49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Das entspricht mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können. Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten, das entspricht knapp 2,2 Millionen Haushalten mit knapp 3,1 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern, müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, knapp 12 Prozent oder fast eine Million Haushalte gar mehr als die Hälfte. Die mittlere Mietbelastungsquote (Medianwert) für alle Mieterhaushalte in Großstädten liegt bei 29,8 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit knapp unter der Überlastungsgrenze. Das ergibt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin.* Das Forschungsteam um den HU-Stadtsoziologen Dr. Andrej Holm hat dafür die neuesten verfügbaren Daten des Mikrozensus ausgewertet. Auf dieser Basis liefert die Untersuchung für 2018 auch detaillierte Zahlen für jede einzelne Großstadt in der Bundesrepublik (siehe auch die ausführlichen Tabellen am Ende der Studie; Link unten).

In den vergangenen Jahren sind alle genannten Belastungsquoten zwar etwas zurückgegangen (siehe die Tabellen 1 und 2 in der pdf-Version dieser PM; Link unten), weil auch bei Großstadtbewohnern die Einkommen im Mittel stärker stiegen als die Wohnkosten. Dabei zeigen sich aber große soziale Unterschiede. Vor allem für sehr viele ärmere Haushalte entspannte sich die Situation kaum, für sie ist die Miete weiterhin ein besonders großes finanzielles Problem. Obwohl sie im Schnitt spürbar weniger Wohnraum in älteren und schlechter ausgestatteten Wohnungen zur Verfügung haben, müssen Mieterinnen und Mieter mit geringen Einkommen einen überdurchschnittlichen Anteil davon für die Bruttowarmmiete aufwenden: In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren (Median-) Einkommens aller Großstädter zur Verfügung haben, beträgt die Mietbelastung im Mittel rund 46 Prozent. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des Medians im Mittel lediglich knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben (siehe auch Tabelle 3 in der pdf-Version der PM).

Die Stadtsoziologen sprechen von einer „weiteren Polarisierung“ der Wohnungssituation. Auch im zeitlichen Vergleich von 2006 bis 2018, der in der neuen Studie erstmals angestellt werden kann, zeige sich, „dass sich die sozialen Ungleichheiten im Bereich des Wohnens verschärft und hohe Mietkostenbelastungen verfestigt haben“, resümieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das zeigt sich etwa prägnant beim Vergleich der realen Einkommenszuwächse nach Abzug von Wohnkostensteigerungen zwischen 2006 und 2018 in unterschiedlichen Einkommensgruppen. So stiegen die monatlichen Nettoeinkommen der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens haben, im Mittel um 90 Euro. Bei den Haushalten, die zwischen 60 und 100 Prozent des Medians zur Verfügung haben, waren die Zuwächse ebenfalls eher moderat und blieben unter 200 Euro. Dagegen fielen die Zuwächse in den höheren Einkommensgruppen auch nach Abzug von Mietanstiegen spürbar stärker aus. Mieterhaushalte mit mehr als 140 Prozent des Medians legten im Mittel sogar um 606 Euro an monatlichem Netto zu (siehe auch Grafik 1 in der pdf-Version).

– 4,4 Millionen Haushalte leben in Wohnungen, die zu klein oder zu teuer für sie sind –

Ein anderer zentraler Parameter, den Holm und sein Team berechnet haben, macht ebenfalls deutlich, dass die Wohnungsnot in Großstädten trotz verstärkter Bautätigkeit allenfalls geringfügig gelindert wurde. Laut Mikrozensus 2018 haben mehr als 7,5 Millionen Menschen in 4,4 Millionen Mieterhaushalten nur Wohnungen, die für sie zu klein oder zu teuer sind, gemessen an der im Sozialrecht pro Kopf eines Haushaltes als angemessen geltenden Quadratmeterzahl und dem 30-Prozent-Kriterium für die Warmmiete. Die Quote der damit nach Analyse der Forschenden „real unterversorgten“ Mieterhaushalte in deutschen Großstädten ist zwar seit 2006 um über vier Prozentpunkte gesunken, nach wie vor sind aber mit knapp 53 Prozent mehr als die Hälfte betroffen.

Im Zeitverlauf sogar leicht zugenommen hat der „harte Kern der Wohnungsnot“ in den Großstädten. Darunter verstehen die Forscherinnen und Forscher den Anteil der Mieterhaushalte, die auch unter den Bedingungen einer hypothetischen optimalen Verteilung des vorhandenen Wohnraumes in ihrer Stadt keine in der Größe passende Bleibe finden würden, ohne mehr als 30 Prozent ihres Einkommens dafür ausgeben zu müssen. Diese auch „Idealversorgungslücke“ genannte Größe ermitteln die Forschenden über ein Gedankenexperiment, indem sie auf Basis der Mikrozensus-Daten von 2018 alle Haushalte zu einem Stichtag in die in Puncto Größe und Miethöhe für sie am ehesten passende Wohnung ihrer Stadt „umziehen“ lassen. Selbst unter diesen – faktisch unrealistischen – Bedingungen bleiben in den Großstädten rund 18,2 Prozent der Haushalte übrig, die keine passende leistbare Unterkunft finden würden. 2006 lag der Anteil noch bei rund 17,8 Prozent. Da über die Jahre die Zahl der Mieterhaushalte in den Großstädten gesunken ist – Gründe dafür sind etwa ein Trend zu größeren Haushalten und eine höhere Eigentumsquote – hat die absolute Größe der „Idealversorgungslücke“ zwar trotz der höheren Quote ebenfalls abgenommen. Betroffen waren aber 2018 bundesweit nach wie vor gut 1,5 Millionen Mieterhaushalte, die selbst bei hypothetischer optimaler Verteilung des vorhandenen Wohnraums in zu teuren oder zu kleinen Wohnungen leben müssten. Anders ausgedrückt: „Bundesweit umfasste das strukturelle Versorgungsdefizit über 1,5 Millionen Wohnungen, die selbst bei angenommener bester Verteilung für eine leistbare und angemessene Wohnversorgung in den Großstädten fehlten“, so Stadtsoziologe Holm.

– Allein in Berlin und Hamburg fehlen 345.000 bezahlbare Wohnungen –

Absolut am größten sind die Versorgungsdefizite in den Millionenstädten Berlin, Hamburg, München und Köln, wo selbst bei hypothetischer Optimalverteilung jeweils zwischen 220.000 und knapp 65.000 für die Bevölkerung bezahlbare Wohnungen fehlen. In der Gruppe der Halbmillionenstädte liegt die „Idealversorgungslücke“ meist zwischen mehr als 25.000 und gut 40.000 Wohnungen. Und selbst in kleinen Großstädten wie beispielsweise Moers, Koblenz, Reutlingen, Ulm, Paderborn, Fürth, Siegen oder Ingolstadt überschreitet der Bedarf an für die Bewohner bezahlbaren Wohnungen das Angebot jeweils um einige tausend (siehe auch Tabelle 38 in der Studie ab Seite 118).

Vor allem kleine und günstige Wohnungen fehlen, und das Angebot ist nach Analyse der HU-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über die Jahre noch deutlich knapper geworden: Hätten unter idealen Verteilungsbedingungen im Jahr 2006 noch über 1,7 Millionen Haushalte mit Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter (bruttowarm) versorgt werden können, lag diese Zahl im Jahr 2018 bei nur noch 1,2 Millionen Haushalten. Das entspricht einem Rückgang um mehr als 30 Prozent. Im gleichen Zeitraum deutlich gestiegen ist hingegen das Angebot an Wohnungen, die mehr als 15 Euro bruttowarm kosten: um über 535.000.

– Auch in schrumpfenden Städten erhebliche Mietbelastungen –

Schaut man auf die regionalen Unterschiede in der Wohnsituation, ergibt sich ein diffuses Bild: Trotz der leichten Entspannung der Mietbelastungsquoten für die Gesamtheit der Städte ist die mittlere Mietbelastung in 17 Großstädten zwischen 2006 und 2018 gestiegen. Darunter sind Städte wie Bremerhaven, Darmstadt und Düsseldorf, die bereits 2006 überdurchschnittlich hohe Mietbelastungen aufwiesen. Daneben gehören zur Gruppe mit Anstiegen aber etwa auch Duisburg, Göttingen und Herne, die trotz des Aufwärtstrends immer noch vergleichsweise niedrige Mietbelastungsquoten haben (siehe auch Tabelle 34 ab Seite 108 in der Studie und Abbildung 7 auf Seite 31).

Zudem sind hohe mittlere Mietbelastungsquoten nicht auf bestimmte Regionen oder Stadt-Typen begrenzt. Beispielsweise finden sich unter den Städten mit der höchsten Belastungsquote bei der Warmmiete im Verhältnis zum Einkommen (im Mittel über 32 Prozent) vergleichsweise wohlhabende und „teure“ Großstädte wie Düsseldorf, Wiesbaden oder Darmstadt oder die gefragte Uni-Stadt Aachen ebenso wie das wirtschaftlich eher schwache Bremerhaven, Recklinghausen oder Mönchengladbach, wo zwar die Mieten, aber auch die Einkommen niedriger sind. Ähnliche Muster zeigen sich beim Blick auf den regionalen Anteil der Haushalte, die mehr als 30, 40 oder 50 Prozent ihres Einkommens für die Warmmiete aufwenden müssen (Daten für alle Städte in den Tabellen 35-37 ab Seite 110 in der Studie).

Auch zwischen der regionalen Bevölkerungsentwicklung und den verschiedenen Parametern der sozialen Wohnraumversorgung beobachten die Forscher keinen klaren Zusammenhang. Deutlich ist nur: In Großstädten, die stark schrumpfen, entspannt sich die Situation nicht, sie schneiden in der Tendenz sogar eher schlecht ab. Das erklären die Experten damit, dass durch Abwanderung die Einkommen offenbar oft noch stärker unter Druck geraten als die Mieten.

Für Holm und seine Ko-Forscherinnen und Forscher sind aber gerade die auf den ersten Blick oft diffusen Zusammenhänge ein wichtiger Befund: Sie zeigten, „dass die übliche Erklärungskette, soziale Wohnversorgungsdefizite auf steigenden Bevölkerungszahlen und eine daraus resultierende Anspannung der Wohnungsmärkte zurückzuführen, nicht uneingeschränkt gilt. Die üblichen wirtschaftlichen Modelle der Preisbildung aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage können die Zuspitzung oder Verbesserung der sozialen Wohnversorgungslage nicht hinreichend erklären. Neben den Mietpreisentwicklungen hat insbesondere die ungleiche Verteilung der Einkommen einen wesentlichen Einfluss auf die Lage der sozialen Wohnversorgung“, schreiben sie.

– Forscher empfiehlt mehrgleisigen Lösungsansatz –

Daher empfiehlt Stadtsoziologe Holm einen mehrgleisigen Ansatz, um die Situation zu verbessern. Neben mietrechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer entscheidender Schlüssel zu einer sozialen Wohnversorgung sei jedoch die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, so der HU-Forscher.

– Informationen zur Methode der Studie –

Die Studie bietet bisher unveröffentlichte Einblicke in die soziale Wohnversorgung der Großstädte in Deutschland. Basis der Untersuchung ist der Mikrozensus 2018, der die neuesten verfügbaren Daten zu Wohnverhältnissen liefert, Die amtliche Haushaltsbefragung erfasst alle vier Jahre repräsentative Daten zu Wohnbedingungen. Daher bietet die neue Studie auch Vergleichsdaten für die Jahre 2006, 2010 und 2014 sowie detaillierte Zahlen für jede der 77 deutschen Großstädte von Aachen bis Würzburg. Weitere Informationen zur Methode in der Studie ab Seite 78.

*Andrej Holm, Valentin Regnault, Max Sprengholz, Meret Stephan: Die Verfestigung sozialer Wohnungsprobleme. Entwicklung der Wohnverhältnisse und der sozialen Wohnversorgung von 2006 bis 2018 in 77 deutschen Großstädten. Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 217, Juni 2021, Download: https://www.boeckler.de/…

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