Portugal stellt im Gastlandjahr 2022 nicht ein einzelnes Land in den Fokus, sondern eine Sprache, die von über 270 Millionen Menschen in vielen Teilen der Welt gesprochen wird, der sogenannte lusophone Sprachraum verteilt sich heute über vier Kontinente. Im Rahmen des Gastlandauftritts sollen daher auch portugiesischsprachige Autor:innen etwa aus Angola, Guinea-Bissau, Kap Verde, Mosambik oder São Tomé e Príncipe eine Bühne erhalten. „Ein über viele Jahrhunderte andauernder gemeinsamer Weg zwischen Portugal und Afrika hat Verflechtungen hervorgebracht, die auch in der Literatur ihren Widerhall finden“, erklärt Patrícia Salvação Barreto, Kulturrätin der Botschaft von Portugal in Berlin und Projektleiterin des Gastlandauftritts. „Es gibt zahllose Werke lusophoner afrikanischer Autoren, die Portugal in all seinen Facetten porträtieren, ebenso wie es in der Literatur der Portugiesen zahllose Bezüge zu Afrika gibt.“ Zu den bekanntesten Stimmen zählen Ondjaki und Mia Couto, der 2012 mit dem Literaturpreis Prémio Camões ausgezeichnet wurde; diese Auszeichnung gilt als internationale Klammer der Lusophonie. Weiter zu nennen sind Djaimilia Pereira de Almeida, deren Buch „Im Auge der Pflanzen“ (Unionsverlag, übersetzt von Barbara Mesquita) soeben erschienen ist und die an zwei Veranstaltungen des Gastlandes in Leipzig teilnimmt, sowie Isabela Figueiredo, die vor allem mit ihrem autobiografischen Roman „Roter Staub“ (Weidle Verlag 2019, übersetzt von Markus Sahr) einen Anstoß zur Aufarbeitung der portugiesischen Kolonialzeit im Lande gab.
Stellvertretend für diese große Gruppe kommen bei der Veranstaltung in Leipzig mit Dulce Maria Cardoso und Yara Monteiro zwei bedeutende Autorinnen aus zwei verschiedenen Generationen zu Wort. Beide haben auf ihre jeweils ganz eigene Weise Themen wie Unterdrückung, Unabhängigkeit und Identität literarisch verarbeitet. Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen nicht nur die Überschneidungen sowohl in politischer, sozialer, historischer und kultureller Hinsicht, sondern auch die oft alles andere als friedlichen Zusammenstöße sowie die Wiederbegegnungen – Themen, die allesamt Einzug in Poesie, Belletristik oder Essays fanden und immer noch finden.
Dulce Maria Cardoso, eine der wichtigsten literarischen Stimmen Portugals, ist eine „Retornada“. Sie gehörte zu den vielen Weißen, die in Afrika in den ehemaligen portugiesischen Kolonien gelebt haben und nach der Nelkenrevolution und der Unabhängigkeit Angolas in den 1970er Jahren nach Europa zurückkamen oder dorthin umsiedelten. Die 1964 in Portugal geborene Autorin verbrachte ihre Kindheit in Angola und kehrte 1975 in das für sie unbekannte Heimatland zurück. Ihr preisgekrönter Roman „Die Rückkehr“ (Secession 2021, übersetzt von Steven Uhly) war das erste Buch, das Portugal erstmals über die Rückkehrer aus seinen ehemaligen Kolonien sprechen ließ – das größte Tabu seiner jüngeren Geschichte und eine historische Epoche, die in Deutschland kaum wahrgenommen wurde. Dulce Maria Cardoso hat zahlreiche Preise für ihr literarisches Werk erhalten, darunter den Literaturpreis der Europäischen Union 2009.
Auch Yara Monteiro kennt beide Länder. Sie wurde allerdings erst nach der Unabhängigkeit, 1979, in Angola geboren und wuchs in Nordportugal auf, woher ein Teil ihrer Familie stammte. Nach zahlreichen Zwischenstopps in Luanda, London, Kopenhagen und Rio de Janeiro lebt die Autorin heute im Alentejo. In ihrem Buch „Schwerkraft der Tränen“ (Haymon Verlag, übersetzt von Michael Kegler), das soeben erschienen ist, wirft sie einen Blick zurück ins Jahr 1965 auf den Beginn des Freiheitskrieges gegen die portugiesische Vorherrschaft und erzählt von einer Welt zwischen Rebellion und Tragödie. Yara Monteiro ist Co-Leiterin der Abteilung für Kultur, Kunst und Theater des INMUNE (Instituto da Mulher Negra em Portugal, Institut der Schwarzen Frau in Portugal), einer feministischen und antirassistischen Organisation, die gegen die Unsichtbarmachung und das Schweigen schwarzer, afrikanischer und afrikanischstämmiger Frauen in der Geschichte und in der Gegenwart kämpft.
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