Aktuell nähern sich die Prozesse an. Was früher Aufgabe der ESG-Analysten war, ist heute nicht mehr von der Aufgabe Fundamentalanalysten zu trennen. ESG- und fundamentale Bewertungsmodelle und-begriffe werden immer mehr vereinheitlicht. Warum ist das so? Der früher wahrgenommene Zielkonflikt zwischen ESG und Performance ist inzwischen überholt. ESG wird nicht mehr als nachteilig angesehen, sondern zumindest als neutral oder sogar komplementär zu den klassischen Portfoliokennzahlen Risiko und Ertrag; eine wichtige Voraussetzung für die Einbeziehung von ESG in die Fundamentalbewertungen.
Ursprünglich wurde ESG als ein Pool von Risikofaktoren betrachtet. CO2 stand dabei als erstes im Rampenlicht. Die Nachfrage nach CO2-neutralen Anlagestrategien stieg, auch dank des Drucks von Politik und Gesetzgebung. So fand eine positive Rückkopplung zwischen CO2-Risiken und den Preisen statt. Andere Risiken im ESG-Pool, zunehmend auch soziale, werden wohl den gleichen Weg einschlagen. Die Fähigkeit, diese Risiken zu erkennen, kann ein Wettbewerbsvorteil für Anleger werden.
Neben Risiken ist der zweite große Aspekt die auf ESG basierende Überschussrendite (Alpha) – also die Möglichkeit, durch die Einbeziehung von Nachhaltigkeitskriterien eine bessere Wertentwicklung gegenüber dem jeweiligen Vergleichsindex zu erzielen. Das Potenzial zur Generierung von Alpha liegt in der Ineffizienz. Ineffizienzen entstehen, wenn die Marktpreise nicht alle relevanten Informationen vollständig berücksichtigen, was bei der derzeitigen ESG-Dynamik häufig der Fall ist. Daten sind eines der Schlüsselelemente im Preisfindungsprozess, die zu Marktineffizienzen führen können. Bezogen auf die ESG-Welt sind dies die Datenverfügbarkeit und fehlende Bilanzierungsstandards. Eine geringe Regulierung war ebenfalls lange Zeit ein Aspekt für Ineffizienz, obwohl sich dies mit der Einführung der Richtlinie zur nichtfinanziellen Berichterstattung (NFRD2) in Europa verbessert hat. Die Regulierungswelle wird sich in den kommenden Jahren verstärken und die Angleichung der ESG-Standards und -Praktiken weiter vorantreiben.
Datenverfügbarkeit, Ineffizienzen und Alpha
Wir denken, dass sich Anlegern aktuell ein spannendes Zeitfenster bietet, da die zunehmende Offenlegung von Daten Möglichkeiten für Überschussrenditen schaffen wird. Dies geschieht parallel zur Konvergenz von fundamentalen und ESG-Investitionen. Wie schnell dies passiert, hängt von der ESG-Nachfrage ab. Sie basiert nicht nur auf dem Interesse der Anleger, sondern wird auch durch das gesamte ESG-Ökosystem angetrieben, das regulatorische Veränderungen, Gesetze und mehr umfasst. Die Netto-Null-Emissions-Initiative ist ein gutes Beispiel dafür – auch für die Datenentwicklung. Temperatur-Scores entwickeln sich zu einem zusätzlichen Instrument und sind neben anderen klimaorientierten Messdaten für Netto-Null-Portfolios interessant. Mit steigendem Interesse an Temperatur-Scores und einem zunehmenden Druck in Richtung Netto-Null, beginnt sich das Temperatur-Score-Profil von Unternehmen schnell zu verbessern, insbesondere in Schwellenländern.
Dennoch ist die Aufgabe, ein Netto-Null-Portfolio zu erstellen, nicht einfach, da nur sehr wenige Unternehmen weltweit das Ziel derzeit erfüllen. Es gibt immer noch keinen Standardansatz. Dies bietet einen fruchtbaren Boden für die Generierung von Alpha, da die Anleger alle verfügbaren ESG-Daten nutzen können.
Solange diese Dateninkonsistenz besteht, können die Anleger also Ineffizienzen ausnutzen – aber das wird nicht ewig so sein. Steigt die Nachfrage nach ESG-Vermögenswerten und -Strategien weiter, wird diese Nachfrage einen Preiseffekt auf den Markt ausüben, der Ineffizienzen und Risikoprämien nach unten und Preise nach oben treibt. Diese und die zunehmende ESG-Regulierung werden sich fortsetzen, bis ein Kipppunkt erreicht ist, an dem ESG und traditionelles Investieren so eng miteinander verknüpft sind, dass die eigenständige ESG-Definition nicht mehr sinnvoll erscheint. Dieser Punkt ist dann erreicht, wenn es keine zusätzlichen Erträge in Bezug auf Risiko und Rendite durch zusätzlichen ESG-Input mehr gibt und damit ihre Wirkung auf dem Markt nachlässt.
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um weiter in ESG zu investieren, denn die „Schlacht“ um die Daten hat gerade erst begonnen. Insbesondere in Schwellenländern und bei Small-Cap-Unternehmen gibt es nach wie vor starke Ineffizienzen aufgrund eines Mangels an Daten, sowohl in der traditionellen als auch in der ESG-Welt. Hier besteht ein großes Potenzial für die Generierung von Alpha durch zusätzliche ESG-Ansätze. In den Schwellenländern gibt es zudem spezifische ESG-Themen, wie z. B. Grundbildung, Zugang zu sauberem Wasser oder auch Corporate Governance, die hier Berücksichtigung finden müssen. Allerdings ist ESG in den Schwellenländern mit erheblichen Kosten verbunden, was tiefergehende Analysen, Datenerfassung und Engagement angeht.
Die Entwicklung von ESG-Daten und -Dynamiken ist also entscheidend für die Aufdeckung von Marktineffizienzen, die nur durch Marktkräfte abgebaut werden können. Es ist an der Zeit, ESG voranzutreiben. Eine zusätzliche Regulierung könnte ein weiterer Hebel für eine positive Dynamik sein.“
[1] ESG = Environment (Umwelt), Social (Soziales), Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung)
[2] NFRD = Non-Financial Reporting Directive
Quelleninformationen und weitere Informationen finden Sie im aktuellen Thematic Paper „Shifts & Narratives #12 – ESG is not a given, the battle for data has just begun“ und im Amundi Research Center.
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