Was tun, wenn einem die Ärzte prognostizieren, man habe nur noch ein halbes Jahr zu leben? Es gibt sicher viele Möglichkeiten, auf eine solche Schreckensbotschaft zu reagieren. Und alle haben ihre Berechtigung. Zum Beispiel noch einmal alles erleben zu wollen was der gesundheitliche Zustand hergibt, sich komplett aufzugeben oder aber auch die Prognose einfach nicht anzunehmen. Sarah Herrwerth hat sich für letzteres entschieden. Sie war damals 30, hatte noch ihr ganzes Leben vor sich und „wollte selbst bestimmen” wann sie sterben würde.
Nach einer Brustkrebs-Operation und einer weiteren Tumorentfernung am Schlüsselbein sowie mehreren Chemotherapien war der Krebs wieder gekommen: Lebermetastasen. Eine Situation, wie sie hoffnungsloser kaum hätte sein können. Ein Hospiz suchte sich Herrwerth entgegen der Empfehlung ihrer Ärzte aber nicht. Stattdessen wechselte sie den Behandlungsstandort. An der Universitätsklinik in Heidelberg fand die gebürtige Helgoländerin Menschen, die zusammen mit ihr kämpfen wollten. Hier fühlte sie sich fortan sicherer. Ein Ort, dem sie vertraute und der wenig später ihr neues Zuhause werden würde.
„Ich wollte nicht, dass meine Kinder ohne Mutter aufwachsen”
Dennoch war der Schritt zunächst schwierig: „500 Kilometer von zuhause wegzugehen und meine Kinder nicht mehr regelmäßig zu sehen, das war nicht leicht.” Derart harte und konsequente Entscheidungen zu treffen, hatte bis dahin nicht zu ihren Stärken gehört. Jetzt aber trieb Herrwerth ein Gedanke: „Ich wollte nicht, dass meine Kinder ohne Mutter aufwachsen.”
Die Behandlung in Heidelberg stellte sich wie erwartet als herausfordernd dar. Direkt nach der ersten von zwei großen Leberteiloperationen erlebte Herrwerth im Aufwachraum einen Herzstillstand und musste 50 Minuten lang reanimiert werden. Nach zwei Tagen im Koma erfolgte ein Erwachen, das sie so schnell nicht los ließ: „Ich fühlte mich, als ob ich mir selbst fremd geworden war. Ich habe daraufhin fast jede Minute damit verbracht mich und mein Leben zu analysieren. Die Nadel zu finden, die mich in diesen Zustand gebracht hatte.” All das half. Die ersten Erfolge stellten sich ein, zum Erstaunen der Ärzte. Und so ein wenig ebnete sich bereits der Weg, den sie später endgültig einschlagen sollte: Den Krebs ganzheitlich zu betrachten und zu behandeln. Also als Zusammenspiel aus fachlicher ärztlicher Betreuung und Maßnahmen der Selbstheilung.
Krebserkrankungen ganzheitlich zu betrachten, das hat die mittlerweile 46-Jährige heute zu ihrem Beruf gemacht. So begleitet sie bereits erkrankte Menschen, aber auch diejenigen, die präventiv ihren Lebensstil gegen den Krebs und andere chronische Krankheiten verändern möchten. Dabei greift sie auf den Erfahrungsschatz zurück, den sie für sich erlebt sowie verarbeitet hat. Dennoch gilt: „Jeder Weg ist individuell und muss auch so unterstützt werden. Das betrifft vor allem die Begleitung während einer Chemo- oder Strahlentherapie.”
Nach Herrwerths zweiter Krebs-Behandlung änderte sich ihr Leben grundsätzlich. Nicht nur ihre Ehe ging auseinander. Sie merkte auch, dass nichts mehr so war, wie sie es kannte und dass sie mit den Blessuren ihrer Krankheit, Therapien und Operationen fortan für immer klar kommen musste. Schon während der Behandlung in Heidelberg hatte sie Schritt für Schritt einen besseren Umgang mit ihrer Angst erlernt: „Erst als ich meinen drohenden Tod akzeptierte, war ich freier, mutiger und bereiter den Kampf anzunehmen.”
Dieses Mindset half Herrwerth auch bei ihrer dritten Krebsdiagnose im Jahr 2009. Diesmal vertraute sie vollends ihrem Gefühl: „Es ging darum kluge und durchdachte Entscheidungen zu treffen. Ich hatte meine Zweifel, ob mein Körper stark genug für eine weitere Chemo war. Diese Zweifel spürte ich so intensiv. Das trieb mich in eine andere Richtung.” Herrwerth entschied sich für eine Operation, aber gegen eine erneute Chemotherapie. Und sie krempelte ihr Leben nun vollständig um.
Herrwerth ernährt sich überwiegend vegan, trinkt gutes Wasser und schwört auf Yoga und Meditation
„Von gezielter als auch ausgewogener Ernährung über ein onkologisches Bewegungstraining, viel, viel Sport und Yoga, möglichst punktgenaue, individuelle Maxime, bis hin zu den tiefliegenden Glaubenssätzen, die das eigentliche Problem darstellten”, das war ihr Weg und ist jetzt auch Grundlage ihrer Arbeit. Den Krebs besiegte sie ein drittes Mal. Ihren neuen Lebensstil und ihre Disziplin hat sie beibehalten.
Nach zwölf Jahren Gesundheit weiß Herrwerth, dass der Weg ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen der für sie richtige war. Sie glaubt auch, jetzt ihre Berufung gefunden zu haben. Und dass sie diesen Weg so gehen musste, um ihre Erfahrungen später weitergeben zu können: „Nichts ist kontrollierbar, aber alles ist beeinflussbar.” Neben ihrer Selbständigkeit arbeitet sie auch als zertifizierte Yoga-Trainerin mit dem Schwerpunkt Yoga bei Krebs. Wer mehr über Sarah Herrwerths bewegende Geschichte erfahren möchte, darf sich auf ihre Autobiografie freuen. Diese soll im kommenden Jahr erscheinen.
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