Hein, der mit seinen zwei Pferden und dem großen Leiterwagen die Garben vom Stoppelacker holt, Margarethe, die im Winter in der Spinnstube Socken strickt, oder Elisabeth, die das Heu mit dem großen Holzrechen wendet: Es sind Bilder wie diese, die nach mehr als 50 Jahren die Kindheit und das Leben auf dem Dorf wieder lebendig machen – dank eines einzigartigen Kulturprojektes und vor allem dank des früheren Gehauer Försters Kurt Frantz. Der hatte in den 60er und 70er Jahren das Dorfleben in all seinen Facetten fotografiert – den Bauern in Manchester-Hosen mit kariertem Hemd und Strohhut auf dem Feld, die Bäuerin in der schwarzen, einfachen Tracht mit Dutt und Kopftuch, die Pflanzfrauen bei der Arbeit, die ganze Familie bei der Kartoffelernte oder die ersten Traktoren. Im Rahmen des Projektes „TraVogelsberg – eine Region bricht auf“ wird ein kleiner Teil dieser Fotos in der Breitenbacher Kirche gezeigt. Die Resonanz an diesem Abend ist hervorragend.

„Gemeinsam mit den Menschen vor Ort wollen wir Kultur wieder sichtbar machen“, benennt Katja Schmirler-Wortmann (Kulturzentrum Kreuz Fulda) das Ziel des gemeinsamen Projektes, das vom Vogelsbergkreis als Projektträger gemeinsam mit dem Kreuz und der Musikschule Lauterbach umgesetzt wird. Dabei beschränkt man sich nicht auf den Vogelsberg. „Wir finden es gut, Kreisgrenzen zu überwinden. Wir möchten gerne auch in Zukunft Begegnungsformate hier in Breitenbach planen“, kündigt Schmirler-Wortmann an. Die nächste Veranstaltung ist bereits terminiert: BAUstattKINO auf Hof Huhnstadt am 27. Oktober.

Doch zurück zum „Blick ins Archiv“ – so der Titel der Ausstellung. Siegfried Frantz, der Sohn des Försters, hat diesen Bick ermöglicht, denn er hat das umfangreiche Film- und Fotomaterial seines Vaters zur Verfügung gestellt. „Die Bilder sind von so einer bewegenden Schönheit, dass man daraus ein Buch machen müsste“, stellt Kreuz-Geschäftsführer Wolfgang Wortmann schon ein mögliches Folgeprojekt in Aussicht. Vor allem weist er auf den „ganz eigenen Blick des Fotografen auf die Welt“ hin, es ist ein eine „entschleunigte Zeit“, die diese Bilder des dörflichen Alltags vermitteln.

Die Fotografien aber zeigen auch, wie sehr die schwere körperliche Arbeit in der Landwirtschaft Spuren hinterlässt. Die Menschen auf den Bildern wirken alt, viele schauen ernst, die Last auf ihren Schultern ist förmlich zu spüren. Kurt Frantz´ Fotos berühren, sie geben sogar die Stimmung dieser Zeit wieder. Mit seinen Bildern vom Alltag auf dem Dorf hat der ehemalige Förster ein beeindruckendes Zeugnis der Vergangenheit geschaffen.

Nur wenige Jahre später hat er die Eröffnung des Freizeitparks auf dem Rimberg gefilmt –   es ist ein Sprung in eine andere Zeit: Anfang der 70er Jahre lachen junge Frauen im Mini-Rock in die Kamera, Männer tragen Schlaghosen und Kinder hüpfen auf bunten Bällen über eine Wiese. In Massen strömen die Menschen an diesem Tag auf den Rimberg, lokale Prominenz ist dabei, aber auch der bekannte Moderator Elmar Gunsch und Heidi Biebl, eine ehemalige deutsche Skirennläuferin und Goldmedaillengewinnerin im Abfahrtslauf bei den Olympischen Spielen 1960 in den USA. Mit dem neuen Zweier Sessellift geht es nach oben auf den fast 600 Meter hohen Berg, mit der Bob-Bahn oder auf Gras-Ski herunter. Drei Skipisten sind angelegt worden, für wenige Jahre gibt es sogar Wintersport auf dem Rimberg.

Das ist mittlerweile Geschichte – so wie die Erinnerung an die Spinnstube, die Katharina Schaake an diesem Abend in der Breitenbacher Kirche vorliest. Die Zeit des Herbstes steht auch im Mittelpunkt der kleinen Andacht von Pfarrerin Hannelore Weide-Jatho. Musikalisch umrahmt wird der gelungene Abend von Sigrid Herrmann an der Orgel.

Zum Projekt

Das Projekt "TraVogelsberg – eine Region bricht auf" wird gefördert im Programm TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel, eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Es wird im Vogelsberg vom Vogelsbergkreis als Projektträger zusammen mit den Partnerinstitutionen Kulturzentrum Kreuz e.V. und Lauterbacher Musikschule e.V. umgesetzt.

TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel

Mit TRAFO hat die Kulturstiftung des Bundes ein Programm initiiert, das ländliche Regionen in ganz Deutschland dabei unterstützt, ihre Kulturinstitutionen für neue Aufgaben zu öffnen.

Die beteiligten Museen, Theater, Musikschulen und Kulturzentren reagieren auf gesellschaftliche Herausforderungen in ihrer Region und werden zu kulturellen Ankern und zeitgemäßen Kultur- und Begegnungsorten. TRAFO trägt dazu bei, die Bedeutung der Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung und die kulturpolitischen Strukturen in den Kommunen und Landkreisen dauerhaft zu stärken.

Von 2015 bis 2021 unterstützt TRAFO vier Regionen bei der Weiterentwicklung ihrer kulturellen Infrastruktur. In der zweiten Phase werden von 2020 bis 2024 sieben weitere Regionen gefördert.

www.trafo-programm.de  

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