„Zwei wehklagende und lautjubelnde Stimmen“
Was für ein Auftakt: donnernde Triller und herrisch-pathetische Geste. Die Wucht dieses Konzertanfangs ist beispiellos und besitzt eine Weite von sinfonischen Ausmaßen. Johannes Brahms‘ erstes Klavierkonzert ist das zentrale Werk seiner Sturm-und-Drang-Zeit. Robert Schumanns Selbstmordversuch am 27. Februar 1854, die vergebliche, nie erwiderte Zuneigung Brahms‘ zu Clara Schumann und das aufwühlende Erlebnis von Beethovens neunter Sinfonie kommen darin zum Ausdruck.
Bei seinen Zeitgenossen war das Werk jedoch wenig beliebt: Als der 25-jährige Brahms bei der Uraufführung am Königlichen Hoftheater in Hannover als Solist am Flügel saß, wurde die Komposition in Gänze verrissen. Die Presse sprach von einer „totalen Componisten-Niederlage“ und davon, dass man wieder einmal „eine neue Composition zu Grabe getragen“ habe. Im historischen Rückblick muss man freilich zugutehalten: Brahms’ Klavierkonzert hielt tatsächlich neue Hörherausforderungen bereit. In den deutlichen Worten der Ablehnung ist nicht zuletzt auch das zu lesen, was die Besonderheiten des Klavierkonzerts ausmacht. Schon der erste, fast überdimensioniert wirkende, formal auswuchernde Satz enthält viele Klangfacetten. Der zweite Satz, das Adagio, zeichnet nach Brahms eigenen Worten ein „sanftes Portrait“ Clara Schumanns. Und während der zweite das Prinzip des Dialogischen zwischen Orchester und Klavier feiert, lässt das Rondo des dritten Satzes die Möglichkeiten der unterschiedlichen Klangwelten von Orchester und Klavier wie in einem beständigen Wirbel umeinander kreisen. Das Klavier wirkt hier als Orchester und mit dem Orchester – wie zwei „wehklagende und lautjubelnde Stimmen“.
Heute zählt Brahms‘ erstes Klavierkonzert zu einem beliebten Klassiker seiner Gattung. Gleichwohl ist es für das Orchester und den Pianisten, die hier „als gleichwertige Partner“ aufeinandertreffen, wie Igor Levit sagt, eine reizvolle Herausforderung.
Der andere Bruckner
Auch Anton Bruckner, der zweite Komponist des Konzertabends am 25. September im Festspielhaus, hat das erste Klavierkonzert seines Gegenspielers außerordentlich geschätzt. Die Orchesterstürme, die der junge Brahms gleich zu Beginn entfesselt, ähneln auch Bruckner’schen Vulkanausbrüchen. Gegenüber der langen Entstehungszeit von Brahms erstem Klavierkonzert mutet Bruckners sechste Sinfonie fast als Schnellschuss an; innerhalb eines Jahres entstand sie in ihrer finalen Fassung. Der Komponist selbst bezeichnete sie als seine "keckste" Sinfonie. Vielleicht ein Verweis auf den weltlichen Charakter, der die sonst in seiner Musik omnipräsente Religiosität vermissen lässt. Schon der Beginn ist untypisch. Die meisten Bruckner-Sinfonien beginnen mit einem musikalischen ‚Urnebel‘ aus dem die Motive des Stückes langsam aufsteigen. Die Sechste dagegen startet mit einem akzentuierten Rhythmus, der fast schon an Ravels 50 Jahre später entstandenen Boléro erinnert. Insgesamt ist der Charakter der Sechsten unbeschwerter und weltlicher, die Musik ist fließender.
Die Festspielhaus-Besucher dürfen sich am 25. September 2021 auf ein Konzertprogramm freuen, das emotional höchst aufgeladen ist – musikalisch dargeboten von zwei Ausnahmepersönlichkeiten, die zum ersten Mal gemeinsam auftreten werden.
Igor Levit
2013 gab Igor Levit mit einer Klavier-Matinee seinen Einstand im Festspielhaus Baden-Baden. Zwei Jahre später sprang er bei den Osterfestspielen für Martha Argerich im Schumann-Klavierkonzert mit den Berliner Philharmonikern und Riccardo Chailly ein. Zuletzt war er 2018 mit einem Solo-Klavierabend zu Gast an der Oos Den international gefragten Pianisten führen Solo-Konzerte an die Carnegie Hall New York, zum Concertgebouw Amsterdam, in die Elbphilharmonie Hamburg, die Kölner Philharmonie und die Tonhalle Zürich. Führende Orchester, darunter die Berliner Philharmoniker, das Cleveland Orchestra, das Gewandhausorchester Leipzig und die Wiener Philharmoniker, laden ihn als Solist aufs Podium. Der vielseitige, auch gesellschaftlich engagierte Musiker ist Künstlerischer Leiter der Kammermusikakademie und des Standpunkte Festivals des Heidelberger Frühlings. Seit 2019 ist er Professor für Klavier an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Er selbst hatte dort sein Studium absolviert, das er mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts abschloss.
Igor Levit, in Nischni Nowgorod geboren, übersiedelte im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland. Neben musikalischen Ehrungen wie dem Gilmore Artist Award wurden ihm für sein politisches Engagement 2019 der 5. Internationale Beethovenpreis und im Januar 2020 das Bundesverdienstkreuz sowie die Auszeichnung mit der „Statue B“ des Internationalen Auschwitz Komitees anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz.
Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker
Der russische Dirigent Valery Gergiev ist ein enger Freund des Festspielhauses Baden-Baden. Mit seinem Dirigat wurde Deutschlands größtes Opernhaus 1998 offiziell eröffnet.
Mit den Münchner Philharmonikern verbindet Valery Gergiev seit 2011 eine intensivere Zusammenarbeit, seit der Spielzeit 2015/16 ist ihr Chefdirigent. Programmatische Akzente setzte Valery Gergiev durch die Aufführungen symphonischer Zyklen von Schostakowitsch, Strawinsky, Prokofjew und Rachmaninow sowie neuen Formaten.
Seit ihrer Gründung 1893 bereichern die Münchner Philharmoniker unter renommierten Dirigenten das musikalische Leben Münchens. 2004 wurde Zubin Mehta zum ersten Ehrendirigenten des Orchesters ernannt. Christian Thielemann pflegte in seiner Amtszeit die Münchner Bruckner-Tradition ebenso wie das klassisch-romantische Repertoire. Ihm folgte Lorin Maazel und seit 2015 ist Valery Gergiev Chefdirigent. An der Oos waren die Münchner Philharmoniker vor allem in spektakulären Opernaufführungen zu Gast: in Strauss’ „Rosenkavalier“ und „Elektra“ unter Christian Thielemann, in Boitos „Mefistofele“ unter Stefan Soltesz.
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