Wir sind auf der sicheren Seite: Die akutstationäre Versorgung von PatientInnen mit neurologischen Erkrankungen – hierzu gehört auch die Versorgung von PatientInnen, die einen Schlaganfall erleiden – wird in Nordwest-Niedersachsen (Versorgungsregion 4) durch insgesamt neun Kliniken flächendeckend sichergestellt. Gegenwärtig planen verschiedene weitere Krankenhäuser in der Region trotzdem den Aufbau weiterer, neurologischer Abteilungen und haben entsprechende Anträge an das Land Niedersachsen gestellt. In der Sitzung des Krankenhausplanungsausschusses am 24. November 2021 soll darüber entschieden werden, ob dieses wenig sinnvolle Vorhaben im Krankenhausplan des Landes berücksichtigt wird.

Die Fakten haben sich nicht geändert: Der Ausbau der neurologischen Versorgung in Nordwest-Niedersachsen wird bereits seit einiger Zeit diskutiert. Obwohl sich der Krankenhausplanungsausschuss schon mehrfach gegen die Schaffung der Neurologie in weiteren Krankenhäusern ausgesprochen hat, soll nun erneut abgestimmt werden. Allerdings liegen keine neuen Erkenntnisse vor, die Anlass böten, die Haltung des Krankenhausplanungsausschusses zu überdenken. Entscheidet sich der Ausschuss ein weiteres Mal gegen das Vorhaben, könnte sich die Gesundheits- und Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) zwar per Ministerialentscheidung über den Ausschussbeschluss hinwegsetzen, würde damit den zu versorgenden PatientInnen allerdings keinen Gefallen erweisen und damit die derzeitige, nachweislich hohe Qualität der regionalen Versorgung reduzieren. Das Neurovaskuläre Netzwerk Nord-West lehnt eine derartige Ministerialentscheidung deutlich ab und fordert stattdessen, die bestehenden neurologischen Krankenhausstandorte in der Versorgungsregion 4 zum Wohle der Patientenversorgung zu stärken.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: In dem Neurovaskulären Netzwerk Nord-West wird die neurologische Expertise von neun Krankenhausträgern, die seit Jahrzehnten über neurologische Fachabteilungen verfügen, gebündelt. Im Jahr 2020 wurden in diesen Einrichtungen zum Beispiel 7.789 Schlaganfälle behandelt. Dabei profitieren die PatientInnen von gemeinsamen Therapiestandards, Teleradiologie und gemeinsamen Fortbildungen dieser Kliniken. Die Daten des Neurovaskulären Netzwerk Nord-West zeigen eindeutig, dass die bestehenden Strukturen eine optimale Patientenversorgung auf höchstem Niveau bieten. Die Auswertung des Schlaganfallregisters unterstreicht, dass die Qualität der Akutversorgung von Schlaganfällen in Nordwest-Niedersachsen durch die bestehenden neurologischen Zentren bezüglich wesentlicher Qualitätsindikatoren über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt.

Kein Nachteil – sondern Spitzenmedizin: Hier geht es nicht um eine vage Einschätzung, sondern um eindeutige und belegbare Fakten. Im Nordwesten kommen fast 47% der PatientInnen in dem kritischen Lysezeitfenster in die Kliniken, also dem Zeitintervall, in dem eine verschlossene Hirnarterie noch mit einer Infusionstherapie eröffnet werden kann, um eine körperliche Behinderung abzuwenden. Im Bundesdurchschnitt erreichen dagegen nur 43% aller SchlaganfallpatientInnen in diesem Zeitfenster eine Klinik. Diese Werte zeigen eine schnellere prähospitale Erstversorgung im Nordwesten und sprechen gegen lange Fahrtzeiten in die Spezialkliniken in der Versorgungsregion 4. Daher können im Netzwerk mehr SchlaganfallpatientInnen eine Lysetherapie oder eine Thrombektomie erhalten als in der Vergleichsregion Gesamtdeutschland. Und sie werden auch schneller versorgt: Fast 55% bekommen in den ersten 30 Minuten eine CT-Diagnostik – im Rest Deutschlands sind es nur rund 44%. Dem Motto „Time is Brain“ folgend bietet das Schlaganfallnetzwerk der neun Kliniken in der Versorgungsregion 4 daher eindeutige Kennzahlen einer Spitzenmedizin in Deutschland für seine PatientInnen. Trotz der Situation eines Flächenlandes ergibt sich somit nachweisbar kein Nachteil bei der Schlaganfallversorgung im Nordwesten und auch keine Notwendigkeit weitere Schlaganfallkliniken in dieser Region aufzubauen. Diese hohe Qualität und durch jahrelange Erfahrung geprägte Fachkompetenz sollte nicht durch Zergliederung der neurologischen Standorte gefährdet werden.

Unabhängige Experten unterstützen bestehende Neurovaskuläre Zentren: Sowohl die durch das Land Niedersachsen beauftragte, überfraktionelle Enquete-Kommission als auch mehrere externe Gutachter kamen zu dem Schluss, dass durch Konzentration gerade von hochspezialisierten, medizinischen Abteilungen (dazu zählt unstreitbar gerade die Neurologie) in dafür ausgewiesene Zentren ein erheblicher Vorteil für PatientInnen besteht. Die bereits bestehenden Neurovaskulären Zentren sichern eine solche bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Versorgung der PatientInnen in der Region. Der Anteil neurostationärer Betten, gemessen an allen stationären Betten, im deutschlandweiten Vergleich fällt sogar überdurchschnittlich hoch aus.

Demnach ist das Angebot an neurologischen Fachabteilungen durch die bestehenden Versorger bereits heute schon sehr gut. Auch im Bereich der Schlaganfallversorgung ist gewährleistet, dass jeder Einwohner innerhalb der geforderten 60 Minuten mit einem für
die Erstbehandlung bestens ausgestatteten Rettungsdienst eine zertifizierte, überregionale Stroke-Unit erreichen kann. Hier wird er in die Hände eines Leistungserbringers übergeben, der eine permanente Versorgung auf höchstem Niveau gewährleistet. Auch in Hinblick auf den Zentrumsgedanken, welcher die qualitativ hochwertige Versorgung für die PatientInnen sicherstellt, käme eine Zustimmung zu diesem Antrag einem Schlag ins Gesicht der Fachleute gleich.

Fachkräftemangel verschärft Situation: Bei all diesen Punkten ist ein bedeutsames Gegenargument noch nicht genannt – der Fachkräftemangel. Der bereits bestehende Fachkräftemangel wird sich bedingt durch die demografische Entwicklung und die ab 2020 geltenden Personaluntergrenzen in der Neurologie und in den Stroke-Units weiter verschärfen. Diese Kombination wird dazu führen, dass die Nachfrage nach Fachpersonal steigen wird, offene Stellen allerdings nur schwer zu besetzen sein werden. Sollten nun weitere neurologische Fachabteilungen aufgebaut werden, würde die bisherige optimale Versorgung unter diesen Gesichtspunkten sogar geschwächt werden. Diese verschärfte Konkurrenzsituation würde zwingend zu einer Mehrbelastung der Mitarbeitenden führen, die tagtäglich für die neurologischen PatientInnen im Einsatz sind. Der niedersächsische Landtag bemängelt gerade die Verteilung des vorhandenen Personals auf zu viele Standorte. Eine Zustimmung zu den vorliegenden Anträgen würde diese Fehlentwicklung weiter fördern: immer mehr Standorte entstünden. Damit würde sich die Politik von allgemein anerkannten Grundsätzen zur Verbesserung der Krankenversorgung und ihren eigenen Vorgaben entfernen.

Leistungsangebote erweitern und Rettungsdienste optimieren: Eine machbare, sinn- und verantwortungsvolle Alternative zur Etablierung neuer akutneurologischer Standorte ist eine regional angepasste Kombination des Ausbaus ambulanter, tagesklinischer und rehabilitativer Versorgungsangebote sowie der Ausbau der Rettungsdienststandorte, der Möglichkeiten der Luftrettung und telemedizinischer Versorgungsangebote.

Keine Atomisierung der Versorgung: Der Niedersächsische Landtag hat am 6. Juli 2021 eine klare Aussage getroffen und einen entsprechenden Beschluss gefasst: „Ziel einer neu ausgerichteten Landeskrankenhausplanung sollen besser ausgestattete und leistungsfähigere Krankenhäuser sein. Spezielle Versorgungsleistungen sollen – bei gleichzeitiger Gewährleistung einer gut erreichbaren Grundversorgung – zudem stärker konzentriert werden.“ Genau das ist auch die einheitliche Meinung der neun Kliniken, die eine Fehlentwicklung und eine schlechtere Versorgung im Sinne der PatientInnen auf jeden Fall vermeiden wollen. Unterstützt wird diese Position von einem der führenden Gesundheitsökonomen Deutschlands: „Für viele Indikationen gilt, dass Spezialisierung, Fokus und hohe Fallzahlen zu besserer medizinischer Qualität führen – und nebenbei die Leistungen auch wirtschaftlicher erbracht werden können. Es empfiehlt sich daher, regional Schwerpunkte zu bilden“, so Prof. Dr. Boris Augurzky vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.

Starke Standorte weiter stärken: Im Fokus der verantwortungsvoll handelnder politischen Entscheidungsträger sollte ein Ausbau der bereits bestehenden stationären Leistungserbringer und Leistungsangebote, und somit eine Stärkung der bestehenden neurovaskulären Zentren stehen, anstatt neue aufzubauen, die dann um das ohnehin knappe Fachpersonal konkurrieren und die qualitative Versorgung der Patienten schwächen. Es gibt dazu klare Alternativen im Sinne einer Verbesserung der bereits heute überdurchschnittlich guten Versorgung.

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