Kein Blitzbesuch und ohne Eile: Für die Slowakei nimmt sich der Heilige Vater fast vier volle Tage Zeit ‑ Ringen um Identität der Kirche in der modernen Welt für einen ‚Slowakischen Weg‘ ‑ Franziskus wollte zur Überraschung der Slowaken erneut „an die Ränder“: zu den Roma ‑ Dort und andernorts hilft das deutsche Osteuropa-Hilfwerk Renovabis mit gut 34 Millionen Euro

Von Thomas M. P. Schumann

Vojtěch Horváth lackiert mit weißer Farbe die hölzerne Fensterbank eines großen Rahmens am Kreuzgang der Klosterbasilika von Šaštín. Der 64-jährige Maler trägt Sorge, dass eine der berühmtesten Kirchen in der Slowakischen Republik zur Visite von Papst Franziskus am 15. September frisch getüncht für den hohen Besucher da steht. Der Prior der Marien-Basilika im Erzbistum Bratislava (Pressburg), der Paulinerpater Martin Lehončác in seiner weißen Ordenskutte, lobt den ehrenamtlichen Helfer am Pilgerort und präsentiert stolz, noch außer Atem von einem Sprint in den Gewölbekeller des Konventgebäudes, eine kunstvoll gearbeitete Replik des Gnadenbildes von Šaštín: Die gekrönte Pietà, deren Gebetsanrufungen vielen Menschen Trost gespendet hat.

Vor 350 Jahren, als der Ort „Maria Schoßberg“ hieß, entstand hier eine Wallfahrt zu den Sieben Schmerzen Mariens. Bis heute ist der Weiler, den damals Habsburgs Kaiserin Maria Theresia aufgrund vieler Wunderheilungen als Gebetsstätte zur Schmerzhaften Muttergottes gegründet hatte, für die Bevölkerung in diesem, im Norden der Slowakei gelegenen Landstrich wichtig: Sie pilgern – auch vom angrenzenden Tschechien und aus Polen – zu ihrer Schmerzensmutter. Marienfrömmigkeit ist sowohl für griechisch-katholische, mit dem römischen Papst unierte Christen des ostkirchlichen Ritus, wie auch für die überwiegend römisch-katholischen Gläubigen Bekenntnis und Ehrensache.

Wie Papst Johannes Paul II. in den Jahren 1990, 1995 und 2003, besucht in diesem September Papst Franziskus das abgelegene Dörfchen mit der mächtigen Barockkirchenanlage, um zum Abschluss seiner Reise mit mehr als 100.000 Wallfahrern zu beten: Eine nationale Angelegenheit. Das ist auch Zuzana Čaputová, der 48-jährigen Präsidentin der Slowakei, bewusst gewesen, als sie den Papst in ihr Heimatland einlud. Nur, dass Franziskus auch kommen würde, das war dann doch überraschend. Jetzt empfängt Čaputová das Staatsoberhaupt des Vatikanstaats am 13. September mit allen Ehren im Goldenen Saal ihres Präsidialsitzes, des Palais Grassalkovich in Bratislava.

In Urlaubsabwesenheit der Präsidentin zeigte ihr Pressesprecher Martin Strižinec einer Delegation des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis aus Deutschland die repräsentativen Räumlichkeiten am Rande der Pressburger Altstadt. Das Protokoll sieht für diesen Höflichkeitsbesuch nur wenige Minuten vor. Im Park vor dem Amtssitz der Präsidentin trifft der Heilige Vater nachmittags hunderte ehrenamtliche Vertreter aus kirchlichen Vereinen, der Zivilgesellschaft und von Nichtregierungsorganisationen, die sich um das Wohl der Menschen in ihrem Land verdient gemacht haben. Für diese Begegnung nimmt sich Franziskus einige Zeit, weil er seinen Besuch in der Slowakischen Republik unter das Leitwort „Mit Maria und Josef auf dem Weg zu Jesus“ gestellt hat: Dem Heiligen Vater geht es letztlich um Nächstenliebe und Solidarität aller Menschen füreinander und ein gutes Leben für alle in der Achtung vor der allen geschenkten Schöpfung.

Franziskus hat den heiligen Josef für 2021 zum Schutzpatron der Weltkirche proklamiert und der Menschheit als „Beschützer der heiligen Familie“ anempfohlen: Josef, der Beschützer der Kirche und das Vorbild gläubiger Menschen, führe uns durch sein Beispiel zu Jesus. Er war ein gerechter und fürsorglicher Mann. Er hörte aufmerksam auf Gottes Stimme und handelte danach. Seine Verlobte und Ehefrau Maria sei diesen Weg immer treu mit ihm gegangen. Dies werde in dem ostkirchlichen Hymnus Akathistos feierlich zum Ausdruck gebracht, den die griechisch-katholischen und orthodoxen Christen mit den römischen Katholiken gemeinsam pflegen. Maria führt ihr Weg mit Jesus unter das Kreuz. Die Gottesmutter erlitt ganz konkret die „Prophezeiung vom Schwert des Schmerzens“. Ihr sterbender Sohn habe Maria allen Menschen als „unsere Mutter“ anvertraut. Diese Schutzpatronin der Sieben Schmerzen wird in der Slowakei seit Generationen verehrt. Der Vorsitzende der Slowakischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislav Zvolenský, fasst die Botschaft der Papstvisite so zusammen: „Maria und Josef führen uns also auf den Weg zu Jesus. Sie führen uns Menschen dazu, die Spuren seiner Gegenwart in unserem Leben, in den tiefsten Sehnsüchten unserer Herzen zu erkennen.“

Solche Botschaften könnten darauf schließen lassen, dass die gut 65 Prozent Katholiken von knapp 5,5 Millionen Einwohnern das Bild einer „heilen“ kirchlichen Welt zeichnen. Tatsächlich ist die Volkskirche noch weitgehend intakt, die Menschen pflegen  ‑ gerade auf dem Land ‑  einen traditionellen Glauben. Im städtischen Umfeld, etwa der Hauptstadt Bratislava, kritisieren Religionssoziologen und Pastoraltheologen indes die Entfremdung der Kirche von aktuellen gesellschaftlichen Strömungen. Hier würden einzelne, aber wachsende Gruppierungen vom „Mainstream der Konservativen“ nicht mitgenommen, heißt es. Die Kirche müsse erst noch ihren eigenen Weg für die Zukunft finden: eine Berg- und Talfahrt, wenn man bedenkt, dass die slowakische Kirche durch Verfolgung und erzwungenen Untergrund im Kommunismus, über eine von Säkularismus und Konsum bestimmte Periode zwischen 1991 und 2010 und den bis heute andauernden Transformationsprozess geprägt worden ist. Viele nicht erfüllte Hoffnungen an Europa bis hin zu den aktuellen corona-bedingten Einschränkungen der persönlichen Kirchenkontakte skizzieren das gesellschaftliche Umfeld, in dem sich Kirche artikulieren und handeln müsse und auch wolle.

Wie Bischofskonferenz-Vorsitzender Erzbischof Zvolenský betont, geht es seinen Mitbrüdern und Papst Franziskus darum, das „Ringen um die eigene Identität mit der modernen Welt für einen ‚Slowakischen Weg‘ angemessen aufzuarbeiten.“ Er nennt „das Leiden und die Schuldhaftigkeit der Kirche“ besonders im Hinblick auf verschiedene Missbrauchsfälle. Andererseits spricht Zvolenský mit aktueller Perspektive vom „Kampf mit der Moderne, die mit einer Kritik am Klerikalismus vermischt“ würde.

Darüber diskutieren Bischöfe und offizielle Vertreter der Amtskirche mit engagierten Laien des Forums Christlicher Initiativen (FKI) und Vertretern von Wissenschaft und praktischer Theologie wohl noch zu wenig, gewinnen deutsche Beobachter den Eindruck hinter dem Gesamtbild einer harmonisch anmutenden Kirche, die wohl unmittelbar vor einem strukturellen Selbstfindungsprozess steht und gleichzeitig um die damit einhergehende öffentliche Wahrnehmung. Ein Eindruck, den auch der renommierte Religionssoziologe Jozef Żuffa so unterstreicht. Papst Franziskus jedenfalls will mit seinem Besuch Solidarität stiften und die Menschen zu einer Fortsetzung des Erneuerungsprozesses ihrer Ortskirche  ‑ mit ost- und westkirchlichen Facetten ‑  ermutigen. Gleichzeitig geht Franziskus, wie schon so oft, „an die Ränder“. Nahe der ostslowakischen Stadt Košice besucht der Papst die berühmt gewordene Roma-Siedlung „Lunik IX“. In dem heruntergekommenen Plattenbau-Stadtteil aus den 1970er Jahren leben tausende Mitglieder der Roma-Minderheit unter größtenteils elenden Lebensumständen.

Heute sind in Lunik IX noch mindestens 5.000 Roma zuhause – häufig teilen sich 20 Menschen eine Zwei-Zimmer-Wohnung der sieben 12- bis 14-stöckigen Blocks. Einige Bewohner der Siedlung leben inzwischen in Zelten, nachdem ihnen die ehemaligen steinernen Behausungen genommen wurden: Politiker hatten geglaubt, die Anzahl der Anlieger des sozialen Brennpunkts verringern zu können, wenn sie einfach Häuser abreißen ließen. In der gesamten Ostslowakei leben am Rande der Städtchen und Gemeinden Roma isoliert von der slowakischen Bevölkerung; Begegnungen mit der Volksgruppe werden all zu oft als problematisch und belastend empfunden. Die Kirche empfiehlt und achtet die Roma als „Kinder Gottes“ und ist bemüht, sie zu integrieren. Der Orden der Salesianer Don Boscos hat in den zurückliegenden 25 Jahren mit finanzieller Hilfe der deutschen Katholiken über Renovabis in Košice, aber auch andernorts, nachhaltig geholfen. Rund 300.000 Euro wurden allein in Lunik insbesondere für Bildungsmaßnahmen zugunsten der Romabevölkerung investiert. Insgesamt hat die Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken seit 1993 rund 1500 Projekte ihrer Partner in der Slowakei mit bis jetzt 34,5 Millionen Euro gefördert.                                               

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