Von Pascal Blanqué, Group CIO Amundi und Vincent Mortier, Deputy Group CIO Amundi

Erneut steigende Infektionszahlen haben an den Märkten ebenso für höhere Volatilität gesorgt wie die Maßnahmen der Zentralbanken zur Eindämmung der Inflation und die wohl unvermeidliche Insolvenz des Immobilienunternehmens Evergrande; größere Störungen blieben dennoch aus. In der Schlacht zwischen Wachstums- und Inflationsrhetorik gilt weiterhin, dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten für die Märkte sind. Noch lassen sich die Auswirkungen der Omikron-Variante nicht abschließend beurteilen, Anleger sollten aus unserer Sicht dennoch davon ausgehen, dass das Virus die Schlagzeilen erneut beherrschen wird. Die neue Variante könnte die anfälligen Segmente globaler Lieferketten erneut belasten und den Inflationsdruck weiter verstärken. Die steigende Inflation enthält auch eine wichtige psychologische Komponente in Form einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – ein Risiko, das man 2022 definitiv im Auge behalten sollte, wie wir meinen.

Zwar hat die Inflationsangst noch kein alarmierendes Niveau erreicht, doch die US-Notenbank Fed gibt sich zunehmend restriktiv und hat ihren Tapering-Prozess beschleunigt, also die schrittweise Rückführung ihrer expansiven geldpolitischen Maßnahmen. Allerdings wird die Geldpolitik auch im Jahr 2022 expansiv bleiben, wenn auch in abgeschwächter Form: Der Leitzins liegt weiterhin deutlich unter dem „neutralen“ Zinssatz, der das Wirtschaftswachstum weder ankurbelt noch bremst. Betrachtet man die Reaktion der Aktienmärkte, gehen Anleger offenbar davon aus, dass die Fed die Inflation in den Griff bekommen wird, ohne das Wachstum zu belasten. Demnach wäre steigende Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen – eine Prognose, der wir uns allerdings nicht anschließen.

Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt (Lohndruck) und hohe Verbrauchernachfrage könnten die Inflation anheizen, die Fed wandelt also auf einem schmalen Grat: Steigende Inflation wäre politisch kaum tragbar, erheblich höhere Finanzierungskosten (mit Auswirkungen auf die Märkte) jedoch ebenso wenig. Die US-Notenbank dürfte daher reagieren, die Zinsen jedoch nicht so drastisch anheben und ihre Anleihekäufe nicht so deutlich reduzieren, wie manche erwarten. Die Zinsen dürften nach unserer Auffassung auch 2022 sehr niedrig bleiben.

Weitere Nachrichten erreichten uns aus China: Die Konzerne Evergrande und Kaisa stehen offenbar vor der Zahlungsunfähigkeit, Auswirkungen auf andere Unternehmen sind jedoch bisher nicht zu beobachten. Die chinesische Regierung hat dem Immobiliensektor in den letzten Wochen aktiv unter die Arme gegriffen und spielt eine wichtige Rolle bei der Umstrukturierung von Evergrande. Wir erwarten 2022 eine sehr viel wachstums-freundlichere Politik als im vergangenen Jahr, was die Konjunkturentwicklung maßgeblich beeinflussen könnte.

Auf Basis dieses Szenarios beurteilen wir die Märkte und Anlageklassen folgendermaßen:

Aktien – selektive Auswahl notwendig

Die wachsende Unsicherheit und das Risiko politischer Fehlentscheidungen sprechen für eine neutrale Gewichtung der risikobehafteten Anlagen. Vor dem Hintergrund extrem niedriger Realzinsen und stabiler Inflationsprognosen bleiben Aktien unser Meinung nach schon aufgrund mangelnder Alternativen attraktiv. Die jüngsten Kursrückgänge haben Anleger für Käufe genutzt, trotz fallender Realgewinnrenditen und hoher Bewertungen ist die Stimmung also weiterhin optimistisch. Daher könnte für Investoren eine sorgfältige Auswahl von Sektoren und Unternehmen, die weniger anfällig für steigende Inflation sind, Sinn ergeben. Außerdem favorisieren wir Value-Aktien, die im Vergleich zu Growth-Werten attraktiver bewertet sein dürften.

Anleihen – Zinserhöhungen nur bei kurzen Laufzeiten eingepreist

Am Anleihemarkt sind die von der Fed prognostizierten Zinserhöhungen zwar bei zweijährigen Laufzeiten eingepreist, bei mittel- und längerfristigen Anleihen jedoch offenbar noch nicht. Wir sehen das Risiko, dass die Renditekurve durch negative Markteinschätzungen ansteigen könnte, was uns in unserer negativen Duration-Einschätzung bestärkt. Bei Unternehmensanleihen könnten steigende Risikoaufschläge insbesondere bei Investment Grade-Anleihen, also Anleihen hoher Bonität, etwas Spielraum für einen Ausbau bestehender Positionen schaffen, allerdings nur bei sehr kurzen Laufzeiten und nach sorgfältiger Auswahl. Robustes Wachstum, eine expansive Haushalts- sowie eine weniger restriktive Geldpolitik und die anhaltende weltweite Suche nach renditestarken Anlagen würden sich aus unserer Sicht positiv auf Unternehmensanleihen auswirken – insbesondere auf weniger verschuldete Emittenten, die dem Inflationsdruck standhalten könnten.

Schwellenländer – Inflationspolitik im Auge behalten

In Schwellenländern sollten Anleger nach Potenzial durch asynchrone Politik suchen, denn einige Länder und Zentralbanken nehmen die Inflation offenbar ernster als andere. Die meisten Zentralbanken haben im Großen und Ganzen angemessen auf den steigenden Inflationsdruck reagiert (Brasilien, Mexiko, Russland, Südafrika). Eine vom Fed-Kurs abweichende Geldpolitik könnte sich deutlich auswirken, und die Anleihen derjenigen Schwellenländer begünstigen, die die Inflation bereits jetzt bekämpfen (unter anderem Brasilien und Russland). Am Aktienmarkt könnte China im nächsten Jahr für eine positive Überraschung sorgen.

Substanzwerte – ein potenzieller Schutz vor Inflation

Wer Liquiditätsrisiken tragen kann, sollte aus unserer Sicht zudem selektiv in Substanzwerte investieren, da diese gegebenenfalls vor steigender Inflation schützen und zudem höhere laufende Erträge abwerfen können.

Die Pandemie geht 2022 bereits ins dritte Jahr, hat jedoch an den Finanzmärkten bereits ihre endemische Phase erreicht: Neue Informationen werden routinemäßig und schnell eingepreist, die Zentralbanken bleiben auf expansivem Kurs. Was die endemische Phase betrifft, so wird 2022 ein Jahr des Wandels und der Konfrontation mit der Realität, wenn die Zentralbanken einen neuen Kurs einschlagen, die Inflation sich als unerwartet hartnäckig herausstellt und langfristige Prognosen ins Wanken geraten.

Quelleninformationen und weitere Informationen finden im Amundi Research Center.

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