Einen leichten Einstieg hatte er sicher nicht. Eigentlich war alles weit vorrausschauend geplant. Für ein Jahr sollte er den sich in den Ruhestand verabschiedenden Geschäftsführer Wolfgang Grasnick begleiten, um dann an der Seite von Andreas Sperlich die Geschäftsführung der USE gGmbH zu übernehmen. Zwei Monate verliefen ruhig, doch dann kam Corona und Dr. Martin Kaufmann musste sich in seiner neuen Rolle in einer der größten Krisen behaupten. Angetreten ist er aber nicht als Krisenmanager, sondern mit eigenen Ideen und Zielen. Von diesen und auch ein wenig von sich selbst erzählt er in diesem Interview.

Blog: Herr Dr. Martin Kaufmann, nach Ihrer Promotion in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften haben Sie als Referent bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) in Frankfurt gearbeitet. Was hat Sie bewegt, von dieser eher großen Bühne zur kleinen USE zu wechseln?

Kaufmann: Also vorweg muss ich sagen: Die USE ist ja nun alles andere als klein. Zwar ist sie bundesweit nicht räumlich vertreten, doch innerhalb von Berlin und Brandenburg und manchmal auch darüber hinaus sind wir gut bekannt und verortet. Aber natürlich weiß ich, auf was Sie anspielen und das möchte ich gerne beantworten.

Bei der BAG konnte ich lernen, wie man nachhaltig Veränderungen in 700 Werkstätten für 300.000 behinderte Menschen bewirken kann. Als ich dort 2013 begann, war die politische und gesellschaftliche Stimmung sehr angespannt. Forderungen zur Abschaffung von Werkstätten für behinderte Menschen und ein ausgeprägter Rechtfertigungsdruck waren da unsere ständigen Begleiter. Ich habe mich daher sehr früh mit vielen Fragen zur Herkunft und zur Weiterentwicklung der Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt. Und natürlich hat sich dabei in mir eine Haltung entwickelt, die auch heute noch handlungsleitend ist. Die Idee, ein aus meiner Sicht sinnvolles und auch erforderliches System zu erhalten und dennoch kontinuierlich zu verbessern, treibt mich heute genauso an wie damals.  Rein praktisch sind wir den damaligen Diskussionen u.a. mit einer Studie zum gesellschaftlichen Mehrwert der Werkstätten begegnet, um einen anderen, neuen Rahmen für konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Im Zuge dieser Studie und weiterer Projekte lernte ich dann auch deutschlandweit über 100 Werkstätten kennen – und mein Bild hat sich ständig erweitert.
In der BAG konnte man – auch aus einer konstruktiv-kritischen Perspektive heraus – für sehr viele Menschen etwas bewegen. Leider braucht man dazu jedoch auch einen sehr langen Atem. Bis zur Umsetzung konkreter Themen und Projekte dauert es durchaus drei bis vier Jahre. Ab einem gewissen Punkt wollte ich dann aber schneller und mit eigenem Verantwortungsspielraum gestalten können.

Blog: Warum haben Sie aus 700 Werkstätten gerade die USE ausgewählt?

Kaufmann: Ich kannte die USE schon länger, auch Andreas Sperlich war mir durch die gemeinsame Arbeit in einigen Arbeitskreisen und Gremien gut bekannt. Die USE geht nicht den klassischen Weg, sondern hat einen eigenen Ansatz und manchmal auch eine Vorreiterrolle – das reizte mich. Allein die vielen Rehabilitations-Angebote interessierten mich, aber auch die besondere Situation in Berlin mit 16 Werkstätten als Mitwettbewerber.

Blog: Wie sehen Sie die USE heute? Was wollen Sie mit und für die USE bewirken?

Auch wir hier kochen nur mit Wasser. (lacht). Aber, die USE ist für mich noch immer ein besonderes Unternehmen und ein toller Anbieter beruflicher Rehabilitation. Aber durch die Corona-Krise hat sich mein Blick nochmal verschärft: Wo können wir helfen – auch in dieser schwierigen Zeit? Haben wir die richtigen Angebote? Und wie kommen sie bei den Menschen an? Wirksamkeit ist dabei ein großes Thema für mich. Wir als USE müssen in Zukunft noch genauer darauf blicken, wie unsere Angebote bei den Menschen ankommen und was sie bewirken. Die Dinge, die wir tun und ja vor allem gemeinsam miteinander im Zusammenspiel Vieler erbringen, müssen eine Relevanz und einen Mehrwert für die Menschen haben.

Meine Motivation ist es dabei, die Wege innerhalb unseres Systems und damit auch die Möglichkeiten weiter auszuloten. Ich möchte, dass wir mit den einzelnen Bereichen der USE noch mehr zusammenwachsen und somit auch die Vielfalt an Chancen und die Durchlässigkeit weiter erhöhen. Ich glaube, dass wir hier schon sehr weit sind und dennoch noch mehr machen können.

Blog: Als Geschäftsführer hat man eine andere Verantwortung als als Referent. Was fordert Sie besonders heraus?

Kaufmann: Zunächst einmal die grundsätzliche Verantwortung für ein großes Unternehmen und damit für die dort beschäftigten Menschen mit und ohne Behinderungen. Die Größe des Unternehmens gibt mir da ein Gefühl von Demut – und spornt mich gleichzeitig an. Und natürlich unterscheidet sich sowohl die inhaltliche als auch die personelle Rolle eines Geschäftsführers deutlich von der eines Referenten. Mein Handlungsspielraum ist deutlich größer als früher und auch die Sichtbarkeit ist eine deutlich andere. Das hat nicht immer nur Vorteile, sondern ist auch sehr herausfordernd. Umso wichtiger ist es mir, entlang meines inneren Kompasses zu handeln. Dabei sind mir vor allem Haltung, Nachvollziehbarkeit und Verbindlichkeit sehr wichtig.

Blog: Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf Ihr Privatleben. Sie sind Vater eines sechsmonatigen Jungen und damit zurzeit sicher mehr als ausgefüllt. Aber sicher haben Sie noch andere Interessen.

Kaufmann: Zuerst einmal: Es ist ganz wundervoll, Vater geworden zu sein und nun gemeinsam mit meiner Partnerin das Abenteuer des Elternseins zu erleben! Der Kleine lässt mich vielleicht gelegentlich müde aussehen, ist für uns aber ein großes Geschenk, das mich sehr erfüllt!

Früher habe ich sehr viel Musik gemacht. Dabei konnte ich als Gitarrist in einer Metalband die Fetzen fliegen lassen. Das hat damals einen erheblichen Teil meiner Zeit in Anspruch genommen und mich in vielerlei Hinsicht bereichert. (Grinst)

Heute wandere ich viel und bin oft in der Natur, wenn es zeitlich passt auch viel in meiner thüringischen Heimat. Zudem gehe ich mit meinen Wanderfreunden jedes Jahr zwei, drei Wochen auf Treckingtour. Ganz puristisch mit dem Zelt oder von Hütte zu Hütte. Das ist für mich die schönste Erholung, die ich mir vorstellen kann.

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