Am 11. Oktober ernannte der tunesische Präsident Kais Saied eine neue Regierung unter Führung der kürzlich nominierten Premierministerin Najla Bouden, der ersten Frau in dieser Position. Der Schritt erfolgte mehr als zwei Monate nachdem der Präsident den früheren Premierminister Hichem Mechichi entlassen, das Parlament suspendiert und die volle Exekutivgewalt übernommen hatte. Begründet wurde der Schritt mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage und Problemen im Gesundheitswesen.

Seit dem Arabischen Frühling 2011, der zum Rücktritt von Präsident Ben Ali geführt hatte, erlebt Tunesien Demokratie, aber auch politische Instabilität. In neun Jahren gab es neun Premierminister. Die aktuelle Krise bewerten viele Beobachter aber als echte Bedrohung für die demokratischen Errungenschaften. Trotz der Ernennung der neuen Regierung hat der Präsident die im Juli verhängten Sofortmaßnahmen beibehalten und damit die Befugnisse der Regierung stark eingeschränkt. Internationale Geldgeber wie die Europäische Union fordern die vollständige Wiederherstellung der demokratischen Ordnung. 

Infolge der Suspendierung des Parlaments hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) die mit der Vorgängerregierung eingeleiteten Gespräche über ein neues Programm auf unbestimmte Zeit eingestellt. Dies bewertet der Kreditversicherer Credendo als besorgniserregend, da sich die Wirtschafts- und Finanzlage Tunesiens in den letzten zehn Jahren erheblich verschlechert hat. Die Einführung struktureller und glaubwürdiger Fiskalreformen gilt als wichtiger Schritt, die Staatsverschuldung tragfähig zu halten und makroökonomische Stabilität zu gewährleisten. Doch schon vor der aktuellen Krise waren grundlegende Reformen schwierig angesichts der Stärke der Gewerkschaften und der Gefahr sozialer Unruhen. 

Die Staatsverschuldung war 2020 auf fast 90 % des BIP angestiegen. Ohne Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung dürfte sie sich weiter erhöhen. Mehr als zwei Drittel bestehen aus Auslandsschulden, so dass der externe Schuldendienst zunehmend zum Problem wird. Das finanzielle Risiko Tunesiens sieht Credendo deutlich erhöht, das mittel- und langfristige politische Risikorating, das die Zahlungsfähigkeit eines Landes darstellt, ist unter Druck. Der Zugang zu internationalen Kapitalmärkten ist eingeschränkt. Namhafte Ratingagenturen haben das Land herabgestuft. Eine Verschärfung der globalen Finanzierungsbedingungen, z. B. durch eine Anhebung des US-Zinssatzes, würde den Zugang weiter erschweren. Eine Chance sieht Credendo in einer Umsetzung von Reformen unter IWF-Schirmherrschaft.

Der Kreditversicherer, der auf Exporte in Nicht-OECD-Länder spezialisiert ist, sieht die künftigen wirtschaftlichen Aussichten Tunesiens herausfordern und fragil. Gestützt von einer Impfkampagne könnte sich die Wirtschaft etwas erholen mit einem BIP-Wachstum von 3 % im Jahr 2021 und 3,3 % im Jahr 2022. Das würde aber nicht ausreichen, um den Rückgang im Jahr 2020 von 8,6 % zu kompensieren. Belastungen sieht Credendo durch die politische Instabilität, den Covid-19-Ausbruch im Sommer, verhaltene Stützungsmaßnahmen (inmitten fehlender fiskalischer Spielräume) und die verhaltene Erholung des Tourismus. 

Trotz der Schwierigkeiten belässt Credendo das Land in der kurzfristigen politischen Risikokategorie 5/7. Die Klassifizierung ist aber unter Druck. "Aktuell können wir weiterhin Deckungen für Forderungen aus Exporten nach Tunesien bieten", erklärt Credendo-Deutschlandchef Karsten Koch. 

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