Nordosten sind auf Hilfe angewiesen. Die Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren nimmt rasant zu.
Das syrische Volk braucht nicht weniger humanitäre Hilfe, sondern mehr und einen besseren humanitären Zugang. Wir erwarten vom Sicherheitsrat, dass er diese grenzüberschreitende Lebensader aufrechterhält. Die Genehmigung von Bab al-Hawa, Bab al-Salam und Al-Yaroubiya für 12 Monate würde dazu beitragen, dass Hilfe – einschließlich Nahrungsmittel und medizinische Versorgung – Syrerinnen und Syrer, die am dringendsten auf sie angewiesen sind, auf dem direktesten Weg erreicht. Es ist klar, was getan werden muss – und jetzt ist es die Zeit zu handeln, nicht für Ausreden.“
Ekkehard Forberg, Syrien-Experte von World Vision Deutschland:
„Nur mit einem planbaren Zugang nach Nordwestsyrien können wir sicherstellen, dass Kinder und ihre Familien die Hilfen bekommen, die sie am meisten benötigen. Es geht dabei nicht nur um materielle Hilfen für ihr Überleben, sondern auch um Schutz und psychologischen Beistand, den man nur vor Ort anbieten kann. Mehr als die Hälfte der Kinder kann nicht zur Schule gehen und noch mehr Kinder benötigen dringend Unterstützung gegen Gewalt. Viele werden aufgrund der Unsicherheit zu einer Heirat gezwungen oder müssen in einem gefährlichen Umfeld Geld verdienen. Deshalb ist es wichtig, dass die Bundesregierung alle verfügbaren Möglichkeiten nutzt, um eine längerfristige Öffnung der Grenzübergänge zu erreichen.“
Unterzeichnende Organisationen:
CARE International
Save the Children
NRC Flüchtlingshilfe
International Rescue Committee
World Vision
CARE Deutschland e.V.
Siemensstr. 17
53121 Bonn
Telefon: +49 (228) 97563-0
Telefax: +49 (228) 97563-51
http://www.care.de/
Medienreferent
Telefon: +49 (170) 7448-600
E-Mail: brand@care.de
Save the Children
Telefon: +49 (170) 7858935
E-Mail: claudia.kepp@savethechildren.de
NRC Flüchtlingshilfe
Telefon: +49 (1520) 260-3842
E-Mail: timm.buechner@nrc-hilft.de
NRC Flüchtlingshilfe
Telefon: +49 (176) 34571264
E-Mail: cathrine.schweikardt@rescue.org
World Vision
Telefon: +49 (6172) 763-151
E-Mail: presse@wveu.org