Der Begriff der Agency ist nur unbefriedigend als ‚Handlungsmacht‘, ‚Handlungspotenzial‘ oder ‚Handlungsinitiative‘ ins Deutsche übersetzbar. Für verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen ist er unverzichtbar, um Prozesse gegenseitiger Einflussnahme, die Reichweite oder den Ausschluss von Handlungsspielräumen oder Verantwortung für konkrete Vorgänge zu bestimmen. In der Medien- und Kommunikationswissenschaft hat er lange Zeit keine systematische Rolle gespielt. Erst in Reaktion auf Perspektiven der seit den 1990er-Jahren boomenden Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und daran anschließenden Entwürfen der Medienwissenschaft wurden vergleichbare Konzepte von medial verteilter Handlungsmacht entwickelt.
Gegenüber solchen eher theoriegeleiteten Studien nehmen die Autor*innen in Agency postdigital. Verteilte Handlungsmächte in medienwissenschaftlichen Forschungsfeldern verschiedene exemplarische Medienkonfigurationen in den Blick und versuchen, das Erklärungspotenzial von ‚Agency‘ als medienwissenschaftlicher Schlüsselkategorie aus der Perspektive ihres jeweiligen Forschungsfeldes genauer zu bestimmen. Unter den Bedingungen der ‚Postdigitalität‘ lassen sich gegenüber früheren Zugängen insbesondere zwei medienwissenschaftliche Facetten von Agency neu diskutieren: Zum einen, inwiefern neben menschlichen Akteur*innen auch neu entstandenen nicht-menschlichen Entitäten ein solches Handlungspotenzial zuzurechnen ist. Zum anderen wären im postdigitalen Raum auch die relativen Handlungs(un)fähigkeiten von individuellen, kollektiven und institutionellen Akteur*innen neu zu bestimmen.
Berenike Jung / Klaus Sachs-Hombach / Lukas R.A. Wilde (Hrsg.)
Agency postdigital.
Verteilte Handlungsmächte in medienwissenschaftlichen Forschungsfeldern
2021, 264 S., 25 Abb., Broschur, 213 x 142 mm, dt./engl.
ISBN (Print) 978-3-86962-502-7
ISBN (PDF) 978-3-86962-503-4
Berenike Jung arbeitet als Lecturer in Filmwissenschaften am King’s College London. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft in Tübingen am Lehrstuhl für Medienwandel und Medieninnovation. Sie hat 2016 an der Universität Warwick (Großbritannien) in Film- und Fernsehwissenschaften promoviert und ihre Dissertation beim Universitätsverlag Edinburgh unter dem Titel The Invisibilities of Torture: The Presence of Absence veröffentlicht, neben weiteren Publikationen zum chilenischen Film und Fragestellungen zu Ethik und Gewalt im Kino. Ihre Lehr- und Forschungsinteressen umfassen Filmtheorie, Dokumentarfilm, Populärkultur, transnationalen Film, Film/Philosophie und digitale Medien. Momentan beschäftigt sie sich besonders mit der Rolle von Affektivität und Performativität und dem Verhältnis von Ästhetik, Praxis und Ethik in digitalen Bildformaten wie GIFs und in Kurzvideos auf Plattformen wie TikTok sowie kritischen Fragestellungen zu deren transnational unterschiedlichen Effekten.
Klaus Sachs-Hombach, geb. 1957, studierte Philosophie, Psychologie und Germanistik an der Universität Münster. 1990 schloss er seine Promotion an der Universität Münster ab, 2003 die Habilitation an der Universität Magdeburg. Von 1991 bis 1993 erfolgte ein Forschungsaufenthalt in Oxford und am MIT in Cambridge, MA. Seit 2011 ist er Professor für Medienwissenschaft (Medieninnovation/Medienwandel) am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen. Forschungsschwerpunkte: Bildtheorie, Kommunikationstheorie, Medientheorie, Zeichentheorie, Ästhetik, Kulturtheorie, Geschichte und Theorie der Psychologie und Kognitionswissenschaft.
Lukas R.A. Wilde, Dr., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Zuvor Studium der Theater- und Medienwissenschaften, Japanologie und Philosophie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und der Gakugei Universität Tokyo. Von 2013 bis 2016 war er Promotionsstipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Seine Dissertation, veröffentlicht als Im Reich der Figuren (Herbert von Halem Verlag), untersucht die japanische ‚Mangaisierung‘ öffentlicher Räume und die Implementierung von transmedialen ‚Figuren‘ (kyara) in funktionaler Kommunikation. Sie wurde 2018 mit dem Roland Faelske-Preis für die beste Dissertation im Bereich der Comic- und Animationsforschung ausgezeichnet und 2021 mit dem GIB Wissenschaftspreis in der Kategorie Dissertationen. Er ist Schatzmeister im Vorstand der Gesellschaft für Comicforschung (ComFor) und Co-Sprecher der AG Comicforschung der Gesellschaft für Medienwissenschaften (GfM). Forschungsschwerpunkte: Comic- und Manga-Theorie sowie -Narratologie, Webcomics und Digitalisierung, Intermedialitätsforschung und Medientheorie sowie Diagrammatik.
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