60 Jahre nach Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei erzählt ein neues Buch mit dem Titel "Zurückgespult" die spannenden Lebensgeschichten der türkischen "Gastarbeiterinnen" und "Gastarbeiter" in der Industriestadt Augsburg. Viele von ihnen fanden ab Anfang der 1960er Jahre in den dortigen großen Textilfabriken Lohn und Brot und leisteten so einen wichtigen Beitrag am Gelingen des damaligen "Wirtschaftswunders". Die Arbeitsmigration prägte fortan das Leben vieler Menschen und veränderte die Stadtgesellschaft nachhaltig. Heute besitzt fast jede zweite Person in Augsburg eine Zuwanderungsgeschichte.

In dem neu erschienen Buch erinnern sich Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an die Wege des Ankommens, Hierseins und Dableibens sowie an ihre Arbeit in der Augsburger Textilindustrie.

"Zurückgespult" bietet so im doppelten Sinne spannende und einzigartige Einblicke in die Lebenswelten der damaligen Neu-Augsburgerinnen und Augsburger und ihrer Kinder.

"Der Blick zurück auf das eigene Erleben von Arbeit und Alltag der ersten Generation angeworbener Arbeitskräfte aus der Türkei ist unersetzlich für das Verständnis dieses wichtigen Teils der Augsburger Stadtgeschichte. Deshalb bilden die Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen die Grundlage des Buches", sagt Prof. Dr. Günther Kronenbitter vom Lehrstuhl für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Universität Augsburg und Mitherausgeber von "Zurückgespult". Yaprak Şen vom Herausgeber-Team ergänzt: "Die damaligen Arbeiterinnen und Arbeiter erzählen von einer vergangenen Zeit, in der zwar vieles anders war als heute, in der aber auch vieles begann, was Augsburg heute ausmacht. Das Buch gibt somit Einblicke in diverse Lebenswelten: Zunächst gekommen, um zu arbeiten, werden durch lebendige Erzählungen, private Schnappschüsse und gesammelte Dokumente die einzelnen Lebenswege deutlich."

Neben Arbeiten und Wohnen sind die Entwicklung von Freizeitkulturen, politischem Engagement und religiösem Leben grundlegende thematische Inhalte des Buches, den übergreifenden Rahmen bilden die Bezüge zur Augsburger Textilindustrie.

Das Fazit der beiden weiteren Mitherausgeberinnen Leonie Herrmann und Dr. Ina Hagen- Jeske: "Mit Blick auf die weitere Stadt- und Migrationsgeschichte in Augsburg wird deutlich: Es gibt noch viel zu tun. Aufgrund des hohen Alters der ersten Einwanderungsgenerationen ist es höchste Zeit, die Erinnerungen von Migrantinnen und Migranten aus den Anwerbeländern zu sammeln und zu dokumentieren. Wird dies versäumt, so werden ihre Stimmen in der Geschichte einer von Vielfalt geprägten Stadt fehlen. Damit wäre auch die Chance verspielt, die Erfahrungen und Leistungen jener Generation als wichtigen Faktor der Entwicklung von Augsburgs Stadtgesellschaft anzuerkennen."

Das Anwerbeabkommen war am 30. Oktober 1961 zwischen dem Auswärtigen Amt in Bonn und der türkischen Botschaft unterzeichnet worden. Es regelte die Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland. Zuvor hatte es bereits entsprechende Vereinbarungen mit Italien, Spanien und Griechenland gegeben.

Herrmann, Leonie/ Hagen-Jeske, Ina/ Kronenbitter, Günther/ Şen, Yaprak, Wagner, Lisa (Hg.):

Zurückgespult. Arbeit und Alltag von AugsburgerInnen aus der Türkei. München 2021.

164 Seiten, Paperback ISBN 978-3-96233-293-8 € 20,- https://www.allitera-verlag.de/buch/zurueckgespult/

Weitere Informationen zum Buchprojekt:

https://www.uni-augsburg.de/de/fakultaet/philhist/professuren/kunst-undkulturgeschichte/europaische-ethnologie-volkskunde/forschung/kooperations-undlehrforschungsprojekte/publikation-zuruckgespult/

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