„Es erscheint sehr verlockend, den EU-Staaten durch eine Reform des Stabilitätspakts für die Corona-Schulden einen Persilschein auszustellen und nicht auf eine zügige Verringerung hoher Schuldenstände nach der Pandemie zu beharren. Auch ist es richtig, dass Staatsschulden oberhalb der bisher erlaubten Obergrenze von 60-Prozent des BIP bei niedrigen Zinsen sehr wohl tragbar sein können. Gleichwohl verkennen die Rufe nach einer weitgehenden Lockerung der europäischen Schuldenregeln drei Tatsachen: Erstens sind die meisten EU-Staaten neben hohen offenen Schulden mit noch höheren versteckten Verbindlichkeiten konfrontiert, die sich aus ungedeckten Leistungsversprechen in den Renten- und Gesundheitssystemen bei einer stark alternden Bevölkerung ergeben. Zweitens ist die Wachstumsrate von besonders hoch verschuldeten EU-Ländern wie Italien seit langem sehr niedrig, so dass sich trotz niedriger Zinsen ein Schuldentragfähigkeitsproblem ergeben kann. Und drittens hängt die Finanzierbarkeit des hohen Finanzbedarfs etlicher Euro-Staaten inzwischen stark von der Bereitschaft der EZB ab, ihre Nullzinspolitik weiterzuführen und massiv Staatsanleihen aufzukaufen.
Vor diesem Hintergrund sind wirksame europäische Schuldengrenzen schon alleine deshalb unverzichtbar, um die EZB in ihrer geldpolitischen Unabhängigkeit zu schützen. Dennoch ist die Reformdiskussion zum Stabilitätspakt berechtigt: Das Regelwerk krankt bisher an einer zu hohen Komplexität und auch daran, dass es keinen unparteilichen Wächter gibt. Die Europäische Kommission hat den Pakt schon vor der Pandemie nur halbherzig angewendet und in der Auslegung mehr auf Wahlkämpfe in den Mitgliedstaaten geschielt als auf finanzwirtschaftliche Risiken. Hier wäre zu überlegen, welche unabhängige Institution in Zukunft besser in der Lage wäre, die Schuldenregeln je nach konjunktureller Situation verantwortungsvoll auszulegen. Mit mehr Unabhängigkeit in der Überwachung wäre auch der Weg zu einfacheren Regeln frei.“
Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung. Das Institut unterstützt durch fundierte Beratung Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen. Zentrale Forschungsfrage des ZEW ist, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Durch gezielten Wissenstransfer und Weiterbildung begleitet das ZEW wirtschaftliche Veränderungsprozesse. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW Mannheim rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.
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