Die 34. Jahrestagung der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie e. V., die in diesem Jahr digital durchgeführt wurde, ging mit rund 600 Teilnehmer*innen aus allen Bereichen der Behandlung und Versorgung Querschnittgelähmter erfolgreich zu Ende. Mit dem Tagungsmotto „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ umfasste Kongresspräsident PD Dr. Mirko Aach, Leiter der Abteilung für Rückenmarkverletzte am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum, das aktuelle Spannungsfeld. 

Spannende Diskussionen gab es zum Beispiel zur vielbeachteten multizentrischen NISCI Studie zur Nervenregeneration, zu der bei der Jahrestagung die ersten Zwischenergebnisse vorgestellt wurden. Es geht dabei um die Wirksamkeit der Therapie mit einem monoklonalen Antikörper, der unterbrochene Nervenfasern regenerieren lassen soll. Denn, wie der Schweizer Neurowissenschaftler Prof. Martin Schwab herausgefunden hatte, wird nach akuter Rückenmarkverletzung im Bereich des Zentralnervensystems eine axonale Aussprossung geschädigter Nervenfasern durch sogenannte Nogo-Proteine aktiv blockiert. Mithilfe eines Antikörpers sollen diese Mechanismen im Körper gebremst werden, die eine naturgemäße Heilung verhindern. Als Folge könnten sich bestimmte Bereiche im Rückenmark erholen. Eine Funktionsverbesserung auf sogenanntem „segmentalem Niveau“, die im Tierversuch gezeigt werden konnte, gebe „Anlass zur Hoffnung“, so Dr. Aach.    

Mit dem Vortrag „Rationale Herausforderungen, neue Erkenntnisse“ wurde von Prof. Dr. Armin Curt, Zürich (CH) der Stand der europäischen NISCI Studie (Nogo-A Inhibition in acute Spinal Cord Injury) zur Behandlung mit Antikörpern bei Patienten mit akuter traumatischer zervikaler Querschnittlähmung vorgestellt. Im Rahmen dieser Untersuchung zur Sicherheit und Wirksamkeit von intrathekal appliziertem anti-Nogo-A [NG101] wird bei Patienten mit höchstens 28 Tage zurückliegender Halsmarkverletzung nach sechsmaliger Injektion direkt in den Spinalkanal beobachtet, wie sich die Funktionen entwickeln und ob relevante Verbesserungen erzielt werden können. Wenn sich der Antikörper in der Anwendung bewährt und damit die Chance auf eine funktionelle Verbesserung erhöht, wäre das „wirklich sensationell“, so Dr. Aach. „Wir hätten endlich ein Medikament zur Hand, das tatsächlich nach Rückenmarkverletzungen helfen kann.“  

In gut besuchten Vortragssessions,  Arbeitskreisen und Workshops ging es in über 70 weiteren Präsentationen um Fragen der chirurgischen und therapeutischen Versorgung, Herausforderungen lebenslanger Nachsorge sowie lebenspraktische Fragen und Lifestyle-Themen wie Sexualität und Kinderwunsch. Eindrucksvolle Vorträge belegten einen medizinischen und technischen Standard auf hohem Niveau. Hilfsmittel, Rollstühle, Sportgeräte und neue Medikamente für Querschnittgelähmte zeigten gute Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten. In verschiedenen Bereichen wurden technische Weiterentwicklungen vorgestellt, etwa in der exoskeletalen Therapie, indem Geh-Orthesen schon mit dem Körper kommunizieren und Exoskelette in der Lage sind, autonom zu gehen, oder in der Steuerung eines Rollstuhls über Hirnströme.  

Neben den Präsentationen solcher Hightech-Entwicklungen nahmen aber auch alltagspraktische Entwicklungen einen großen Raum ein wie zum Beispiel der Austausch von praktischen Möglichkeiten zur Blasen- oder Darmentleerung, zum Katheterisieren oder zu Abführmaßnahmen. Diskussionen zum Klinikalltag zeigten den Kampf mit Personalmangel, Kostendruck, komplizierten Genehmigungsverfahren für Hilfsmittel und Problemen zum Beispiel bei der Verlegung von beatmeten Querschnittgelähmte in Rehabilitationen. Diskutiert wurde die notwendige Auseinandersetzung mit Kostenträgern um höherwertige Hilfsmittel wie Aktivrollstühle, Sitzkissen oder Matratzen, zumal mit einer optimierten Versorgung auch Folgekosten zu verhindern seien. „Ich würde mir einen Dialog wünschen, in dem uns als erfahrenen Behandlern mehr vertraut wird, dass wir die notwendigen, zweckmäßigen und sinnvollen Hilfsmittel für unsere Patienten auch auswählen“, so Dr. Aach. Als Diskussionsgrundlage sollten Standards von der DMGP als Fachgesellschaft entwickelt werden. 

Zu den aktuellen Themen „Livestyle und Kinderwunsch“ gab es einen lebhaften Wissens- und Erfahrungsaustausch in verschiedenen Bereichen wie Urlaubsplanung, Sportmöglichkeiten, geeigneten Entbindungskliniken und Möglichkeiten einer besseren Vernetzung für Patienten und ihre Angehörigen. 

Im Anschluss an die erfolgreiche Online-Tagung soll der intensive fachliche Austausch bei der 35. Jahrestagung der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie e.V. vom 22.–25.06.2022 in Bad Wildungen fortgeführt werden. Diese findet unter dem Motto „Spätfolgen der Querschnittlähmung – Prävention und Therapie“ unter der Leitung von PD Dr. med. Thomas Meiners, Chefarzt des Zentrums für Rückenmarkverletzte der Werner Wicker Klinik, Bad Wildungen, und Dr. med. Heiko Lienhard, Leitender Arzt der Abteilung für Viszeralmedizin und Oberarzt am Zentrum für Rückenmarkverletzte der Werner Wicker Klinik, Bad Wildungen, statt. 

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