Es ist ein ernüchterndes Bild, das sich dort unten in der Hessenhalle bietet. Zwei Leute stehen an der Anmeldung, drei sitzen im Wartebereich, vor den Impfkabinen ist gerade gar niemand zu sehen. „Alles sehr überschaubar“, sagt Dr. Erich Wranze-Bielefeld, der von der Empore aus auf „sein“ Impfzentrum herunterschaut. In seinem Blick liegt Wehmut – zum einen, weil die Tage des Impfzentrums gezählt sind, zum anderen, weil auch heute wieder nur ganz wenige den Weg in die Hessenhalle finden, um sich die Schutzimpfung gegen das gefährliche Corona-Virus abzuholen. Das war einmal ganz anders. Es gab Phasen, in denen der Impfstoff denkbar knapp war. Jeder „Priorisierte“ wurde neidisch beäugt, weil er die rettende Spritze bekam. Es gab Phasen, da war richtig was los in der Halle, die Menschen saßen Schlange vor den Impfkabinen, Tag für Tag wurden mehrere Hundert Spitzen verimpft. Und es gibt seit Juli die Phase, in der die Impfbereitschaft der Menschen merklich zurückgeht, obwohl jetzt endlich ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht.

Erich Wranze-Bielefeld hat diese Phasen hautnah miterlebt. Als ärztlicher Leiter hat er mit seinem Team die größte Impfaktion in der Geschichte der Bundesrepublik im Vogelsberg umgesetzt. „Es war eine außergewöhnliche Situation und es war eine außergewöhnliche Zeit“, erinnert der Mediziner noch einmal an die vergangenen Monate.

Von einer „noch nie dagewesenen Marathonaufgabe“ hatte Landrat Manfred Görig bereits am Jahresanfang gesprochen, als er die neuen Mitarbeiter im Impfzentrum begrüßt hatte. Wie Recht er damit haben sollte. Wobei: Der Ablauf im Zentrum klappte wie am Schnürchen, es waren die frustrierenden Wochen des Wartens, die an den Nerven zehrten. Erst dauerte es mehr als zwei Monate, bis überhaupt geöffnet werden durfte, dann fehlte der Impfstoff.

Noch einmal ein Blick zurück: Bereits am 10. Dezember des vergangenen Jahres ist die Hessenhalle fix und fertig hergerichtet. Doch die Türen bleiben verschlossen. Mehr als zwei Monate lang. Das Land erlaubt zunächst nur den Betrieb von sechs regionalen Zentren, alle anderen dürfen erst am 9. Februar öffnen. Das Team der Hessenhalle indes ist nicht untätig, wartet gespannt auf die erste Impfstoff-Lieferung. Ein Sprinter, kein Lastwagen, fährt am zweiten Weihnachtstag vor die Halle und bringt die ersten Dosen des begehrten Impfstoffs. „Es war lächerlich, es war so wenig“, erinnert sich Dr. Erich Wranze-Bielefeld. „Ein Karton, etwa 50 mal 50 Zentimeter groß, mehr wurde nicht ausgeladen. Und darin – umgeben von Trockeneis – ein kleines Häufchen Vakzin.“ Auf der anderen Seite: Es war auch ein beeindruckender Moment, erstmals die Glasfläschchen zu sehen. „Das ist das Zeug, das uns retten wird“, so der spontane Gedanke von Waldemar Kuhn, im Impfzentrum in der EDV tätig, in diesem Augenblick.

Einen Tag später werden die ersten Vogelsberger geimpft. Im Altenheim. Mobile Teams fahren in den folgenden Wochen in die Pflegeeinrichtungen, um die alten Menschen und die Pflegekräfte zu impfen. Gleichzeitig laufen im Impfzentrum in der Hessenhalle die ersten Sonderimpfungen – beispielsweise für ärztliches Personal und Pflegekräfte aus den Krankenhäusern oder für Mitarbeiter des Rettungsdienstes – an. Man hat Zeit, die Abläufe durchzuspielen und zu optimieren. Und so hat das lange Warten auf die Öffnung fast schon etwas Gutes an sich.

Es dauert bis zum 9. Februar, dann öffnen sich die Türen der Hessenhalle. Endlich kann geimpft werden – wenn auch nur in überschaubarer Menge. Der Impfstoff fehlt. Jeden Monat wird mehr versprochen, jeden Monat gibt es Ankündigungen, dass die Zuteilung aufgestockt wird. „Im April haben wir extra noch einmal das Personal aufgestockt, um das Zentrum unter Volllast laufen zu lassen“, sagt Dr. Wranze-Bielefeld. Doch die von Berlin versprochenen Impfstoffmengen treffen einfach nicht ein.

Die 1000 Impfungen, für die das Zentrum ausgelegt sein musste, werden nie erreicht. „Wir hätten im normalen Tagesablauf sogar 1200 Menschen impfen können, wenn wir die Öffnungszeit ein wenig ausgeweitet hätten, sogar 1500 an nur einem Tag…“, schildert Wranze-Bielefeld. Immerhin: Im späten Frühjahr läuft es besser, es gibt mehr Impfstoff, die Priorisierung wird peu à peu aufgehoben, im Impfzentrum ist richtig Betrieb. Der 13. Juni ist der Rekord-Tag mit insgesamt 844 Impfungen.

Der Ablauf klappt hervorragend. „Ich möchte dem gesamten Team ein großes Lob aussprechen, die Marathonaufgabe wurde bestens gelöst“, zieht Landrat Manfred Görig ein positives Fazit, was ihm auch viele Besucher des Impfzentrums immer wieder bestätigt haben. „Wir hatten an den entscheidenden Positionen Mitarbeiter, auf die man sich 100prozentig verlassen konnte“, ergänzt Wranze-Bielefeld.

Und: Sie sind richtig kreativ, das Impfzentrum des Vogelsberges macht hessenweit Schlagzeilen. Etwa mit der Aktion „Impfspringer“, bei der man sich online direkt einen Termin in der Hessenhalle buchen kann.

Die Aktion offenbart aber auch: Das Interesse an der Impfung lässt wie überall in Deutschland mehr und mehr nach. Sind es anfangs nur wenige, die ihren Impftermin schwänzen, nimmt die Zahl stetig zu. Ende Juni/Anfang Juli ist endlich genügend Impfstoff da – aber nun fehlen die Leute!

Was tun? Das Team des Impfzentrums bietet eine Reihe von Sondertermine an, die gut angenommen werden. Zuletzt gibt es Termine in der Fläche, so wird in Schotten, in Schlitz, in Lauterbach, in Grebenhain und sogar auf dem Fealler Bauernmarkt geimpft.

In der Hessenhalle indes ist kaum noch etwas los. Etwa 100 Impfungen werden dort noch durchgeführt. Die Stimmung ist gedrückt, man hat den Rückbau schon fest im Blick. Bis 15. Oktober muss alles erledigt sein…

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